SENDETERMIN Mi., 17.11.21 | 21:45 Uhr | Das Erste
Hohe Inflationsrate - die Zahlen richtig lesen Die Angst vor der Angst Langfristig höhere Inflation?
Im Oktober lag die Inflationsrate in Deutschland bei 4,5 Prozent. In den Vormonaten waren es ebenfalls um die vier Prozent. So eine Preissteigerung hat Deutschland seit Jahrzehnten nicht gesehen. Das liegt vor allem am aktuellen Preistreiber Energie. Zu Beginn der Corona-Krise im Frühjahr 2020 waren die Rohölpreise wegen geringer Nachfrage auf dem Weltmarkt zeitweise eingebrochen. Seitdem haben sie sich wieder erholt und sind nun besonders hoch. Heizöl ist nun doppelt so teuer wie im Oktober vergangenen Jahr.
Weltweit sind Rohstoffe und Vorprodukte derzeit knapp. Lieferengpässe haben schon dazu geführt, dass Produktionsbetriebe runtergefahren oder auf Kurzarbeit gesetzt wurden - auch das treibt die Preise. Zudem lässt die zu Jahresbeginn eingeführte CO2-Abgabe von 25 Euro je Tonne ausgestoßenem Kohlendioxid, das beim Verbrennen von Diesel, Benzin, Heizöl und Erdgas entsteht, die Preise fürs Heizen und Tanken steigen..
Energiepreise waren 2020 besonders günstigWichtig zu wissen: Die Inflationsrate misst immer den Unterschied zu den Preisen im Vorjahresmonat - also der Oktober 2021 im Vergleich zum Oktober 2020. Die nun seit mehreren Monaten andauernden hohen Inflationsraten heißen also nicht, dass die Preise von Monat zu Monat stark steigen. Im Gegenteil: Die Inflation bezogen auf den Vormonat ist nahezu stabil. Die hohen Inflationsraten zeigen etwas anderes, nämlich dass sich im Vergleich zum Jahr 2020 ein höheres Preisniveau festigt.
Dafür gibt es Gründe: Im vergangenen Jahr wurde die Mehrwertsteuer gesenkt. Das hat damals die Preise gedrückt. Jetzt ist die Mehrwertsteuer wieder auf Normalniveau, die Preise sind entsprechend gestiegen. Außerdem waren viele Dinge, vor allem die Energie, im vergangenen Jahr besonders günstig, weil die Corona-Pandemie die weltweite Nachfrage hat einbrechen lassen.
EZB: Inflation wird nach Corona-Sondereffekten wieder sinkenDie aktuellen Daten sind also von vielen Sondereffekten verzerrt. Ein klareres Bild ergibt sich, wenn man die Preise mit denen aus dem Vorkrisenjahr 2019 vergleicht. Diese Zwei-Jahres-Rate fällt deutlich normaler aus. In den meisten Monaten liegt sie sogar unter zwei Prozent. Im Oktober wurde erstmals die Zwei-Prozent-Marke gerissen - auch das kein Grund zur Sorge.
Denn bei diesem Wert, zwei Prozent, liegt die Preissteigerungsrate, die die Europäische Zentralbank (EZB) anstrebt. Die EZB versucht derzeit zu beruhigen, weist darauf hin, dass die Inflation wieder abebben werde, wenn die Corona-bedingten Sondereffekte von den Märkten verarbeitet sind.
"Wir erwarten, dass die Inflation im Laufe des kommenden Jahres wieder sinken wird, wenn sich Energiepreise und Angebotsengpässe normalisieren. Eine zu hastige Erhöhung der Zinsen würde nicht unmittelbar die Inflation senken, aber Wachstum und Arbeitsplätze kosten", kommentiert die Notenbank auf eine Anfrage von Plusminus.
Bevölkerung spürt starken PreisanstiegTrotzdem sind viele Menschen in Sorge. Im aktuellen ARD-DeutschlandTrend gaben rund 49 Prozent der Menschen an, dass sie die Preiserhöhungen stark spüren. Eine gefährliche Entwicklung - darauf hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zuletzt in einer Studie hingewiesen. Denn die meisten Menschen erwarten bei steigenden Preisen, dass sie dauerhaft anziehen und passen ihr Verhalten an die Inflationserwartungen an.
Sie ziehen, wenn sie es können, große Ausgaben vor und heizen damit in Zeiten von Lieferengpässen die Nachfrage weiter an. Gewerkschaften gehen mit höheren Forderungen in die Lohnverhandlungen. Diesen Mechanismus nennt man Lohn-Preis-Spirale. Die Angst vor Inflation treibt die Preise und kann die Inflation zu einem Dauerproblem machen, obwohl die eigentlichen Ursachen längst vorbei sind.
Ähnliche Situtation bereits in den 1970er-JahrenIn extremer Ausprägung hat Deutschland das in den 1970er-Jahren erlebt.Damals drehten die Ölförderländer dem Westen den Ölhahn zu, der Ölpreis vervierfachte sich innerhalb kürzester Zeit. Die Inflationsrate schoss damals auf bis zu zehn Prozent. Das Geld schmolz auf den Sparbüchern dahin. Die Folge: Harte Arbeitskämpfe, bei denen Gewerkschaften ein Lohnplus von mehr als elf Prozent durchsetzten. Die Preise stiegen noch schneller. Der gerade erst errungene Kaufkraftgewinn war schnell dahin. Am Ende rutschte die deutsche Wirtschaft in eine tiefe Krise.
Aktuell sind die Tarifabschlüsse noch moderat. Doch die Gewerkschaften bringen sich in Stellung. Die IG Metall etwa hat angekündigt, bei den Verhandlungen im kommenden Jahr einen Fokus auf deutliche Lohnsteigerungen legen zu wollen. DIW-Forscherin Kerstin Bernoth hält das für gefährlich.
Auch die Europäische Zentralbank beobachtet die Lohnentwicklung genau: „Wir behalten natürlich sorgfältig im Auge, ob es zu Zweitrundeneffekten etwa durch unerwartet starke Lohnsteigerungen kommt, die nachhaltigen Inflationsdruck bewirken können. Bisher sieht die Notenbank dafür aber noch keine Anzeichen.
Langfristig höhere Inflationsraten?Holger Schmieding, Ökonom bei der Berenberg Bank, erwartet, dass sich die Inflation wieder normalisieren wird. Er rechnet nächstes Jahr wieder mit einer Inflationsrate um zwei Prozent, die gut für das Wirtschaftswachstum und die Kaufkraft der Leutewäre. Tatsächlich waren die Inflationsraten der letzten drei Jahrzehnte sogar eher niedrig. Seit Beginn der Währungsunion 1999 lag die Inflationsrate in Deutschland durchschnittlich bei 1,4 Prozent.
Auf Dauer könnte die Rate aber nach Meinung des Ökonomen eher bei etwas über zwei Prozent liegen. Denn aufgrund des Fachkräftemangels dürften die Löhne stärker steigen und die Unternehmen den Kostendruck an die Verbraucher weitergeben. Die Ampel-Koalition plant außerdem mehr Staatsausgaben für Klimaschutz, Infrastruktur Digitalisierung, auch die höhere Staatsaktivität dürfe die Inflationsraten dann antreiben.
Eine mittelfristige Inflationsrate von zwei Prozent bedeutet gute Nachrichten für Sparer, denn dann will die EZB aus ihrer lockeren Geldpolitik aussteigen und die Zinsen dürften wieder steigen.
Bericht: Julia Wacket, Verena von Ondarza Kamera: Thomas Wolf Schnitt: Stephan HaaseStand: 17.11.2021 22:07 Uhr