Diese Woche stellen wir euch zwei Bücher vor: ein künstlerisches, sich selbst aufs Korn nehmendes Werk, dessen Autor es auf die Literaturgeschichte abgesehen hat, und ein gemütliches Spaziergängerbuch, dessen Autor Geschichten über seine (Wahl-) Heimat Stuttgart erzählt. In "Wir müssen die Mühle unseres Vaters verkaufen" arbeitet der Kabarettist Ben Everding die Mühle als zentrales Thema der Literaturgeschichte heraus. "Im Kessel brummt der Bürger King" nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise durch die Landeshauptstadt, geführt und kommentiert vom Journalisten und Stuttgarter Nachrichten-Kolumnisten Joe Bauer.
Die Mühle, will uns Ben Everding weismachen, ist das "vergessene Stück Weltliteraturthematik". "Das komplementäre Thema zu Sex und Krieg." Und genau so ironisch wie dies klingt, zieht sich der Ton, den der Leser am Besten von Anfang an nicht nimmt, durch die gesamte Sammlung - oder wie man das vorliegende Werk auch immer betiteln mag. Der Autor selbst nennt es frohlockend "Provisorisammelsurium".
Große Namen der Literaturgeschichte findet man im Inhaltsverzeichnis seiner Kollektion aus Kurzgeschichten, Prosa und Dramenauszügen. Doch bei näherem Hinsehen fällt auf: Ben Everding ist kein Herausgeber im klassischen Sinn. Nein. Die großen Namen variieren alle ein bißchen. Sie sehen auf den ersten Blick aus wie Ernest Hemingway oder Franz Kafka. Aber etwas stimmt nicht. Sie sind minimal anders geschrieben oder ihnen wurde ein Jr. angefügt.
Was macht Everding nun? Er begibt sich in die Rolle seiner Vorbilder und schreibt schlichtweg selbst. Er schreibt im Stile dieser großen Namen. Deshalb muss er die Namen variieren. Aber es ist doch immer klar, wer gemeint ist. Jeder Part seines Buchs - sei es eine Kurzgeschichte oder ein Gedicht - bezieht sich in irgendeiner Weise auf die Mühle. Man könnte fragen: Warum? Man könnte aber auch fragen: Warum nicht? Denn das Konzept funktioniert. Die Wortspielereien und die neckischen Kopierereien sind durchaus amüsant. Everding singt hier ein Hohelied auf die Literaturgeschichte und zieht sie gleichzeitig durch den Kakao. Den Einstieg macht Franz Kafka, dicht gefolgt von Goethe, Grass, und auch Bertolt Brecht darf natürlich nicht fehlen.
Und wer die großen Literaten durch den Kakao zieht, der darf auch eines nicht auslassen: Die Interpretierer. Die niemals müde werdenden Intelektuellen, die ja so genau wissen wollen, was der Autor zum Ausdruck bringen wollte. Und so liefert Everding zum Goethe Mühlendrama die passende Literaturhilfe gleich mit dazu. Mit allerlei "interessanter Hintergrundinformation". Um den Spaß abzurunden, lässt Everding einen der Großmeister sogar noch persönlich im Stück auftreten.
Fazit: Ein durchaus unterhaltsames, gelungenes Buch, dass nicht nur Studierende der Literatur amüsieren dürfte.
In "Im Kessel brummt der Bürger King" nimmt uns Joe Bauer, Kolumnist der Stuttgarter Nachrichten, mit auf seine zahlreichen Spaziergänge durch die schwäbische Landeshauptstadt. "Spazieren und über Zäune gehen" lautet der Untertitel des Buchs. Damit erhält man schon eine leise Vorahnung, dass es wohl auch um Stuttgarts berühmtesten Zaun gehen wird: den Bauzaun des Bahnprojekts S21. Denn neben den schönen Seiten seiner Wahlheimat, stellt Bauer auch die Investorengier und die Lügenpolitik am Neckar an den Pranger. Daraus ergibt sich ein bunter Mix aus historischen Begebenheiten und harscher Kritik an der Landespolitik.
Geschichten wie die des Stuttgarter Dackels Lumpi, der es zu Picassos Lieblingshund brachte, wechseln sich ab mit schwäbischen Weisheiten wie vom Wasenkönig Fritz Kinzler: "Das Herz eines Volksfestes ist die Illusion." Gespickt ist das Ganze dann noch mit der ein oder anderen von Bauers köstlichen Reden, die er beispielsweise auf dem Parteitag der baden-württembergischen Grünen (an deren Führung er im Verlauf des Buchs kein gutes Haar lässt) oder anlässlich der Demonstrationen gegen das Bahnprojekt gehalten hat. Zwischendurch gibt es philosophisch angehauchte Anekdoten, wie zum Beispiel eine im Ton stark an einen gewissen Herrn Bukowski erinnernde Ausführung über das Konstrukt Zeit.
Fazit: Ein amüsantes Werk mit hohem Informationsgehalt. Selbst gebürtige Stuttgarter können von Bauer noch einige Facetten ihrer Stadt entdecken. Für Zugezogene eine gute Heranführung an Schönheit und Schattenseiten der Landeshauptstadt.
Wir müssen die Mühle unseres Vaters verkaufen
Softcover, 84 Seiten
Periplaneta, Berlin 2014
13 Euro (Taschenbuch inkl. CD)
ISBN: 978-3-943876-66-6
Im Kessel brummt der Bürger King – Spazieren und über Zäune gehen
Broschur, 192 Seiten
Edition Tiamat, Berlin 2012
14 Euro (Taschenbuch), 8,49 Euro (Kindle-Edition)
ISBN: 978-3-89320-171-6
Der Autor:
Timo Dersch studiert Englisch, Politikwissenschaft und Sport an der Universität Stuttgart. Nebenberuflich ist er als freier Journalist für verschiedene studentische Magazine sowie die Stuttgarter Nachrichten tätig.
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