Vor 30 Jahren erschafft Wolfgang Petersen seine Kino-Version des erfolgreichen Märchenromans "Die unendliche Geschichte". Publikum und Kritiker sind begeistert. Einem aber gefällt die zuckersüße Leinwand-Adaption gar nicht: ihrem Schöpfer Michael Ende.
"Ich bin der Gmork und Du hast die Ehre, mein letztes Opfer zu sein", begrüßt die im Dunkel eines Loches kauernde Gestalt den jungen Krieger Atréju, der sein Volk verlassen hat um sich dem alles zerstörenden "Nichts" in einem ausweglosen Kampf entgegenzustellen. Der Kampf um Phá ntasien hatte begonnen.
16 Jahre vor den epischen Landschaften der "Herr der Ringe"-Trilogie des australischen Regisseurs Peter Jackson, wagte sich der damals 43-jährige Filmemacher Wolfgang Petersen 1984 an die filmische Umsetzung der vom Autor Michael Ende erschaffenen Welt Phantásiens. Drei Jahre zuvor hatte der in Emden geborene Regisseur mit seinem 2. Weltkriegsdrama "Das Boot" überzeugt, und die deutsche Filmwelt blickte voller Erwartungen auf sein nächstes Projekt.
Mitte der 80er befand sich die Möglichkeit, Computer-Animationen in Filmen zu verwenden, noch in den Kinderschuhen. Um die von Michael Ende erschaffene Geschichte und ihre Kreaturen zum Leben zu erwecken, wurden lebensechte Figuren gebaut. Bei den Bewegungen, der oft im Maßstab 1:1 kreierten Wesen, musste das Filmteam auf die Geschicklichkeit von Puppenspielern vertrauen.
Das Ergebnis überzeugte: Der Glücksdrache Fuchur, der Steinbeißer, eine schnarchende Riesenfledermaus, eine Rennschnecke und die uralte Morla zogen in die deutschen Kinderzimmer ein.
"Keine Wirklichkeit, nur eine Geschichte"
Als der kleine Bastian auf der Flucht vor seinen Mitschülern, die ihn in eine Mülltonne stopfen wollen, in einen Buchladen flüchtet, entdeckt er das Buch mit dem Auryn-Symbol. Das "Nichts" droht die Welt Phantásiens zu verzehren, Bastian folgt den Abenteuern des Indianerjungen Atréju, der sich, von der Kindlichen Kaiserin beauftragt, mit seinem Hengst Artax auf den Weg macht, um die Bedrohung abzuwenden. Auf der Reise vermischen sich das geschriebene Wort, Bastians Realität, Leser und Zuschauer und werden Teil der Geschehnisse. "Die unendliche Geschichte" nimmt ihren Lauf.
Für Michael Ende entzog sich sein Buch jeder Interpretation. Er wollte die Phantasie seiner Leser nicht begrenzen, ließ jede erdenkliche Analyse seiner Geschichte zu, solange sie nur einen Sinn ergab. Für Ende war "Die unendliche Geschichte" nur der literarische Beginn einer Reise, die sich weit über das geschriebene Wort in den Köpfen der Leser fortsetzte.
Der 2011 verstorbene Filmproduzent Bernd Eichinger versuchte bereits 1980 den Autor von einer Filmadaption seines Werkes zu überzeugen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, da es Leserbriefe hagelte, die sich gegen eine Verfilmung der Welt Phantásiens stemmten, gab Michael Ende dennoch nach. "Die unendliche Geschichte" schlug ihr nächstes Kapitel auf.
Vollbusige Stripperinnen in der Wüste
Das Film-Projekt entwickelte sich nicht so, wie Ende es sich vorgestellt hatte. Da der Film eine deutsch-amerikanische Co-Produktion war, wurden die Kinderdarsteller ausnahmslos von US-Darstellern besetzt. Auch spürte der Schriftsteller in Wolfgang Petersens Drehbuchentwürfen eine immer mehr durchschimmernde Amerikanisierung seines literarischen Stoffes.
Die durch die Abweichung von Petersens Filmfassung entstandenen künstlerischen Differenzen mündeten in Endes Versuch, den Film zu unterbinden. Der Schriftsteller sah in Petersens Adaption eine Verniedlichung seiner Idee. Lustige Kreaturen schlängeln sich durch eine Kaugummi-bunte zähflüssige Geschichte, die nichts mehr mit der Schöpfung des Literaten zu tun hatte. Im Flirt mit der Filmindustrie fand der Autor seinen eigenen Kampf gegen das alles verzehrende "Nichts", den er schlussendlich verlor. Die Filmproduzenten drohten dem Schöpfer Phantásiens mit einer Schadensersatzklage. Ende konnte die filmische Adaption seines Werkes nicht stoppen. Er entzog dem Projekt jedoch seinen Namen. Die filmische Darstellung des südlichen Orakel, welches Atréju auf seiner Reise mit Weisheit zu Seite steht, bezeichnete Ende in einem Interview als: "Vollbusige Stripperinnen in der Wüste". Aus Sicht des Autors war der 60 Millionen Dollar teure Film ein "gigantisches Melodram aus Kitsch, Kommerz, Plüsch und Plastik".
Der Disput zwischen Autor und Filmemachern tat dem Erfolg der cineastischen Umsetzung des Stoffes keinen Abbruch. Wolfgang Petersen gelang es, mit seiner Interpretation der "unendlichen Geschichte" Hollywood nach Deutschland zu holen. Gleichzeitig legte er einen weiteren Grundstein für seine spätere Arbeit in der US-Film-Industrie.
"Das sind doch große und starke Hände, nicht wahr?"
Als der Steinbeisser in Trauer versinkt, weil er seine kleinen Freunde, den Winzling und den Nachtalb, dem alles aufsaugenden "Nichts", mit seinen großen Händen nicht entreißen konnte, ist es Atréju, der alle Schuld auf sich nimmt. Der damalige Kinderstar Noah Hathaway, der Atréju im Film verkörperte, hatte mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Die Produzenten weigerten sich, sein Honorar an den verlängerten Drehplan anzupassen. Der Jung-Schauspieler musste sich seine Gage einklagen. Als Antwort darauf verwehrte man dem Atréju-Darsteller die Teilnahme an der Premierenfeier. 2012 zog es den mittlerweile 43-Jährigen wieder zurück ins Film-Geschäft.
Barret Oliver, der dem kleinen Bastian auf seiner Reise zwischen Phantasie und Realität, sein Gesicht lieh, strebte nach dem Erfolg von "Die unendliche Geschichte" eine Schauspiel-Karriere an. Leider blieb dem Jung-Mimen diese versagt. Heute ist Oliver ein erfolgreicher Fotograf.
Auch die Kindliche Kaiserin (Tami Stronach) hätte nach ihrem Ausflug nach Phantásien gern in der Filmindustrie Fuß gefasst. Aber nach einer von Musikproduzent Ralph Siegel veröffentlichten Single Namens "Fairy Queen", zogen ihre Eltern die Reißleine. Da sie ihre Tochter nicht von der Maschinerie der Unterhaltungsindustrie zermahlen lassen wollten, unterbanden sie alle weiteren Versuche ihres Sprösslings, die Fühler in diese Richtung auszustrecken. Tami Stronach arbeitet heute als Tänzerin und Choreographin.
Die Geschichte um den Kampf zwischen dem "Nichts" und der Macht der Phantasie entpuppte sich für keinen der drei jugendlichen Akteure als erfolgreiches Sprungbrett. Aber in vielen Kindheitserinnerungen werden sie immer der tagträumende Bastian, der Jäger der Purpurbüffel Atréju und die im Elfenbeinturm wohnende Kindliche Kaiserin bleiben.
Auch wenn der Schöpfer der "unendlichen Geschichte", Michael Ende, dies anders sah, und der Film sich von der ursprünglichen Version der literarischen Vorlage extrem entfernte, so hat es Wolfgang Petersen 1984 dennoch geschafft, den Zauber und die Schönheit Phantásiens auf die große Leimwand zu bringen. Und dafür sind ihm viele Kinder und Jugendliche der 80er Jahre dankbar. Darüber hinaus hat der weltweite Erfolg von Bastians Reise den Verkaufszahlen des Buches sicher nicht geschadet.