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Protest der Odenwald-Schüler: "Wir wollen diese Schule retten"

Die Odenwald-Schule muss bald schließen. Trotz langjährigen Missbrauchs, Kündigungen und Krisen wollen die aktuellen Schülerjahrgänge nicht aufgeben - und protestieren für den Erhalt des Skandal-Internats. 


Von Tim Kummert 


Zuerst sanken die Schülerzahlen, dann mit ihnen die Einnahmen - nun wird die krisengeschüttelte Odenwaldschule schließen. Das laufende Schuljahr soll am ehemaligen Elite-Internat noch zu Ende geführt werden. Bis dahin müssen die Kinder eine andere Schule gefunden haben.

Besonders für Zwölftklässler wie Sophie Schill, 17, und Friedrich Benrath, 19, ist das eine schlechte Nachricht. Ein Jahr vor dem Abitur die Schule zu wechseln, kann sich empfindlich auf ihre Noten auswirken, fürchten sie. Wenn die Schule schließt, würde Friedrich deshalb das Schuljahr wiederholen. Seine Noten seien zwar super, sagt er. Doch er habe in den letzten Jahren kaum Frontalunterricht gehabt, damit müsse er sich an einer Regelschule neu arrangieren.

Sophie und Friedrich schmieden seit Wochen mit ihren Mitschülern Pläne, um ihre Schule zu retten. Sophie entwarf Flyer, um Menschen für eine Demonstration zu mobilisieren. "Wir wollen unbedingt diese Schule erhalten, auch wenn dazu praktisch ein Wunder notwendig ist", sagt sie.

Seit vor fünf Jahren der massenhafte Kindesmissbrauch durch den früheren Rektor und mehrere Lehrkräfte an der Schule bekannt wurde, sind die Schülerzahlen stetig gesunken. Nach dem Abgang des aktuellen Abiturjahrgangs würden nur noch 113 Schüler übrig bleiben, viel zu wenige für einen kostendeckenden Betrieb. Der Odenwaldschule fehlten zuletzt etwa zwei Millionen Euro, um den Betrieb für die nächsten Jahre zu sichern.

"Stellt euch vor, ihr würdet euer Zuhause verlieren"

Auch Kündigungen in der jüngeren Zeit sowie ein katastrophales Krisenmanagement bedrohen schon länger die Existenz der Schule. Opfervertreter fordern seit langem, die Einrichtung endgültig zu schließen. Das hessische Sozialministerium bemängelte, mit Missbrauchsvorwürfen sei nicht vertrauenswürdig und transparent genug umgegangen worden.

Das Aus einer Schule, an der pädophile Lehrer routinemäßig Schüler missbrauchten, erscheint wie eine logische Konsequenz der letzten Jahre - die aktuellen Schüler aber trauern und bangen um ihre Zukunft. Am Wochenende machten sich Sophie und Friedrich mit etwa 50 weiteren Schülern in der Nacht auf, um Plakate zu kleben. Auf ihnen ist zum Beispiel zu lesen: "Stellt euch vor, ihr würdet diesen Sommer euer Zuhause verlieren, stellt euch vor, ihr würdet diesen Sommer eure Zukunft verlieren. Stellt euch vor, bis zu diesem Sommer sind es noch 73 Tage."

Auch am Montag wollen Schüler und Eltern im Stadtteil Ober-Hambach gegen die Schließung protestieren. Die Organisatoren rechnen mit etwa 250 Teilnehmern. Mit dabei ist Yannik Güldner, der 19-Jährige ist einer von drei Schülersprechern der Odenwaldschule. Durch Crowdfunding konnten die Schüler bereits 100.000 Euro zusammenbringen, berichtet Yannik: "Wir sind schon seit Jahren damit beschäftigt, den Ruf unserer Schule zu retten." Yannik hofft immer noch, dass sich in letzter Minute ein finanzstarker Investor findet.

Warum kämpfen sie für eine Schule, in der nachweislich Kinder missbraucht wurden? "Die Vorfälle sind 30 Jahre her, wir sind jetzt an einer neuen Schule. Natürlich haben wir auch mit Opfern gesprochen, das berührt uns tief. Aber für uns ist diese Schule heute Heimat", sagt Yannik. "Warum müssen wir die Leidtragenden für die Fehler anderer in der Vergangenheit sein?"


Mit Material von dpa


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