Suud Olat lebte 20 Jahre in Dadaab, einem der größten Flüchtlingslager der Welt. Am World Refugee Day will er US-Präsident Trump eine wichtige Frage stellen.
Lange war das kenianische Flüchtlingscamp Dadaab - das eigentlich aus fünf separaten Lagern um den Ort herum besteht - das größte weltweit. In dem eingezäunten, wüstenartigen Gebiet nahe der Grenze zu Somalia lebten zeitweise eine halbe Million Menschen. Die meisten von ihnen sind vor dem somalischen Bürgerkrieg geflohen. Hussen Mohamud, genannt Suud Olat, ist in dem Camp aufgewachsen. Die ersten Buchstaben, die er lernte, waren U-N-H-C-R, das Akronym des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen. Seit sechs Jahren lebt der 27-Jährige in den USA, studiert im zweiten Semester Film und Kommunikation an einer Universität im Bundesstaat Minnesota und ist Vorstandsmitglied von Film Aid International, einer NGO, die Videos für und mit Geflüchteten produziert. Am World Refugee Day will er US-Präsident Donald Trump eine wichtige Frage stellen.
Suud Olat: 1991 brach nach dem Sturz des Diaktators Siad Barre in Somalia, dem Land in dem ich geboren bin, der Bürgerkrieg aus. Ich war einen Monat alt, als meine Eltern 1991 vor der Gewalt nach Kenia geflohen sind. Nach dem Grenzübertritt wurden wir in das Camp gebracht. Zwanzig Jahre lang war das dann mein Zuhause.
Die Buchstaben U-N-H-C-R waren die ersten, die ich gelernt habe. Sie stehen überall geschrieben. Zum Beispiel auf den Plastikplanen, die wir als Regenschutz auf unseren Zelten hatten. Wasserdicht waren die zwar nicht wirklich, ich bin dennoch der Meinung, dass das UNHCR und auch die anderen Hilfsorganisationen versucht haben, ihr Bestes zu geben, um uns zu helfen.
In Dadaab wächst man in einer Gesellschaft auf, in der es keine Arbeit, schlechte medizinische Versorgung, wenig Essen, keine Freiheit und wenig Hoffnung gibt. Beinahe täglich haben sich meine Eltern stundenlang bei der Wasserleitung angestellt oder versucht, etwas Essbares aufzutreiben. Aber die meiste Zeit haben sie einfach nur gewartet. Denn es gibt keine Möglichkeit, zu arbeiten oder sonst etwas zu tun. Man darf das Gelände nicht verlassen. Wenn man es doch tat, verhaftete einen die kenianische Polizei, die es umstellt. Denn Nairobi hat kein Interesse daran, uns dauerhaft zu integrieren.
Die Hilfsorganisationen haben in Doppelschichten gearbeitet, um uns eine Grundbildung zu ermöglichen. Aber nicht alle Kinder gingen zur Schule. Meinen Eltern war es sehr wichtig, dass ich zum Unterricht gehe, aufpasse und lerne. Sie wussten, dass Bildung der Schlüssel ist, um aus dem Camp rauszukommen. Ich habe ein bisschen Mathe gelernt, ein bisschen Englisch, ein bisschen Naturwissenschaften. Aber in die Schule zu gehen, war eine große Herausforderung. Ich musste jedes Mal fünf Meilen hin und zurück laufen. Ohne Schuhe. Wenn es regnete, kam Wasser in das Klassenzimmer und die wenigen Bücher, die wir hatten, wurden nass. Manchmal, wenn ich im Klassenzimmer saß, dann knurrte mein Magen so laut, dass alle es hörten. Aber das war normal. Denn auch die Mägen meiner Mitschüler knurrten. Unsere Familien konnten uns keine drei Mahlzeiten am Tag geben. Es war eine schwere Zeit. Eine, die noch viele durchleben, jetzt in dem Moment, in dem wir miteinander sprechen.
Nein, niemals. Bis heute gibt es keine funktionierende Regierung und die Terrororganisation al-Shabaab ist immer noch da. Wenn ich zurückgegangen wäre, hätte ich entweder als Soldat einer der Übergangsregierungen kämpfen müssen oder als Krieger der Terrororganisation. Eine andere Wahl haben junge Menschen wie ich nicht.
Natürlich, denn in Dadaab gibt es keine Hoffnung. Man lernt, beendet die Schule, aber man hat keine Chance zu arbeiten. Dadaab ist wie ein Freiluftgefängnis. Eines, in dem fast eine Viertelmillion Menschen eingesperrt sind. Also bezahlen viele Menschen Schlepper, um nach Europa zu fliehen. Auch wenn das lebensgefährlich ist. Diejenigen, die sich auf den Weg machen, sagen, dass es keinen Unterschied für sie macht, ob sie im Camp in Kenia bleiben oder im Mittelmeer sterben.
Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Auch wenn das Leben im Camp schrecklich ist, ist es keine Lösung, das Camp zu schließen. Dann hätte eine Viertelmillion Geflüchteter keinen Ort mehr, den sie ihr Zuhause nennen können. Zurück nach Somalia können sie nicht. Ein neues Leben in Kenia geht auch nicht, da sich die kenianische Regierung weigert, die Geflüchteten dauerhaft zu integrieren. Also wollen sie weiterfliehen. Nach Europa oder in die USA. Weil sie von einem besseren Leben träumen.
Unterschiedliche Faktoren spielen eine Rolle. Wenn du zum Beispiel krank bist und im Camp nicht behandelt werden kannst. Oder wenn du drohender Gefahr ausgesetzt bist - dafür einen handfesten Beweis an das UNHCR zu liefern, ist jedoch äußerst schwierig. In meinem Fall war ausschlaggebend, dass ich bereits 20 Jahre im Camp gelebt hatte, mich dort für die Gemeinschaft engagierte und von den Hilfsorganisationen für das Programm empfohlen wurde. Aber die Resettlement-Programme sind nicht die Lösung des eigentlichen Problems. Nur ein Prozent wird ausgewählt.
Ich antworte, dass ich Amerikaner bin. Erst wenn jemand nachfragt, erzähle ich, dass ich als Baby aus Somalia geflüchtet und in einem Camp aufgewachsen bin. In den USA leben so viele Menschen aus allen Ecken der Welt, so viele, die selbst eingewandert sind, aber immer noch wird darüber diskutiert, wer kommen darf und wer nicht. Dann sage ich: Hey, Geflüchtete sind echte Menschen, mit echten Bedürfnissen. Sie brauchen Hilfe und Gastfreundschaft. So wie alle anderen Menschen auch.
Als Kind wusste ich nicht, dass ich ein Geflüchteter bin. Ich dachte, dass ich in meinem Land lebe und frei bin. Bis zu meinem 16. Lebensjahr. Eines Tages wollte ich weg, raus aus dem Camp, aber die kenianische Polizei versperrte mir den Weg. Ich kann mich noch genau an diesen Moment erinnern, als ich realisierte, dass für mich andere Regeln gelten.
An diesem Mittwoch ist World Refugee Day. Ist das für Sie ein besonderer Tag?Zufällig ist Donald Trump an diesem Tag für eine öffentliche Veranstaltung in Minnesota, dem Staat, in dem ich wohne. Ich werde dort hingehen und ihm folgende Frage stellen: "Was werden Sie für Geflüchtete tun?"
Ich werde zumindest alles daran setzen, gehört zu werden.
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