Ein neues studentisches Journal will das Peer-Review-Verfahren reformieren. Die Forschungsarbeiten sollen öffentlich diskutiert, statt von unbekannten Gutachtern ausgewählt werden.
Katie Ridd, leitende Redakteurin beim renommierten Fachjournal „Nature Communications, unterlief vor einigen Monaten bei einem Vortrag ein kleiner Versprecher. Als „Stempel der Autorität“ bezeichnete sie da den gängigen Peer-Review-Prozess ihres Hauses und korrigierte sich danach gleich selbst. „Stempel der Glaubwürdigkeit“ habe sie eigentlich sagen wollen.
Jenen Forschern im Publikum, die gern bei „Nature“ veröffentlichen würden und dort vielleicht schon einmal abgelehnt wurden, ist diese Ironie sicher nicht entgangen. Zu lange wird bereits darüber gestritten, was der reale Nutzen des Peer-Review ist; was sich Redaktionen also davon versprechen, zwei bis drei externe, anonyme und unbezahlte Gutachter (idealerweise aus dem richtigen Fachgebiet) über die Qualität von eingereichten Studien entscheiden zu lassen.
Die Begutachtung selbst müsse endlich auf den Prüfstand gestellt werden, sagen die Kritiker. Vor allem der Nachwuchs dringt auf Reformen. Wer heute studiert und später in die Forschung gehen möchte, blickt einem äußerst kompetitiven Arbeitsmarkt entgegen. Journale mit überlasteten Gutachtern und mangelhaftem Auswahlprozess können zum Nadelöhr für das berufliche Fortkommen werden. In Berlin hat sich das neu gegründete „Berlin Exchange Medicine“ (BEM) kürzlich mit zwei anderen deutschen Studenten-Journalen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften zu einem in Europa einmaligen Verbund zusammengeschlossen.
"Wir zeigen, was sonst in der Black Box der Verlage passiert"
Anstatt mit ihrem studentischen Journal einfach die etablierten Publikationen nachzuahmen, wollen sie ihnen eine kleine Utopie entgegensetzen. Während des Studiums sei es zwar leichter, diesen Mut aufzubringen, sagen die drei Gründer Anne Neumann, Felix Hambitzer und Dario von Wedel. Trotzdem haben sie den Anspruch, ihre eigenen Vorstellungen von Peer-Review durchzusetzen, bis sie eines Tages von Forscherseite wie selbstverständlich eingefordert werden. Mit dieser Kampfansage haben sie als erstes studentisches Projekt sogar Fördergelder der Berlin University Alliance eingeworben.
Es ist kein Zufall, dass drei Medizinstudenten die Idee dazu hatten. In den Lebenswissenschaften wird der Peer- Review seit Beginn der Corona-Pandemie noch kontroverser als zuvor diskutiert. Das herkömmliche Verfahren hält Erkenntnisse mehrere Monate unter Verschluss, und im Falle einer Absage beginnt die Begutachtung von Neuem, während die Einreicher sich von hochklassigen Journalen nach unten durchreichen lassen. Selbst bei dem angesehenen Journal „The Lancet“, bei dem der Peer- Review eine lange Tradition hat, schaffen es in Einzelfällen grob falsche Studien ins Heft.
Wird dagegen schon vor der Einreichung der Entwurf öffentlich gemacht (als sogenanntes Preprint) und mit einem roten Warnhinweis versehen („vorläufig“, „noch nicht in Medien berichten“), so darf sich die gesamte vernetzte Fachgemeinschaft als Kontrollinstanz einmischen. Auf Twitter könnte eine fehlerhafte Corona-Studie angesichts der großen Zahl von Lesern nie lange unbeanstandet bleiben.
Überarbeitung des Manuskripts für alle sichtbar
Dieser Netzwerkcharakter, der leider auch die Gefahr der Verzettelung birgt, wird nun auch bei „Berlin Exchange Medicine“ umgesetzt, geht hier aber noch einen Schritt weiter. Schon die Forschungsfrage und die geplante Methode sollen nach redaktioneller Absegnung zur Diskussion gestellt werden. Am meisten helfe die Kritik vor der Datenerhebung, „bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist“, sagt Dario von Wedel. Später kommt dann das Preprint auf die Website, um gemeinschaftlich begutachtet zu werden.
Dass anonyme Gutachter ihre Aufgabe im alten System eher undankbar finden, lassen die vielen dokumentierten persönlichen Attacken erahnen. Der eine ätzte in seinem Gutachten gegen ganze Forschungsgebiete, der andere gegen Frauen. Bei BEM hingegen soll nur mit dem Klarnamen kommentiert werden.
Die zwanzig Redaktionsmitglieder haben sich in einem selbstorganisierten Kurs geschult, da ihnen der Peer- Review an ihren Universitäten nicht beigebracht wird. Sind die Gutachten wie bei BEM öffentlich einsehbar, so können sie aufeinander Bezug nehmen und in den Dialog mit den Autoren der Studie treten. Am Ende werden sämtliche Versionen, das Feedback und die Korrespondenz in einer grafisch ansprechenden Endversion gesammelt. Die Überarbeitung des Manuskripts wird also für jeden nachvollziehbar.
„Wir zeigen, was sonst in der Black Box der Verlage passiert“, sagt Anne Neumann, und das ist noch eine bescheidene Aussage: Eine Plattform wie BEM kann den wissenschaftlichen Austausch auf ein neues Niveau heben. Dafür braucht es allerdings Studenten aus allen lebenswissenschaftlichen Fächern, die Zeit dafür finden, fremde Forschung zu unterstützen, und sei es nur mit einem kurzen Ratschlag. Und die bereit sind, für ihre Kritik mit ihrem Namen einzustehen.
Quelle: F.A.Z.