Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist großer Fußballfan. Früher war er selbst ein passabler Kicker, heute zeigt er sich gerne auf der Tribüne des Erstligisten Medipol Başakşehir. Die Mächtigen dort sind Freunde Erdoğans, ein Großteil von ihnen steht der Regierungspartei AKP nahe. Erdoğan weiß, welche Macht der Fußball hat, deshalb wendet er hier die gleichen Regeln wie überall in der Türkei an: Wer sich gegen ihn stellt, ist sein Feind. Andersdenkende leben in der Türkei gefährlich.
Diese Erfahrung macht nun auch der Deutsch-Türke Deniz Naki, der für den Drittligisten Amedspor im Kurdengebiet der Türkei spielt. Weil er sich mit kurdischen Opfern solidarisierte, muss der frühere Bundesligaspieler erneut vor Gericht. Er könnte im Gefängnis landen, wie viele vor ihm, die von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch machen, etwa der deutschtürkische Journalist Deniz Yücel. Erdoğans politische Justiz macht auch nicht vor Fußballern halt.
Naki hatte vor einem Jahr in einem Facebookpost den Opfern des türkisch-kurdischen Konfliktes gedacht. Erst wurde er für zwölf Spiele vom Verband gesperrt, dann vom Staat angeklagt. Terrorpropaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK, sagte die Staatsanwaltschaft. Schon im vergangenen November stand er deshalb vor Gericht, wurde aber freigesprochen. Die Richter kamen zu dem Schluss, Nakis Äußerungen fielen unter die Meinungsfreiheit.
Die Stimmung in der Türkei hat sich seitdem allerdings aufgeheizt. Mitte April hält Erdoğan sein umstrittenes Referendum ab, das ihn vom Staats- zum Regierungschef befördern soll. Noch mehr Macht für Erdoğan, der dann das Parlament auflösen und Gesetzesvorhaben per Veto blockieren könnte, deshalb regiert er mit harter Hand. Nakis Verfahren beginnt von vorne, obwohl er im ersten Prozess freigesprochen wurde. Am Donnerstag steht er wieder vor Gericht. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft.
"Dass das Verfahren gegen Naki wieder aufgerollt wird, ist eine Farce und eine Schande. Das wirft ein ganz schlechtes Bild auf die türkische Justiz", sagt der Grünen-Politiker Özcan Mutlu. "Was mit Deniz Naki gerade passiert, ist mit den Prinzipien eines Rechtsstaates nicht zu vereinbaren." Mutlu befürchtet, dass Naki diesmal in Untersuchungshaft kommt. Oder sogar für längere Zeit ins Gefängnis.
Für die türkische Regierung ist Naki ein Staatsfeind, von der kurdischen Bevölkerung wird er verehrt. Weil er sich für ihre Rechte einsetzt und sich zu seiner Herkunft bekennt. Auf seinen linken Unterarm hat sich Naki das kurdische Wort Azadi, "Freiheit", tätowieren lassen. Auf dem anderen Arm prangt eine 62, es ist die Kennzahl der Stadt Dersim, der Heimatstadt seines Vaters und vieler weiterer kurdischstämmiger Türken alevitischen Glaubens. Vor vierzig Jahren floh Nakis Vater vor der Folter des türkischen Militärregimes nach Deutschland. Naki wuchs in Düren auf, früh wurde sein fußballerisches Talent deutlich. Mit der deutschen U19-Auswahl wurde Naki 2008 an der Seite von Ron-Robert Zieler und den Brüdern Sven und Lars Bender Europameister. Später spielte Naki für den FC St. Pauli, ein Jahr lang sogar in der Bundesliga.
Naki war der Liebling der Fans. Ein Freigeist, dem man später nicht vorhalten wird, ein ruhiger Zeitgenosse zu sein. Einmal erzielte Naki in Rostock den Siegtreffer und ließ sich vor gegnerischen Fans zu einer Kopf-ab-Geste hinreißen. 2013 wechselte er zum türkischen Erstligisten Gençlerbirliği Ankara. Als der "Islamische Staat" im Herbst 2014 die Stadt Kobane belagerte, solidarisierte sich Naki öffentlich mit den dort lebenden Kurden. Und zog sich damit den Unmut vieler Türken zu. Er wurde im Internet beschimpft, auf offener Straße angegriffen und geschlagen. Von Gençlerbirliği fühlte sich Naki im Stich gelassen, er kündigte den Vertrag.
Im Sommer 2015 landete Naki bei Amedspor, einem Drittligisten aus der kurdischen Metropole Diyarbakır, der Club grenzt sich von der türkischen Regierung ab. Amed ist der kurdische Name der Stadt, man spielt in den Farben der kurdischen Flagge. Amedspor gilt bei manchen als heimliche Nationalmannschaft der Kurden, der Verein ist eine Provokation für die türkische Regierung. Die Spieler werden bei Auswärtsspielen vereinzelt als PKK-Terroristen und Vaterlandsverräter beschimpft.
Derzeit kämpft Amedspor um den Aufstieg in die zweite Liga. Naki ist nicht nur der beste Spieler im Club, er ist auch dessen Gesicht und Aushängeschild. Im Dezember 2016 kam der Spielführer Şehmus Özer bei einem Autounfall ums Leben. Seitdem ist Naki Kapitän. Sollte er verurteilt werden, dürfte das die Aufstiegschancen schmälern, was wiederum der türkischen Regierung gelegen kommen würde.
Mit dem Vorwurf der Terrorpropaganda, mit dem auch Naki konfrontiert ist, jagt die Regierung Mitglieder der Gülen-Bewegung, echte und vermeintliche PKK-Unterstützer und kritische Journalisten. Derzeit warten mehr als 150 Journalisten in der Türkei auf ein faires Verfahren, darunter der Welt-Korrespondent Deniz Yücel. "Deniz Naki ist ein mutiger Junge mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, das wird ihm jetzt zum Verhängnis", sagt der Grüne Mutlu. "Ich sehe beim Fall Naki Parallelen zum Umgang mit Deniz Yücel."
Auch Yücel war in den Kurdengebieten der Türkei unterwegs. Einmal wurde er in Gewahrsam genommen, weil er bei einer Pressekonferenz dem Gouverneur der Provinz Urfa kritische Fragen stellte. Seit Juni 2015 gilt der Waffenstillstand zwischen PKK und der türkischen Regierung nicht mehr. Bis Dezember 2016 sind rund 2.000 Menschen getötet und 355.000 vertrieben worden, schrieb das UN-Menschenrechtsbüro im März. Die Türkei habe massiv gegen Menschenrechte verstoßen, schlussfolgert die UN. Zudem wurden viele Politiker der kurdischen Oppositionspartei HDP verhaftet. Unter den Verhafteten war auch der deutsche Staatsbürger Ziya Pir, er wurde kurz darauf freigelassen. Möglicherweise, weil die Bundesregierung Druck auf Ankara ausübte.
Das könnte auch Naki für sich nutzen. Auch er hat einen deutschen Pass, könnte sich noch vor dem Prozess an das Konsulat wenden und die Türkei verlassen. Genau das werde Naki aber nicht tun, sagt der Politiker Jan van Aken (Die Linke). Er reiste im November zum ersten Prozess und sprach dabei lange mit Naki. "Deniz sagte mir, er könne die Menschen in Diyarbakır nicht alleine lassen. Das käme ihm wie Verrat vor", sagt van Aken. Zum zweiten Prozess wird er nicht reisen, stattdessen aber Fabio De Masi, Linken-Abgeordneter aus dem Europaparlament.
Yücel und Naki kennen sich
Eine besondere Form der Unterstützung hat Nakis Ex-Club St. Pauli angekündigt. Schon vor dem ersten Prozess im November lief die Mannschaft bei einem Freundschaftsspiel in Naki-Trikots auf, nun wird es vor dem Spiel gegen Sandhausen am Dienstag Solidaritätsbekundungen geben. Der Präsident Oke Göttlich sagt: "Wir wünschen Deniz von Herzen, dass Recht, Gerechtigkeit und Menschlichkeit siegen und dass nicht das Regime Erdoğan ein weiteres Exempel für sein unmenschliches Handeln statuiert."
In einem Interview mit Sport Inside sagte Naki vor wenigen Wochen, er werde sich dem Prozess stellen. "Wenn ich ins Gefängnis muss, dann muss ich ins Gefängnis. Das ist zwar schlimm, aber wenn man diesen Weg geht, muss man mit allem rechnen." Seitdem meidet Naki die Presse, auf Anfragen reagiert er nicht. Amedspor teilt dagegen per Mail mit, es sei besser, wenn Naki sich derzeit nicht weiter zu dem Prozess äußere.
Deniz Yücel und Deniz Naki kennen sich. Im Februar 2016 trafen sie sich in Diyarbakır. Ein Jahr später sitzt einer von beiden schon fünfzig Tage in Haft.