Stuttgart. (dpa-lsw) Noch einmal reden, noch einmal die Hand halten oder gemeinsam lachen. Wenn jemand stirbt, fällt all das plötzlich weg. Wie wird man damit fertig? Gemeinsames Trauern in einer Gruppe kann ein Weg sein, den Verlust eines geliebten Menschen zu verkraften.
Als Trauerbegleiterin unterstützt Anke Keil Menschen nach Verlusten. Für sie gehören Trauer und Tod zum Alltag. Traurig wirkt die 40-Jährige bei einem Besuch im Stuttgarter Hospiz St. Martin aber nicht. "Warum auch? Der Tod gehört zum Leben dazu", sagt Keil.
Durch die Corona-Pandemie sei in der Trauerarbeit vieles im Umbruch. Trauern per Zoom-Schalte sei zwar zum Glück aktuell nicht mehr nötig, aber das Virus bringe neue Aspekte in ihre Arbeit. "Das Thema Schuld spielt bei Menschen, die jemanden während des ersten Lockdowns verloren haben, eine große Rolle", erklärt die Theologin. Besuche im Krankenhaus waren oft nicht möglich, der Abschied blieb ähnlich wie bei einem Unfalltod aus. "Das Bild, das ich hatte, zum Beispiel, dass ich die Hand halte, konnte nicht erfüllt werden", beschreibt sie die Gedanken einiger Trauernden.
Quälende Schuldgefühle könnten die Folge sein. "Betroffene entwerfen oft ganz schlimme Bilder über Schmerzen und Einsamkeit. Dadurch verliert man häufig den Zugang zu wertvollen Erinnerungen von davor."
Menschen, die Angehörige durch Covid-19 verloren haben, würden erst langsam den Weg in die Trauerbegleitung finden. "Ich glaube, dass viele damit beschäftigt waren, ihren Alltag in der Krise zu strukturieren. Da war wenig Platz für Trauer und Trauerbegleitung", erklärt Keil. Auch die Angst vor Ansteckung könnte bei den hohen Infektionszahlen eine Rolle gespielt haben.
Seit langem sind Todeszahlen in Zusammenhang mit Corona täglich in den Nachrichten. Im Südwesten sind nach Angaben des Landesgesundheitsamts bisher mehr als 10 400 Menschen an oder mit Covid-19 gestorben. Verändert das unser Verhältnis zum Tod? "Das hängt davon ab, inwiefern ich selbst betroffen bin. Für alle, die niemanden verloren haben, bleiben das abstrakte Zahlen", sagt der Soziologe Matthias Meitzler von der Universität Passau. "Auch schon vor der Pandemie wussten alle, dass täglich Menschen sterben. Das verdrängen die meisten aber im Alltag", so Meitzler, der in Projekten den gesellschaftlichen Umgang mit Tod und Trauer untersucht hat.
Die Pandemie könnte aber Trends rund um Tod und Trauer verstärkt haben. "Trauer und Beisetzungen werden zunehmend technisiert. Dazu gehören etwa Trauerhallen mit Kameras, die auf Wunsch die Trauerrede filmen, damit Nichtanwesende sie per Stream verfolgen können", sagt der 35-Jährige. Früher habe das Filmen noch als pietätlos gegolten.
Auch der Wunsch nach privateren Beisetzungen könnte zunehmen. Das habe sich schon vor Corona abgezeichnet. "Immer häufiger steht in Traueranzeigen, dass von Beileidsbekundungen am Grab abzusehen sei. Oder die Beisetzung hat längst unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden", erläutert Meitzler. Er betont aber, dass Trauer viele Gesichter habe. "Wer nur mit wenigen Menschen oder allein trauern möchte, kann es als befreiend empfinden, dass große Feiern durch Corona nicht möglich waren."
Auch Anke Keil berichtet von Menschen, die in Zeiten der Trauer den Rückzug ins Private schätzen gelernt haben. "Man musste sich manche vermeintlich tröstende Sprüche nicht anhören, das ist auch ein Vorteil." Andere Menschen hätten sich nach ihrem Verlust dagegen alleine gefühlt.
Der Soziologe und die Trauerbegleiterin sind sich einig: Der Umgang mit Trauer verändert sich fortwährend. "Wie bei dem Virus selbst wissen wir in der Trauerbegleitung vieles noch nicht", sagt Keil. Sie könne nicht einschätzen, ob Psychologen und Trauerbegleiter wegen erschwerter Trauer künftig überrannt würden. Solche "Teesatzlesereien" brauche sie nicht. "Wir stehen noch am Anfang einer möglicherweise noch sehr langfristigen Entwicklung", meint Meitzler. Entscheidend sei auch, wie sich die Pandemie entwickle.