Konventionell gegerbtes Leder vergiftet Arbeiter:innen, Konsument:innen und die Umwelt. Doch es geht auch ohne Blei, Arsen und Quecksilber – dem Olivenbaum sei Dank.
Abfall: Laut Duden sind das »Reste, die bei der Zubereitung oder Herstellung von etwas entstehen.« Gleichzeitig sind das »unbrauchbare Überreste«, wie im selben Unterpunkt zu lesen ist. Die 2 Definitionen weichen weit voneinander ab. Wie viel nachhaltiger und effizienter könnte unsere Welt sein, wenn »Abfall« neu gedacht wird?Was für den einen entsorgt gehört, ist für den anderen ein nützlicher Wertstoffrest.
Das zeigen die Blätter des Olivenbaums, die beim Rückschnitt der Bäume und nach der Ernte der Früchte massenhaft zu Boden rieseln. Lange Zeit gab es dafür keine Verwendung, die Bäuer:innen mussten sie mühsam einsammeln und – mangels Alternativen – im Freien verbrennen.
Bis zum Jahr 2008. Auf der Suche nach einem alternativen Gerbmittel für Leder fanden kleine Unternehmen aus Deutschland und Spanien unter Mithilfe des EU-Förderprogramms »eurostars« einen neuen Nutzen für den vermeintlichen Abfall »Olivenblatt«: Sie gewannen daraus ein Extrakt, das zum Gerben von Leder verwendet werden kann. Und das ersetzt dort aggressive Substanzen wie Arsen, Blei, Quecksilber oder krebserregendes Chromat. Heute wird es vom Unternehmen wet-green vertrieben.
Und das könnte nicht weniger als die Lederindustrie revolutionieren.
Was nachhaltiger Gerbstoff verändern kann
Die tiefgrünen Blätter, die als Rohstoff für den nachhaltigen Gerbstoff dienen, sind reichlich auf den großen Olivenplantagen der Welt vorhanden. Würden sie alle genutzt, könnten 40% der weltweiten Lederproduktion rein rechnerisch bereits auf dieses Verfahren umgestellt werden – ohne dass zusätzliche Ackerflächen angelegt werden müssten.Auf diese Weise leiden weder die Arbeiter:innen in der Lederindustrie unter dem Kontakt mit aggressiven Stoffen noch die Umwelt – denn allzu oft landen giftige Reste in den Gewässern der Produktionsländer Indien und Bangladesch.
Nicht zuletzt profitieren auch die Konsument:innen der fertigen Lederprodukte, denn beim Olivenleder gehen keine Schadstoffe mehr beim Tragen der Lederjacke oder Handtasche auf die Haut über. »Olivenleder ist ein vielseitig nutzbares Leder, das ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig produziert ist«, findet auch Stefanie Trevisan. Selbst strengste Ökosiegel verleihen dem Konzept deshalb Bestnoten. Die Expertin für nachhaltiges Produktdesign schätzt zudem die hohe Qualität des Leders: Die großen Pluspunkte seien seine dichte Faserstruktur und die hohe Formstabilität.
Doch kann das vergleichsweise neue, nachhaltige Verfahren mit dem massenhaft hergestellten, konventionellen Leder mithalten? Und ziehen die Kund:innen in Zeiten von billiger »fast-fashion« auch mit?
So könnte die Modeindustrie reagieren
Der Preisdruck in der Textilbranche ist hoch,die Verführung durch Schnäppchen allgegenwärtig. Markennamen wie Hugo Boss und BMW, die bereits Olivenleder verwenden, erwecken zudem den Eindruck, dass es sich bei Olivenleder um ein Luxusgut handele.
Dabei ist das nachhaltig gegerbte Leder aktuell nur 10–20% teurer als konventionell hergestelltes Leder. Dass das so ist, liegt aktuell noch an den Investitionskosten, die auf Gerber:innen bei der Umstellung zukommen.
Doch nach und nach erreicht die nachhaltige Alternative die Mitte der Gesellschaft: Immer mehr Großhändler wie Lidl nehmen Olivenlederprodukte mit in ihr Sortiment auf. Und so kommt der Stein ins Rollen: Je mehr Gerber:innen bei entsprechender Nachfrage auf den Olivengerbstoff umsteigen, desto eher werden sich die Preisunterschiede allmählich angleichen.
Was als Abfallprodukt begonnen hat, kann weit mehr sein als ein »unbrauchbarer Überrest«. Der aus den Olivenblättern gewonnene Gerbstoff bietet künftig die Chance, sowohl die Gesundheit der Gerber:innen als auch die der Endverbraucher:innen zu schonen – und dabei eine ganze Branche zu verändern.
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