Werne. Backstage sein, dieser Traum junger Fans, ihrem Idol mal nah zu sein, kann ganz schön ernüchternd sein: Enge Räume, geschäftiges Treiben vom Star und die Bühne wirkt von hinten auch nicht mehr so imposant. In der Freilichtbühne Werne aber ist der Blick hinter die Kulissen mindestens so spannend wie das Treiben auf der Bühne bei Dschungelbuch und Pinocchio.
Riesige RequisiteZum letzten Mal in der Saison trafen sich rund 120 Schauspieler, Techniker, Maskenbildner an diesem Samstag auf ihrer Dschungelbuch-Bühne. Auch wenn jede einzelne Stelle ehrenamtlich besetzt ist, herrscht professionelles Treiben. In den Büdchen stehen schon fast rund drei Stunden vor Beginn die ersten Helfer, bereiten die Popcorn-Maschine vor, tragen Getränkekisten in den Kiosk und schneiden Eier, Salat, Salami und mehr für die Baguettes.
Der Vorsitzende Gottfried Forstmann ist noch ganz entspannt, auch wenn er als Regisseur die Verantwortung trägt. Erster Vorsitzender ist noch untertrieben, betont der ehemalige Geschäftsführer Friedhelm Gräve: „Regisseur, Stückeschreiber, Vorsitzender, Schauspieler und noch einiges mehr."
In diesem Moment zeigt er einem Neuling die eindrucksvolle Welt hinter der Bühne. Forstmann biegt rechts ab und öffnet ein unscheinbares Tor. Wenige Meter später taucht ein Frauen-Traum auf: Ein Häuschen mit ungezählten Schuhen aus vielen Aufführungen.
Die Schauspieler werfen nichts weg, erzählt der Vorsitzende: „Wir haben ein ehemaliges Getränkelager gekauft und können in zwei riesigen Kellern alles einlagern." Darunter ist sogar ein Polizeiauto.
Vieles, was seit der Gründung der Freilichtbühne 1959 entstanden ist, findet immer mal wieder Verwendung. Eine Kuhherde wartet darauf wie eine Wahrsagerbude und ein Holzboot. 2013 steht übrigens Wickie und die starken Männer auf dem Programm, das Boot kann also zum Einsatz kommen.
Entlang einer Brücke, die sich hinter der Bühne spannt, erreicht Forstmann das Fachwerkhaus, dass der Verein 1999 hat bauen lassen. Hier sitzt die Löwenbande und lässt sich die Haare zersaueln. King Louie (Winfried Stückmann) übt Affenlaute und „Balou" wartet geschminkt auf seinen Einsatz. „Noch ist er ganz entspannt", lacht Friedhelm Gräve, „aber warte mal ab, wenn er das Kostüm anhat."
Denn in dem hat es Stefan Kutschke im wahrsten Sinne des Wortes schwer. Aus dicker Bettdecke wurde es gezaubert. Zweieinhalb Stunden läuft der Darsteller so über die Bühne, hüpft, springt, boxt, singt. Und in diesem Sommer war es besonders schwer. Balou hat die Bettlaken bei 40 Grad vollgeschwitzt, aber auch bei Dauerregen immer wieder ausgewrungen. Wegen des Wetters ausgefallen ist nur eine Aufführung, sagt Forstmann: „Wegen 20 Zentimeter Regen auf der Bühne."
Aber gerade an dem 40-Grad-Sonntag stand die Vorstellung kurz vor dem Abbruch. „Nicht das einer umkippt", sagte der Regisseur noch, als die ersten beiden Affen zusammengestoßen sind. „Denen ist die Schminke ins Gesicht gelaufen, die haben nicht mehr so viel gesehen", sagt Gräve.
Denn an bunter Farbe sparen die Maskenbildner im ersten Stock des Fachwerkhauses nicht. Mit viel Einsatz verwandeln sie Schauspieler zwischen 3 und 80 Jahren in Papageien und Elefanten. Mit dunkler Schminkflüssigkeit macht Regisseurin Marita Gräve aus Maurice Thiemann ruckzuck einen sonnengegerbten Mogli.
Stadtspiel am 15. SeptemberZwei Stunden bevor sich der Vorhang hebt, kommen die ersten Gäste, um sich die besten Plätze zu sichern. „Heute ist ein besonderer Abend", sagt Friedhelm Gräve. Die letzte Aufführung ist traditionell eine Abendvorstellung, das kulinarische Angebot ändert sich, auch wenn wie eh und je Popcorngeruch über 1100 Sitzplätze wabert.
Für die Schauspieler ist die Saison längst nicht zu Ende: Nach der Abschluss-Fete trafen sich alle Mitglieder des Vereins auf der Bühne, um die Kulissen abzubauen. Und in diesem Jahr gleich neue aufzubauen: Am Samstag, 15. September, steht das Stadtspiel anlässlich des Stadtjubiläums an. Dann erzählen rund 120 Schauspieler, wie Werne vor 650 Jahren das Marktrecht bekommen hat.
Von Tobias Kestin
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