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Mehr als Graswurzel-Suppe | Forum - Das Wochenmagazin

Schöpfgerichte für Menschen in Funktionsberufen - eine Initiative des Berliner Restaurants "Tulus Lotrek". Logo: Kochen für Helden

Viele Restaurants engagieren sich bei „Kochen für Helden" bundesweit. Die ehrenamtliche Initiative von Max Strohe und Ilona Scholl vom Berliner „Tulus Lotrek" trägt mit Gulasch, Suppe und Currys dazu bei, dass Menschen in Funktionsberufen kostenlos gutes Essen bekommen.

Das „Tulus Lotrek" ist geschlossen. So richtig, mit Schlüssel in der Restauranttür. Damit keiner einfach hereinspaziert, wenn Ilona Scholl direkt hinterm Fenster sitzt und an ihrem Rechner arbeitet. Gleichzeitig wird viel mehr gekocht als in „normalen" Zeiten, wenn Max Strohe und sein Team ihre High-End-Gerichte servieren. Jetzt heißt es: andere Zeiten, andere „Gäste". Die arbeiten derzeit zum Wohle der Gesellschaft in Kliniken, Arztpraxen, Laboren, Altenheimen, in Polizei- und Feuerwehrwachen, Supermärkten und Apotheken. Für diese „Angehörigen in Funktionsberufen" kocht das „Tulus Lotrek"-Team nun unter strenger Beachtung von Hygienestandards im kleinsten Kreis für die Helden der Jetztzeit.


Die Initiative „Kochen für Helden" entstand spontan, weil Max Strohe und Ilona Scholl nach der Schließung ihres Restaurants dennoch aktiv sein wollten: „In Zeiten der Krise muss man Dinge anders machen - oder andere Dinge tun", sagt Mitinhaber und Küchenchef Max Strohe. „Wir haben das Projekt angefangen, um diejenigen, die in Zeiten der Krise den Laden zusammenhalten, mit einer Kleinigkeit zu unterstützen. Wir würden sehr gern viel mehr machen, aber der Beitrag des Rests der Gesellschaft muss ja sein, die Kurve flach zu halten. Deshalb kochen wir hier mit sparsamstem Personaleinsatz Schöpfgerichte und liefern sie kontaktlos aus. Wir wollen so wenige Leute wie möglich einbinden."


Kühlung und Küche waren voll mit Waren, die nicht weggeworfen werden sollten. Deshalb werden anstelle von Spitzenküche nun Gerichte wie Gulasch, Currys und Suppen gekocht. Lecker, gesund und Tag für Tag frisch zubereitet. Ehrenamtlich und kostenlos werden sie abgegeben. In Portionsbehältern verpackt und kontaktlos ausgeliefert oder auf der Restaurant-Terrasse von 12 bis 14 Uhr bereitgestellt. „Aber nur nach Anmeldung und Absprache in einem engen Zeitfenster", sagt Mitinhaberin und Gastgeberin Ilona Scholl. „Hat sich jemand für 25 Portionen um 12.15 Uhr zum Abholen gemeldet, dann steht das Essen um 12.14 Uhr draußen." Und niemand sonst, bitte! Beträfe nur einen der „Lotrekkies" ein Corona-Verdacht, müsste das Team wirklich einpacken und das Kochen einstellen. „Gegen 9.30 Uhr fahren wir mit dem Transporter in die Kliniken." Die Mitarbeiter einzelner Stationen, etwa aus dem Jüdischen Krankenhaus im Wedding, melden sich im Restaurant und geben ihren Bedarf durch. Ärztinnen und Pflegerinnen von dort bedankten sich kürzlich auf Facebook mit Suppentellern in der Hand und Herz-Symbolen auf den Fotos.


Bis zu 800 Portionen täglich gehen beim „Tulus Lotrek" heraus. „Die Krankenhäuser tun gerade das absolut Richtige, wenn sie Kantinen schließen oder sonstige Orte, an denen Ärzte und Pfleger zur Träubchenbildung zusammenkämen. Kantinen sind ja wunderbare Virus-Umschlagplätze. Dann also lieber eine dezentralisiertere Lösung finden", sagt Max Strohe. Binnen Tagen wuchs die Initiative. Bei dieser „Graswurzelbewegung von Gastronomen" machen allein in Berlin 18 Restaurants mit: vom „Khwan" bis zu „Tim Raue", vom „Sissi" bis zu „Madame Ngo". Auch das „21 Grams", „Horváth", „Christopher's" und „Cordo" etwa sind dabei. Sehr schnell setzten bekannte Küchenchefs das Projekt in ihren Städten fort: Tim Mälzer in Hamburg, Robin Pietsch in Wernigerode oder Sascha Stemberg in Velbert. Parallel fand die Aktion große mediale Aufmerksamkeit - sogar die „New York Times" berichtete inzwischen.


Täglich kommen überall neue Restaurants hinzu. Sie lassen sich gar nicht so schnell nachzählen, wie auf der Webseite www.kochen-fuer-helden.de aktualisiert wird. Diese zentrale Plattform ging mit Hilfe weiterer Unterstützer binnen einer Woche online. Dort finden interessierte Restaurants Infos, FAQs und Empfehlungen zum bestmöglichen Ablauf, gibt es Lieferscheine und eine Presseinfo als Vorlage zum Download. Und - am wichtigsten - die Kontaktdaten zu den mitmachenden Restaurants, für diejenigen, die Essen bestellen wollen. „Meldet euch direkt bei den Restaurants in eurer Nähe oder schreibt uns eine Nachricht", heißt es. Wer weniger als 100 Portionen benötigt, soll sich per Telefon oder Mail direkt an die Lokale wenden.


Entstand die Idee anfangs aus dem Wunsch, Waren nicht verderben zu lassen und „mit dem egoistischen Seitenstrang, dass uns das von unserer eigenen Situation ablenkt", sind Ilona Scholl und Max Strohe inzwischen auf eine längere Laufzeit eingestellt. Die eigenen Bestände sind längst weggekocht. Lieferanten und Großmärkte unterstützen mit Lebensmitteln. Nun wollen Unternehmen auch gezielt Geld für das Projekt spenden. Das beschert den Initiatoren neue Aufgaben. Geldspenden müssen ordentlich eingenommen, verbucht und nachgewiesen und eine neue Organisationsform gefunden werden. Über Crowdfunding kamen in einem ersten Schritt zusätzlich 20.000 Euro für die Dinge zusammen, für die Lebensmittelspenden nicht geeignet sind: Infrastruktur, Energie, Abfall und Transport beispielsweise. Die Kampagne auf Startnext läuft bis Ende Juni und hat sich im zweiten Schritt 50.000 Euro zum Ziel gesetzt.


Als Sozialunternehmerin auf Dauer sieht sich Ilona Scholl keineswegs. „Wir wollen super gern in unser Restaurant zurück", sagt sie. „Ich möchte wieder Max' Menüs ansagen, und ich freue mich auf einen hoffentlich wieder gut gefüllten Gastraum." Bis dahin stimmt „Kochen für Helden" nicht nur die Bekochten, sondern auch die Initiatoren froh: „Wenn du eine Schwester auf einem Foto ihre Lauchsuppe löffeln siehst, gibt dir das direktes Feedback."

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