In Bayern protestieren Lehramtsstudenten gegen den regelmäßigen Verlust von Staatsexamensklausuren. Das Ministerium hütet gleich mehrere Geheimnisse.
Zwei Vorteile hatten die digitalen Klausuren im Sommersemester: Erstens war die Datei mit den Antworten auch auf dem Rechner des Prüflings gespeichert. Zweitens erhielt man nach dem Absenden sofort eine Eingangsbestätigung. Davon können achtzehn Lehramtsstudenten aus Augsburg, Erlangen, München und Passau, deren analoge Staatsexamensklausuren verlorengingen, nur träumen. Erst im August, also zwei, vier oder sechs Monate nach ihrer Prüfung, informierte sie das bayerische Kultusministerium über den Verlust.
Wie in den Vorjahren wurden die schuldlos Betroffenen vor die Wahl zwischen der Note Sechs und einer Wiederholung gestellt. Ersteres können sich nur Studenten mit guten Noten leisten. Letzteres schloss sie in den Vorjahren vom Referendariat aus. Diesmal gibt es erstmals auch die Möglichkeit, mit unvollständigen Examensnoten ein eingeschränktes Referendariat anzutreten. Das Ministerium stellt die eigentlich wegen des Corona-Virus beschlossene neue Ausnahmeregelung so dar, als handele es sich um eine Reaktion auf die verlorenen Klausuren.
Zu menschlichem Versagen gehört ein menschlicher KontaktDa sich die Verluste Jahr für Jahr wiederholen, fordern die Betroffenen jetzt mit einer Online-Petition die digitale Erfassung der Bögen vor dem Versand, damit diese notfalls von einem Notar ausgedruckt werden könnten. Bei zwanzigtausend Examen wäre das zu aufwendig, entgegnet das Ministerium. Eine neue Kontrollstufe sei schon beschlossen, müsse aus Sicherheitsgründen aber geheim bleiben. Die zweite Forderung der Studenten trifft den Kern des Problems: Sie wünschen sich bessere Kommunikation. Sowohl das Schreiben mit dem "Ultimatum" als auch ihre Nachfragen beim Ministerium hätten den Eindruck eines geradezu kafkaesken Staates erweckt. Das Vertrauen der angehenden Lehrer haben die Behörden offensichtlich verspielt: Aus Angst vor ihrem künftigen Arbeitgeber wollen viele Betroffene nur anonym mit Medien sprechen.
In Schulen kommt es manchmal vor, dass ein zerknirschter Lehrer eine Klausur mit Rotweinflecken oder Wachsmalereien darauf zurückgibt. Stapelweise hat sich der Meereswind schon Prüfungen geholt. Aber wenigstens gibt es dafür dann einen Verantwortlichen. Anders bei den Staatsexamen: Der Posteingang beim Erstkorrektor ist dank Einschreiben nachgewiesen, danach verwischt sich die Spur. Geheim bleibt, um welche bayerischen Universitäten es sich handelt. Zu menschlichen Fehlern könnte es auch beim geforderten Digitalisieren der Prüfungsbögen noch kommen, wie das Ministerium schreibt. Aber zu menschlichem Versagen gehört eben ein menschlicher Kontakt. Solch einen wünschten sich die Studenten, etwa bei der kurzfristigen Entscheidung zwischen Sechs und Wiederholung. Für kommende Debatten über digitalen Universitätsbetrieb darf man im Hinterkopf behalten, dass sich manche Studenten auch analog schon wie eine Nummer behandelt fühlten.