SENDETERMIN Mi., 05.05.21 | 21:45 Uhr | Das Erste
Herstatt-Pleite gilt als Geburtsstunde der Banken-Einlagensicherung Zweifelhafte Rolle der Wirtschafts- und BaFin-Prüfer im Fall Wirecard "Lex Herstatt" und die Folgen für Wirecard-Aktionäre
Die legendäre Pleite der Kölner Herstatt-Bank hat die Bankenregulierung in Deutschland geprägt. Damals hätten Tausende Sparer vor dem Nichts gestanden, wenn der Bankeigentümer sie nicht aus seinem Vermögen entschädigt hätte. Das wäre heute undenkbar und auch nicht mehr nötig. Denn damit so etwas nicht noch einmal passiert, sind seitdem zumindest die Gelder von Sparern abgesichert - die Einlagensicherung bis zu einer Höhe von 100.000 Euro ist eine direkte Folge der Herstatt-Pleite. Und noch ein weiterer Paragraf gilt als eine Art "LexHerstatt" und der könnte heute dazu führen, dass die Finanzaufsicht BaFin nicht für ihre Fehler im Fall Wirecard zur Verantwortung gezogen werden kann.
Devisen-Spekulationen stürzen Herstatt Bank in die PleiteDie Pleite der Kölner Herstatt-Bank ist der erste Zusammenbruch einer Bank nach dem Zweiten Weltkrieg. Der kurze und kometenhafte Aufstieg der "Goldjungs" beginnt im Jahr 1973. Die Ölkrise führt zum Ende der festen Wechselkurse - das spekulative Geschäft mit Devisen wird zur Goldgrube. Denn der Umtauschkurs, zum Beispiel zwischen Dollar und D-Mark, kann sich nun täglich ändern. Deshalb werden die Warengeschäfte, die in fremden Währungen abgewickelt werden, durch ein sogenanntes Devisentermin-Geschäft abgesichert. Die Spekulationen beginnen, als die Devisenabteilung der Herstatt-Bank auch ohne zugrundeliegende Warengeschäfte auf den künftigen Dollar-Kurs wettet. Zunächst geht die Rechnung auf: Die Devisenabteilung gleicht im Krisenjahr 1973 mit ihren Gewinnen die Verluste anderer Abteilungen aus.
Die "Goldjungs" beginnen damals ihre Geschäfte aufzublasen, ohne dass dies in den Bilanzen der Bank sichtbar wird. Sie installieren dazu an ihrem frühen Großrechner eine Löschtaste - die Deals werden zwar ausgeführt aber nicht verbucht. Als die Blase platzt, geht mit ihr die Bank Pleite. Bankeigentümer Iwan Herstatt wird wegen Bilanzfälschung und Untreue zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Die Kleinsparer erhalten trotz anfänglicher Sorge schließlich mehr als 80 Prozent ihres Geldes zurück. Iwan Herstatt entschädigt sie aus seinem Privatvermögen. 1976 gründen die Kreditinstitute dann den sogenannten Einlagensicherungsfonds, um Spareinlagen bei Pleiten zu schützen.
Wirecard trickste mit ScheingeschäftenWas bei der Herstatt-Bank ein Knopf unter dem Schreibtisch war, mit dem spekulative Devisengeschäfte aus den Buchungsprogrammen gelöscht wurden, sind bei Wirecard Scheingeschäfte mit Drittanbietern, verbucht auf Treuhandkonten in Singapur und auf den Philippinen. Wirecard ist das erste große deutsche Fintech. Das Unternehmen bietet Zahlungsabwicklungen für Internet-Geschäfte. Schnell werden die Aschheimer zu Börsenstars - verdrängen sogar die Commerzbank aus dem DAX. Umso spektakulärer der tiefe Fall als klar wird, ein zentraler Geschäftsbestandteil - Zahlungsabwicklungen für Drittpartner - existiert nicht. Buchungen von mindestens 1,9 Milliarden Euro lösen sich in Luft auf.
Zweifelhafte Rolle der Wirtschafts- und BaFin-PrüferÄhnlich wie bei der Herstatt-Pleite gibt es schon früh Gerüchte über Ungereimtheiten in der Bilanz und den Verdacht auf Betrug. Bei Herstatt gelingt es damals den Verdacht auszuräumen, nachdem ein Wirtschaftsprüfer die Bilanzen testiert. Auch die Wirecard-Bilanzen sind trotz jahrelanger Gerüchte bis zuletzt immer wieder testiert worden. Den Prüfern der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY wird heute massives Versagen vorgeworfen, weil sie die Bilanzmanipulation nicht bemerkten. Zahlreiche Anleger klagen auf Schadenersatz.
Auch der deutschen Finanzaufsicht BaFin machen viele Anleger große Vorwürfe. Denn als eine Reaktion auf Hinweise von internationalen Börsenhändlern sowie der "Financial Times" verklagte die BaFin die Journalisten und sprach ein Leerverkaufsverbot auf Wirecard-Aktien aus. Damit war es für zwei Monate verboten auf Kursverluste bei Wirecard zu wetten. Gerade diese Aktionen der BaFin haben viele Anleger darin bestärkt, dass die Berichte über Betrug bei Wirecard, Gerüchte von spekulativen Hedgefonds-Managern, falsch sein müssten. Erst als Wirecard einen Tag vor der Bilanzvorstellung einräumt, dass eine zweite Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, KPMG, die die Vorwürfe ausräumen soll, die Bilanz nicht testiert, bricht das System Wirecard zusammen. Der einstige Börsenstar stürzt von einem Kurs von über 100 Euro pro Aktie auf heute gerade mal 30 Cent ab.
"Lex Herstatt": BaFin dient nicht dem Schutz von AnlegernAusgerechnet eine Folge der Herstatt-Pleite könnte heute dazu führen, dass Anleger, die die Finanzaufsicht BaFin zur Verantwortung ziehen wollen, scheitern könnten. Denn damals schrieb der Gesetzgeber ins Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz: "Die Bundesanstalt nimmt ihre Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahr." Das heißt, zentrale Aufgabe der BaFin ist die Wahrung der Finanzmarktstabilität. Sie handelt nicht, um Anleger vor Betrug zu schützen.
Bericht: Verena von Ondarza Kamera: Alexander Rott Schnitt: Nikolai KasüskeStand: 05.05.2021 22:53 Uhr