Pressetermin am Kurfürstendamm: Am Vormittag stellten Vitali (39) und Wladimir Klitschko (35) in der Astor Film Lounge Teile ihrer Film-Biografie Klitschko vor. Ab Nachmittag zeigten die beiden Box-Weltmeister Stehvermögen bei der Promotion für die Dokumentation. Auch nach mehreren Stunden Interview-Marathon sind sie noch bestens gelaunt. "Welche Fragen können Sie nicht mehr hören?", fragt ein Kollege. Ohne zu zögern antwortet Vitali Klitschko: "Wir können jede Frage hören." Na dann mal los.
Vitali und Wladimir Klitschko, Sie gelten als die intelligentesten Box-Weltmeister in der Geschichte dieses Sports. Lernen Sie mehr im Leben für das Boxen, oder lernen Sie während eines Boxkampfs mehr für das Leben?Wladimir Klitschko: Beides. Aber man lernt doch mehr beim Boxen für das Leben. Dank dieses Sports bekommen wir eine unglaubliche Ausbildung, die wir an keiner Universität der Welt bekämen. Das heißt: viel reisen, viel sehen, in verschiedenen Ländern leben und Sprachen lernen, andere Gesellschaften und große Persönlichkeiten kennenlernen. Und das aus allen Bereichen der Gesellschaft, egal ob Politik, Philosophie, Kunst, Wirtschaft oder Schauspiel. Es gilt im geschäftlichen genau wie im sportlichen Leben, sich durchzuboxen. Überall gibt es eine starke Konkurrenz und man muss der Beste sein, um weiterzukommen.
Vitali, Sie sind Boxer und PolitikerVitali Klitschko trat mehrfach als Kandidat für das Bürgermeisteramt der ukrainischen Hauptstadt Kiew an und ist Vorsitzender der 2010 neu gegründetetn Partei UDAR (Ukrainische demokratische Allianz für Reformen). Udar heißt im Ukrainischen so viel wie Schlag. : Was ist für Sie härter, ein Boxkampf oder ein Wahlkampf?Vitali Klitschko: Als ich mit Boxen angefangen habe, waren die ersten Lehrstunden sehr hart. Man weiß nicht, wie man sich verteidigt und man kennt die Regeln nicht. Ich erinnere mich noch gut daran, als ich nach dem ersten Training nach Hause gekommen bin: Meine Mutter hat die Tür aufgemacht und die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Ich hatte eine blutige Nase, blaue Flecken und geschwollene Lippen.
Genau wie in der Politik?Vitali Klitschko: Das Wichtigste im Leben ist Erfahrung - egal in welcher Branche. Und Erfahrungen kann man nur durch selbst Erlebtes machen. So ist das auch in der Politik, besonders in der Ukraine. Da gibt es sehr viele Tiefschläge. Wenn man das mit Boxen vergleicht, ist Politik ein Kampf ohne Regeln.
Wie viel Erfahrung haben Sie als Politiker im Vergleich zum Boxen?Vitali Klitschko: Nach 25 Jahren als Boxer kann ich mir erlauben, auch mal zu provozieren: Ich habe die Hände unten und spekuliere im Cowboy-Stil, was mein Gegner macht, weil ich genug Erfahrung und Selbstvertrauen habe. In der Politik bin ich zwar noch Anfänger, aber in den paar Jahren habe ich schon viel erreicht. Ich möchte kein Sofa-Experte werden, sondern aktiv dabei sein und für die Ukraine kämpfen. Ich möchte nicht warten, bis jemand unser Land an Europa heranführt. Wir können das selbst - auch wenn es nicht einfach ist. Das alles erinnert mich an die Zeit, als ich mit dem Boxen angefangen habe: Man kommt manchmal mit einer blutigen Nase nach Hause und holt sich blaue Flecken. Aber man muss durchhalten, aufstehen und weiterkämpfen - dann hat man auch Erfolg.
Sie hatten in den vergangenen Jahren viele Angebote, Ihre Biografie zu verfilmen. Weshalb haben Sie den Film gerade jetzt gemacht?Wladimir Klitschko: Wir haben lange überlegt und auch viel abgelehnt. Viele Angebote waren einfach nicht so spannend. Neben dem Produzenten wollten wir auch einen erstklassigen Regisseur. Wir haben uns dann mit Sebastian Dehnhardt und dem gesamten Team getroffen und uns entschlossen, den Film zu machen. Nach unseren beiden Büchern war der Film jetzt etwas Logisches. Das Schwierigste daran war übrigens, das Ende zu finden: Was ist die letzte Sequenz?
Haben Sie gemeinsam mit dem Regisseur an dem Film gefeilt?Wladimir Klitschko: Genau. Noch während der Dreharbeiten haben wir uns den Film Stück für Stück angeschaut. Wir hatten nach der ersten Auswahl immer noch 180 Minuten Material und haben diskutiert, immer wieder: Was schmeißen wir raus, was bleibt drin? Was ist wichtiger, was weniger? Die zweieinhalb Jahre, in denen wir gedreht haben, sind unheimlich schnell vergangen.
Was erwartet die Boxfans?Vitali Klitschko: Ich gehe gern ins Kino, schaue mir Thriller an, Dramen, Action. All das haben wir in unserem Film vereint. Das ist unser wahres Leben. Doch der Film ist nicht nur eine Sportler-Biografie, sondern zwischen den Zeilen steht ein ziemlich tiefer Sinn: Das Leben ist eine Achterbahn. Der Film vermittelt, dass man sich durchboxen muss, auch wenn keiner an dich glaubt. Am Ende wird man Erfolg haben. Das gilt nicht nur im Sport, sondern auch für das Leben allgemein.
Taugen Ihre Biografien als Vorbild?Vitali Klitschko: Als ich verletzt war, hat mir Max Schmeling geschrieben: Du darfst niemals im Leben am Boden bleiben. Steh wieder auf, und Du wirst erfolgreich sein. Ich hoffe, dass aus dem Film jeder nicht nur eine interessante Geschichte mitnimmt, sondern auch Dinge für den Alltag.
Seite 2: So haben die Klitschkos ihre Mutter überredet In dem Film spricht erstmals auch Ihre Mutter öffentlich über Sie beide. Wie haben Sie sie dazu entgegen Ihrer Gewohnheiten überreden können?Vitali Klitschko: Ich habe es nicht geschafft, aber mein kleiner Bruder ...
Wladimir Klitschko: (lacht) Naja, der Jüngere hat eben ein paar Vorteile. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich hatte als Kind etwas Schlimmes ausgefressen und wusste, okay, dein Po wird versohlt. Dann habe ich den Gurt aus der Hose meines Vaters genommen, bin zu meiner Mutter gegangen und habe ihr alles gebeichtet. Ich habe ihr den Gurt in die Hand gedrückt, ihr in die Augen geschaut, meine Hose heruntergezogen und mit Tränen in den Augen gerufen: Jetzt schlag, schlag zu! Mach es. (lacht) Meine Mutter hat es natürlich nicht übers Herz gebracht. Sie sehen also, es gibt unterschiedliche emotionale Mittel, wie man die Mutter als kleiner Bruder bezirzen kann.
Offenbar waren Sie bereits damals ein guter Schauspieler. Haben Sie nach der Karriere Ambitionen im Showbiz?Wladimir Klitschko: Ich spiele aktuell die Rolle des Schnittmeisters bei unserem Film und habe derzeit keine Ambitionen im Filmgeschäft. Ich habe zwar bei den Filmen von Til Schweiger, bei Keinohrhasen und Zweiohrküken, wahnsinnig gern mitgespielt und hatte viel Vergnügen, genauso wie bei Ocean's Eleven. Aber aktuell werde ich noch nicht entscheiden, was ich nach dem Sport mache.
Boxen ist zum Großteil Show. Wie ähnlich ist Ihr Sport dem Ausflug ins Entertainment?Wladimir Klitschko: Das ist von Persönlichkeit zu Persönlichkeit verschieden. Zum Beispiel Muhammad Ali. Bis zum Boxkampf war bei ihm alles nur Unterhaltung, und selbst im Ring hat er noch versucht zu unterhalten. Seine Kämpfe waren super Entertainment.
Sie wirken außerhalb des Rings immer sehr gefasst. Gibt es Situationen, in denen Sie nicht so ruhig sind?Vitali Klitschko: Man kann nicht immer ruhig bleiben. Zum Beispiel, wenn mir Menschen ins Gesicht lügen, vor allem in der Politik. Dennoch versuchen wir, unsere Emotionen immer unter Kontrolle zu haben. Egal, ob im Boxen oder im Leben.
Ein Boxkampf ist eine hochemotionale Angelegenheit. Wie schaffen Sie es da, einen kühlen Kopf zu bewahren?Wladimir Klitschko: Das ist die Kunst beim Boxen. Emotional betrachtet, würde ich David Haye, meinen nächsten Gegner am 2. Juli in Hamburg gern auseinandernehmen. Doch aus der Sicht des Boxers, muss ich die Emotion außerhalb des Rings lassen, weil man sonst zu einhundert Prozent Fehler produziert. Wer langfristig Erfolg haben will, muss die Emotionen zur Seite schieben, nach einem Konzept vorgehen und das erledigen, was man sich vorgenommen hat.
Die Ukrainer Vitali und Wladimir Klitschko sind die derzeit überragenden Protagonisten der Schwergewichtsszene. Wladimir gilt momentan als der beste Schwergewichts-Boxer der Welt und besitzt die Gürtel der Verbände IBF, IBO und WBO. Am 2. Juli boxt der 35-Jährige in Hamburg in einem der bedeutendsten Kämpfe der vergangenen zehn Jahre gegen den Briten David Haye um einen weiteren Gürtel, den Titel nach Version der WBA. Sein vier Jahre älterer Bruder Vitali tritt am 10. September in Breslau gegen den Polen Tomasz Adamek um den WM-Titel nach WBC-Version an.phs/news.de