In Zwickau greifen Corona-Demonstranten die Kunstszene an – getrieben von rechter Kulturfeindlichkeit. Künstler fühlen sich von Polizei und Politik im Stich gelassen
Mitten auf dem Boden wurde ein eiserner Werkzeugkasten ausgeleert. Klaus Fischer findet ihn im Dunkeln vor, als er die Galerie des Kunstvereins in aufsperrt. Er prüft alle Ausstellungsstücke, geht im Kreis um den Werkzeugkasten herum und telefoniert. Es stellt sich als ein Missgeschick seines Kollegen heraus, niemand ist in die Galerie eingebrochen. "Die Nazis wären sicher auf die Kunst gegangen", sagt Fischer, mehrmals seien sie bereits kurz davor gewesen.
Schaut man sich in der Ausstellung um, ist das schwer zu glauben. Die Fotografien in der Galerie scheinen wenig Anlass dazu zu bieten. 500 Meter weiter bildet sich zwar eine Demonstration der Querdenker, bei der später am Abend eine Rednerin die Corona-Schutzmaßnahmen Punkt für Punkt mit dem Holocaust gleichsetzen wird. Aber so geht das hier schon seit Monaten, und im Moment könnte Zwickau nicht viel friedlicher aussehen. Warum sollten Klaus Fischer und der Kunstverein, den er leitet, einen tätlichen Angriff befürchten?
In der sächsischen Stadt gehen rechtsextreme Gruppen gegen Kunstausstellungen vor. Als hier im Juli und Oktober die Schauen namhafter Künstlerinnen und Künstler eröffneten, antworteten Neonazis mit Aufmärschen. Sie waren laut und aggressiv, nutzten Megafone und Handykameras, wurden schließlich handgreiflich. Die sogenannten Spaziergänge der Querdenker hatten - neben Rathaus und Lokalpresse - einen neuen Stopp ausgemacht und ein neues Feindbild gefunden. Sie beschimpften die Künstler als "neoliberal", verlangten, dass in einer Zwickauer Galerie nur "deutsche" Kunst gezeigt werden dürfe und forderten, dem Verein die öffentlichen Gelder zu streichen. Ein Engagement im Kulturbetrieb, auf das man in anderen Städten stolz sein kann, gilt in Zwickau mittlerweile als gefährliches Stigma.
Die Drohkulisse wächst
Ehrenamtliche und Künstler berichten, dass ihnen auf der Polizeiwache nicht geglaubt werde und dass die Verfahren gegen Unbekannt letztlich immer eingestellt würden. Die Zwickauer Polizei schickt zur Prävention eine tägliche Streife bei der Galerie des Kunstvereins vorbei, doch davon verspricht Klaus Fischer sich wenig. Im Herbst reichte er eine Beschwerde über parteiisches Verhalten der Polizisten ein: Sie hielten insgeheim zu den Rechtsradikalen. Anders kann er sich die wiederholten Angriffe auf seinen Verein nicht erklären.
Oberbürgermeisterin Constance Arndt verteidigt die Polizei gegen solche Vorwürfe. "Wir sind die Guten, wir müssen zusammenstehen", sagt sie. Ein falscher Eindruck könne entstehen, wenn man den verbalen Einschüchterungen und der Drohkulisse dieser Demonstrationen zu lange ausgesetzt sei. Die Kulturschaffenden sehen das anders: Arndt nehme die Angriffe der vergangenen Monate zu leichtfertig hin, sagen sie.
Die Drohkulisse, von der die Oberbürgermeisterin spricht, wächst in Zwickau seit Jahren. Als ehemalige Heimat der Terrorgruppe NSU ist die Stadt heute ein wichtiges Zentrum für die rechtsextreme Partei Der Dritte Weg und für das Milieu der Reichsbürger. In der Pandemie werben diese Gruppen verstärkt um Nachwuchs; etwa um Jugendliche, die wegen der Einschränkungen keinen anderen Zeitvertreib finden. Hinzu kommen YouTube-Kanäle und Blogs, die die Macht der Handykamera für sich entdeckt haben. Bei der Belagerung des Kunstvereins wurden Smartphones wie eine Waffe eingesetzt. "Extrem gruselig" sei der Übergriff gewesen, erinnert sich die Künstlerin Jana Gunstheimer, die in der Galerie mit eingekesselt war und von den Demonstranten gefilmt wurde.
Für Querdenker ist Kunst Dekadenz
Die Videos von der Ausstellung landeten später im Internet. Auf den einschlägigen Facebook- und Telegram-Seiten der rechten Szene gilt zeitgenössische Kunst als abgehoben und wird unter anderem als "gesellschaftliche Verfallserscheinung" bezeichnet. "In diesem Milieu steht die Kunst für Ideen der Moderne und Dekadenz", sagt Christian Herold vom Zwickauer Beratungsteam gegen Rechtsextremismus, "es heißt dann, Kunst wolle dem Mainstream gefallen." Ihr wird eine besondere Regierungs- und Wirtschaftsnähe unterstellt, weil sie staatliche Förderung erhält. Das wollen die Rechtsradikalen in Zwickau am liebsten sofort ändern. Galeristen wie Klaus Fischer machten, behaupten sie, ähnlich wie die Presse, nur Regierungspropaganda. Diese Deutung stößt in Zwickau auf mehr Resonanz als anderswo. Zwischen leerstehenden Häusern, Plattenbauten und Problemvierteln geben Rechtsradikale vor, sich um all jene zu kümmern, die der Staat angeblich vernachlässigt.
Oberbürgermeisterin Arndt distanziert sich zwar deutlich von den Querdenker-Spaziergängen, sofern diese gegen das Versammlungsverbot verstoßen. Zusätzlich zum Bündnis für Demokratie und Toleranz plant sie nun eine Arbeitsgemeinschaft, in der es um Extremismus und Konfliktprävention gehen soll. Doch sobald es um die Ideologie der Demonstrantinnen geht, gerät sie ins Schlingern und ringt mit den Begrifflichkeiten. Genauso wenig kann der Zwickauer Staatsschutz eine politische Motivation der Angriffe auf den Kunstverein benennen, was angesichts der Hinweise, die bereits von Forschern und Laien gesammelt wurden, erstaunlich ist.
Arndt sieht auf den Straßen Zwickaus einen "Disput darüber, wie sich unsere Stadt und unser Land entwickeln soll", sagt sie. Provokante Kunst könne hier selbstverständlich weiterhin gezeigt werden. Klaus Fischer findet eine solche Rhetorik fatal. "Sie weiß nicht, was 1933 passiert ist", behauptet er über die Oberbürgermeisterin. Constance Arndt sagt auf Nachfrage, sie wisse das sehr wohl, zieht aber gleichzeitig Vergleiche zum Linksextremismus und zu historischen Vorbildern "überall auf der Welt". Fischer hat nun einen offenen Brief organisiert, mit dem etliche Kunstvermittler der großen sächsischen Museen und Galerien die Stadt Zwickau zum Handeln drängen.
Sollte nichts geschehen, fürchten sie um die Kunstfreiheit. "Das Ziel der Einschüchterungen ist auch, dass sich der Kunstverein dann lieber zweimal überlegt, was die nächste Ausstellung wird", sagt Christian Herold vom Beratungsteam. So weit ist es allerdings noch nicht gekommen: Als Nächstes ist dort eine Ausstellung geplant, die explizit auf die Angriffe antworten will.
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