Die Faschingsprinzen Kevin und Kevin kennt hier jeder. Radio und Zeitung haben schon über sie berichtet, jetzt wollen alle in der Gegend die beiden sehen. Die Karten für die Festsitzungen des örtlichen Karnevalvereins sind längst ausverkauft.
Neustadt in Thüringen ist ein Dorf. Hier gibt es nicht mal eine Schwulenbar - und trotzdem ist hier etwas möglich, was für viele Kölner immer noch undenkbar wäre: dieses Jahr wird der Fasching von zwei jungen Männern regiert. Und das, obwohl auch hier die närrische Tradition in deutscher Vereinsmeierei festgezurrt wird. Und letztlich wurde auch in der DDR die gleichgeschlechtliche Liebe offiziell verdrängt - der erste dem Thema Homosexualität gewidmete Film „Coming Out" hatte am 9. November 1989 Premiere - am Tag des Mauerfalls.
Das Geheimnis hinter der Toleranz liegt in dem großen Respekt, den die Neustädter Kevin
Fuhrmann hier entgegen bringen. Der 23 Jahre alte Sohn einer karnevalverrückten Familie hat hier seine ersten Lieder gesungen, heute ist er DJ - und fährt von seinem Wohnort Leipzig aus zu Gigs in ganz Europa.
"Kevins Schwester Chantalle hatte die Idee, dann kam Kevin auf mich zu und sagte, warum eigentlich nicht. Und ich sagte, meinst du das jetzt im Ernst? – Und er sagte: Ja. Ich sagte, klar, dann machen wir das. Dann habe ich im gesamten Elferrat des Vereins telefoniert und gefragt: Wie findet Ihr das? Überall kam dieselbe Reaktion: Kurz Luftholen – ja, super, machen wir, Kevin kann das."
Norbert Grahl, Präsident des Neustadt-Osterroder Carneval Vereins.
Mit 15 Jahren outete sich Kevin in seiner Familie, "danach war das Weihnachtsfest erst mal gelaufen", erzählt er. Und das Dorf wusste auch ziemlich bald Bescheid - aber seine Eltern und die Bewohner des Ortes kamen damit klar. An seinem Engagement in der Neustädter Karnevalsfamilie änderte sich nichts. Nun hat er einen zweiten Prinzen mit nach Neustadt gebracht: Kevin Reimann. Die beiden Kevins, einer 23, der andere 19 Jahre alt, sind seit sechs Monaten ein Paar und wohnen in Leipzig. Kevin II. nimmt den ganzen Rummel gelassen, das Schminken für den Auftritt ist für ihn "nichts Besonderes". Schließlich schminkt er sich jeden Tag, nicht nur im Fasching. Nach dem Schminken und Umziehen geht es in rot-weiß-goldener Prinzentracht auf die Bühne des Festsaales, wo 200 verkleidete Zuschauer an langen Tischen sitzen und den Einzug der beiden mit großem Applaus begleiten.
Die alljährliche Prinzenrede der Kevins gerät zu einer Mischung aus traditioneller Büttenrede in biederem Paarreim und selbstbewusstem Plädoyer für Respekt gegenüber Homosexualität:
"Auch ohne Gläser voller Bier / seht Ihr zwei Prinzen hier. / Die Prinzessin wurde abgewählt, / weil im Hohensteiner Land die Gleichheit zählt. / So erhebt in diesem Sinne euer Glas / und stoßt mit uns an auf diesen besonderen Spaß."
Kevin Fuhrmann und Kevin Reimann, Prinzenpaar Neustadt
Nicht die ganze närrische Zunft ist über die schwulen Faschingsprinzen begeistert. Der Thüringer Dachverband in Erfurt ließ über die Medien verlautbaren, ihm fehle die Lieblichkeit einer Prinzessin im Kleid. Zwei Männer, die dem Treiben vorsitzen, seien ein Bruch mit der Tradition.
"Wir hatten aber keine Lust darauf, dass einer von uns ein Kleid anzieht – und so gibt es dieses Jahr eben zwei Prinzen."
Kevin Fuhrmann
Inzwischen aber gibt man auch im Dachverband zu, dass der Karneval mit der Zeit gehen darf. Die LGBT-Community feiert die beiden, vom schwulen Karnevalsverein Regenbogen KG aus Düsseldorf gab es sogar einen Orden für Kevin und Kevin. Sie sind überzeugt, dass sie mit ihrem Auftritt schwulen und lesbischen Jecken in ganz Deutschland Mut gemacht haben.
"Wir haben sehr, sehr viele Mails bekommen, sehr viele Anfragen. Die haben alle gefragt: ‚Hey, können wir noch vorbei kommen, das ist ja schön, was Ihr macht. Sowas würden wir auch gern mal haben, bei uns, im Karnevalsverein, nur leider lassen es der Vorstand und der Präsident nicht zu, weil sie Angst haben, dass etwas passieren könnte."
Kevin Fuhrmann
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