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"Austria First" beim Wiener Akademikerball - Vera Gasber - Medium

Gäste steigen die Treppe in der Wiener Hofburg zum Akademiker Ball empor. Foto: Vera Gasber.

Warum sich eine Austro-Amerikanerin bei Hofers Rede an Trump erinnert fühlt und Kindererziehung politisch wird. Über meine Erfahrungen und Gespräche auf dem wohl umstrittensten Ball der Saison.

Begegnungen am Eingang

Victoria* streichelt über die Brust ihres Mannes Igor*. "Wenn die Schwiegermutter unsere politische Gesinnung nicht akzeptiert, darf sie auch nicht mehr auf unsere Kinder aufpassen."

Das junge Ehepaar steht auf einer Empore in der Hofburg. Sie sind auf dem von der freiheitlichen Partei organisierten Akademikerball in Wien. Victoria ist 25, Igor 30. Sie haben sich auf einer "einschlägigen" Veranstaltung in Rosenheim kennengelernt. Damals war Victoria 15. Igor war 20 und in einer Beziehung.

Ich lerne die beiden noch vor der Veranstaltung in der Schlange kennen. Sie sind ein hübsches Paar: Wasserwelle, Smoking, Abendkleid. Sie kennen sich seit zehn Jahren - seit fünf sind sie verheiratet und haben zwei Kinder. Sie ist studierte Physiotherapeutin, er Bauleiter. "Hier kommt man hin, um zu netzwerken. Wir teilen alle die gleiche Gesinnung." Mit Gesinnung meinen die beiden einschlägig konservativ. Das bedeutet, dass sie ihre Kinder beispielsweise strikt nach ihrem Gedankengut erziehen und das Igors Vater von der Hochzeit ausgeladen wurde, weil seine Begleitung eine Chinesin war.

Das Wort Gesinnung höre ich oft an diesem Abend. Es ist das Argument, warum man sich hier trifft. Auch Arne Rosenkranz ist vor Ort, Sohn von Barbara und Horst Rosenkranz. Barbara war 2010 Bundespräsidentschaftskandidatin der FPÖ und Horst ist ehemaliger Funktionär bei der aufgelösten NDP und der rechtsextremen Partei „Ein Herz für Inländer". Er erzählt mir, dass seine Eltern nur norddeutsche Namen für die Kinder wollten. Gemeinsam haben sie zehn. Seine Geschwister heißen Hedda, Ute, Alwine, Sonnhild, Volker, Hildrun, Mechthild, Horst und Wolf.

Die Eröffnung

Bei der Eröffnung sprechen neben Norbert Hofer, ehemaliger Präsidentschaftskandidat, auch Johann Gudenus, stellvertretender Bürgermeister Wiens und Professor Andreas Hauer. Sätze wie „Wir haben gewonnen, die anderen verloren" fallen in Verbindung mit den Demonstranten und der ordentlichen Mitte der Gesellschaft, also der Anwesenden. Die Menge applaudiert. Männer rufen „Bravo". Man sieht sich als Leistungsträger. Professor Hauer: „Wir sind vorwiegend Ärzte, Juristen, Wirtschaftswissenschaftler, Techniker - eher selten vielleicht Politikwissenschaftler oder Absolventen der Publizistik und Kommunikationswissenschaften. Wenn man solche sucht, solle man vielleicht eher am Ballhausplatz [Ort der Demonstration] recherchieren." Die Anwesenden lachen. Hauer weiter: „Wir sind vielfach Freiberufler, Unternehmer, leitende Staatsbedienstete. (...) Das heißt auch, dass wir zu unserem Gemeinwesen überdurchschnittlich beitragen. Ich weiß jetzt nicht genau, wie sich die Demonstrationen draußen so zusammensetzen. Aber den Kleidungsgewohnheiten nach zu urteilen, scheint zumindest ein Teil davon nicht in die Verlegenheit zu kommen, sich mit den höheren Progressionsstufen des Einkommenssteuerrechts auseinander setzen zu müssen." Die sich sozial propagierende Partei FPÖ lässt zu, dass Demonstranten diffamiert werden, weil sie arm scheinen und nicht die für Anwesende üblichen drei, vier Fachrichtungen studieren. Die Menge lacht und applaudiert.

Als Norbert Hofer zur Bühne geht knicksen die Tänzerinnen des Eröffnungstanz. Das Element Knicks kann auf Bällen verwendet werden. In der Kulisse der Hofburg wirkt es wie gelebte Monarchie.

Die richtige Couleur - Schwarz, rot, gold!

Menschen trinken. Feiern. Lachen. In den Saallogen sitzen Menschen in Ballrobe. Diejenigen, die sich keinen Sitzplatz erkauft haben, stehen in den Gängen und versuchen die Eröffnung zu verfolgen. Sie drängeln. Überall sind Grün-weiß-rote Kappen, Schwarz-Rot-Goldene Couleurbänder, violette Mützen. Mit Couleur sind die Farben der zugehörigen Burschenschaft gemeint. Burschenschafter tragen Uniform zu speziellen Anlässen, das heißt Band und je nach Verbindung auch Mütze.

Hinter der Bühne hängen drei Fahnen: Eine sieht aus wie eine Deutschlandflagge. In der Mitte die neu gestifteten WKR-Flagge, rechts die rot-schwarz-rote Fahne des Österreichischen Pennälen Rings. Der ÖPR ist der Dachverband aller Verbindungen in Österreich. Keine Österreichfahne. Kein rot-weiß-rot. Für mich als Deutsche, die oft spöttisch als Piefke gerufen wird in Österreich, ist es seltsam, so oft die Farben Schwarz-rot-gold zu sehen. Aber damit ist nicht die aktuelle Fahne der Bundesrepublik Deutschland gemeint, sondern die historischen Farben der Urburschenschaft Anfang des 19. Jahrhunderts. Es waren auch die Farben auf der Fahne des Hambacher Festes 1832 und der Revolution 1848. Laut der Burschenschaft Marko-Germania Pinkafeld, welcher auch Norbert Hofer angehört, bedeuten das Tragen von Farbe ein Zeichen. „Farbe tragen heißt Farbe bekennen! Man steht zu dem, was man sagt und tut." Norbert Hofer sagt: „Ich trage diese Fahne mit Stolz. (...) Damit sich diese Farben wieder erheben können."

Zahlreiche Männer tragen die Couleur. Ich frage nach. Der Grund dafür sei das Volk. Man habe in der Vergangenheit versucht, die Nationen zu trennen, aber eigentlich sieht man ja an der Sprache, dass wir, die Deutschen und Österreicher, eins sind. Später wird die deutsche Nationalhymne gespielt. Es singt niemand mit. Danach bricht Jubel aus.

Rechtsextreme aus dem Ausland

An der Bar höre ich Englisch und Französisch. Die Chefetage der französischen Identitären sind angeblich auch in der Hofburg. Die Identitäre Bewegung wird vom Verfassungsschutz in Österreich (und Deutschland) als rechtsextrem eingestuft. Mitglieder der franzözischen Génération Identitaire sind am Ball anwesend.

Besuch aus Übersee

Während der Mitternachtsquadrille stellt sich ein großer Mann vor mich. Seine Frau zieht ihn wieder weg und entschuldigt sich bei mir, dass er sich vor mich gedrängelt hat. Wir kommen ins Gespräch. Sie sind Mitte 50. Sandra stammt aus Tirol und ist nach dem Studium in die USA ausgewandert. Ihr Mann Robert ist Niederländer. Er ist lustig, quatscht gerne Leute an, tanzt inmitten der Ballgäste. Nach der Quadrille fragt er vorbeigehende Burschenschafter, was das für lustige Hüte seien und wo sich der junge Mann verletzt habe. Robert deutet auf die Narbe im Gesicht. Sandra versucht ihn abzuhalten. Sie kennt die Bräuche in Österreich und weiß, welche Fragen man besser nicht stellt. Doch sie beantworten seine Fragen. Am Ende spendieren sie ihm ein Stamperl.

Das Ehepaar ist für eine Woche während der Ballsaison hergeflogen. Es ist der dritte Ball der Woche, meint Sandra. Sie wussten nichts von den Demonstrationen. Eine Freundin aus Amerika hat sie angerufen, um sie zu warnen. Wohl war ihnen nicht, aber Robert wollte unbedingt in die Hofburg. Sie wollen nur tanzen. Aber generell, meint sie lachend, hat sie bei der Eröffnungsrede nicht viel denken müssen, um Robert alles zu übersetzen. Sie hat einfach genau das gesagt, was Trump seit Monaten sagt: „Make Amerika great again" und „Amerika first". Nur eben mit Austria.

*Namen von der Autorin geändert.

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