In der Feldkirchener Mangfallhalle riecht es nach Schweiß, die Luft ist abgestanden. Durch den Raum dringen laute Kommandos, „verschieben!", „Hintermann!" und vor allem: „kein Foul!". Zu hören ist das schrille Quietschen von vierundzwanzig Schuhsolen. Zehn verschwitzte Spieler laufen dem Ball hinterher, scharf beäugt von vier Schiedsrichteraugen auf den beiden Seitenlinien. Was für die wenigen Zuschauer auf der Tribüne nach Hallenfußball aussieht, ist auch Hallenfußball - und irgendwie auch wieder nicht.
Der Sport, dem die Hobbykicker an einem verschneiten Wintertag im bayerischen Voralpenland nachgehen, nennt sich Futsal. Futsal leitet sich vom portugiesischen Ausdruck futebol de salão oder dem spanischen fútbol sala ab, was nichts anderes als Hallenfußball heißt. Doch mit dem, was die Leute landläufig unter Hallenfußball verstehen, hat Futsal nur wenig zu tun.
Im ersten Spiel des Tages stehen sich der Bayerische Meister SV DJK Kolbermoor und der SV Ostermünchen gegenüber. Beide Mannschaften haben am letzten Spieltag der Auerbräu-Futsal-Liga noch Chancen auf den Meistertitel, der zur Teilnahme an der oberbayerischen Meisterschaft berechtigt, die im Januar in Ingolstadt stattfinden wird. Zur Pause haben beide Teams jeweils zwei Tore geschossen, doch in der zweiten Halbzeit leistet sich der Favorit aus Kolbermoor zu viele Fouls, und das ist beim Futsal fatal: Am Ende siegt Ostermünchen mit 8:2, fünf Tore fallen von der Zehn-Meter-Marke.
Nach der Niederlage sind Spieler aus Kolbermoor nicht gut auf das Schiedsrichterduo zu sprechen: „Die glauben, die haben Ahnung von Futsal", meint einer der Spieler. Im gleichen Atemzug schimpft er jedoch auf seine Vereinskameraden, die das Skifahren vorgezogen haben oder angeblich krank seien. Auf der obersten Tribünenstufe verschafft sich ein etwa 70-jähriger Mann in Trainingsjacke und Baseball-Mütze wegen der Strafstoßorgie Luft: „Das hat mit Fußball nichts zu tun". „Der ganze Verband macht sich doch lächerlich." Dieser Vorwurf soll im Verlauf des Tages noch öfters fallen. Futsal hat keinen leichten Stand in deutschen Sporthallen.
Keine dreißig Leute verirren sich an diesem Samstag in der Feldkirchener Halle, obwohl an diesem Tag die Meisterschaftsentscheidung fällt. Die meisten Zuschauer sind ohnehin Freunde, Verwandte oder Bekannte der Spieler, aber das ist nicht ungewöhnlich im Amateurfußball und deswegen unter dem Dach nicht anders als draußen.
Hallenfußball, oder „Budenzauber", wie die Zeitungen gerne schreiben, war noch vor zehn, fünfzehn Jahren der große Renner in Deutschland. Wenn der Winter durch Schnee und Frost das Spielen draußen unmöglich machte, verlagerte sich der Rummel nach drinnen, in die Hallen. Zwischen 1987 und 2001 fand jährlich das sogenannte Hallen-Masters des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) statt, so etwas wie die deutsche Hallenmeisterschaft. Die Bundesligavereine ließen ihre Stars auflaufen, die Zuschauer strömten in Massen herbei, das Deutsche Sportfernsehen übertrug live und die Veranstalter, die sogar ausländische Topklubs eingeladen hatten, rieben sich angesichts voller Kassen die Hände.
Jahrelang erfreuten sich die Fußballfans, die auch im Winter nicht auf ihren Lieblingssport verzichten wollten, am schnellen Spiel mit der Bande und vielen Toren. Doch Ende der 1990er-Jahre reformierte der DFB das System und presste den Hallenfußball in ein starres Korsett. Die finanziellen Anreize wurden immer größer, bis sich das taktische Geplänkel des Rasens auch aufs Parkett verlagerte. Ausländische Teams waren nicht mehr zugelassen, während die Bundesligavereine nach einem wenig durchschaubaren Schlüssel einem der nunmehr fünf Turnierorte zugeteilt wurden. Der Hallenfußball hatte eine neue Ordnung gewonnen, aber nahezu jeglichen Reiz verloren.
Anfang des 21. Jahrhunderts ließ der DFB seine Missgeburt langsam aber sicher sterben. Seit bald zehn Jahren gibt es keine offizielle Hallenrunde mehr, während die Funktionäre die Winterpause im selben Zeitraum auf vier Wochen zusammenschrumpften. Fußball in der Halle, das klingt inzwischen etwas angestaubt und selbst das traditionsreiche Wiener Stadthallenturnier wird nicht mehr ausgetragen - 1971 siegte dort der FC Bayern München mit Franz Beckenbauer und Gerd Müller.
International gab es eine ganz andere Entwicklung als in Deutschland oder Österreich. Erst jetzt, so scheint es, wacht der DFB auf und möchte auf den Zug mit aufspringen. Futsal ist in Deutschland weitgehend unbekannt, in Wirklichkeit jedoch nicht viel jünger als Fußball selbst. Die Wurzeln sind in der uruguayischen Hauptstadt Montevideo zu finden, wo bereits in den 1930er-Jahren in der Halle gekickt wurde. Der Sportlehrer Juan Carlos Ceriani legte die ersten Regeln fest, deren Grundzüge auch heute noch gelten. Der größte Unterschied zum Hallenfußball, wie er sich später in Deutschland entwickeln sollte, besteht im Seitenaus, das ein Spiel mit der Bande unmöglich macht. Ein weiterer, wichtiger Unterschied: Der Ball ist ein wenig kleiner, weist einen geringeren Druck auf und ist etwas schwerer als ein „normaler" Fußball.
Seit 1989 organisiert die FIFA Weltmeisterschaften, die UEFA veranstaltet seit 1996 Europameisterschaften. Bei Ersteren ist Brasilien das Non-Plus-Ultra, bei Letzteren Spanien.
Deutschland hat noch nicht mal eine Nationalmannschaft. Bis 2013, so hat es der DFB immerhin versprochen, soll eine deutsche Auswahl aufgebaut werden. Derzeit spielen mit Kevin Reinhardt (Teplice, Tschechien) und Benjamin Sahel (Olimpic de Triana, Spanien) nur zwei deutsche Spieler im Ausland. Immerhin gibt es bereits eine Süddeutsche Auswahl, in der die beiden Kolbermoorer Spieler Viktor Gruber und Franz-Xaver Pelz die bayerischen Farben vertreten.
Nach dem Auftaktspiel der Auerbräu-Liga, das eine Vorentscheidung in der Meisterschaftsfrage bringt, fällt das Niveau deutlich herab. Einige Mannschaften haben noch nicht mal einen Trainer dabei, geschweige denn eine Taktiktafel, und von einstudierten Spielzügen ist nichts zu sehen. Die meisten Mannschaften spielen einfach „Hallenfußball" und nehmen Futsal offenbar ebenso wenig ernst wie der Fußballverband.
Das Futsal in Bayern wenigstens etwas auf dem Vormarsch ist, hat viel mit dem BFV-Futsal-Beauftragten Armin Bernard zu tun. Der Funktionär lässt nichts unversucht, um den Hallenfußball ohne Bande zu propagieren. Aus eigener Erfahrung weiß er, dass seine Mission alles andere als leicht ist. „Man hat viel Überzeugungsarbeit zu leisten", sagt Bernard. „Der Bayer ist nun mal so: Was er nicht kennt, frisst er nicht."
In der Tat ist die Zuschauerresonanz beim Sparkassen-Cup, der offiziellen Hallenmeisterschaft des Inn-Salzach-Kreises um einiges höher als bei den Futsal-Begegnungen. Und auch die Vereine selbst nehmen den „traditionellen" Hallenfußball ernster: Während beim Futsal oft eine Truppe aus A-Jugendlichen und Spielern der zweiten Mannschaft zusammengestellt wird, tritt beim Sparkassen-Pokal die erste Mannschaft in Bestbesetzung an. Dennoch, da ist sich Bernard sicher, wird Futsal über kurz oder lang den Hallenfußball ablösen. Doch alsbald relativiert er seine Aussage: „Der Zeitpunkt, wann dies in die Tat umgesetzt wird, ist für mich noch nicht absehbar."
Am frühen Nachmittag steht neben dem TSV Neubeuern auch Türkspor Rosenheim als Absteiger in die 2. Auerbräu-Liga fest, deren Niveau man sich nicht unbedingt vorstellen will. Selbst den Erstliga-Akteuren unterlaufen haarsträubende Regelpatzer, die draußen in der regulären Saison unvorstellbar wären.
Am Abend kommt es zum alles entscheiden Spiel zwischen Ostermünchen und Vorjahresmeister Bad Endorf. Der Herr in der Trainingsjacke ist wieder da und redet auf Armin Bernard ein: „Futsal heißt ohne Körperkontakt", und „die Schiris sollen mal was lernen", doch so richtig will ihm keiner zuhören. „Es ist ein Mythos, dass Futsal ein körperloses Spiel ist", sagt Stephan Kammerer, der bekannteste deutsche Futsal-Schiedsrichter. „Dennoch gibt es einige Regeln, die dazu führen, dass das Spiel insgesamt weniger unfair ist." Der ältere Herr jedoch rückt von seinem Standpunkt nicht ab: „Das hat mit Fußball nichts zu tun" sagt er drei, vier, fünf Mal hintereinander und merkt nicht, wie falsch und gleichzeitig wahr sein zum Mantra gewordener Kommentar ist. Obwohl er mit damit droht, unverzüglich heimzufahren, bleibt er bis zum Schluss.
Ostermünchen, das auf sein zweites Spiel fünf Stunden warten musste, liegt schnell 0:2 zurück, kann die Partie, die wieder etwas mehr nach Futsal aussieht, am Ende jedoch mit 3:2 für sich entscheiden. Bei der oberbayerischen Meisterschaft werden die Ostermünchner zum Favoritenkreis zählen: In den restlichen Kreisen Zugspitze, München und Donau/Isar hat Futsal einen noch viel schwereren Stand als im Alpenvorland.
Vaclav Demling
Fustal:
- Keine Bandenbegrenzung
- 5 Spieler pro Mannschaft
- Handballtore
- 2x 20 Minuten Nettospielzeit
- Sprungreduzierter, kleinerer Ball
- Einkick statt Einwurf
- Auszeit pro Halbzeit
- Kumulierte Mannschaftsfouls
Abschlusstabelle der Auerbräu-Futsalliga:
1. SV Ostermünchen
2. TSV Bad Endorf
3. SB DJK Rosenheim
4. ASV Happing
5. SV DJK Edling
6. SV DJK Kolbermoor
7. Türkspor Rosenheim
8. TSV Neubeuern