Von Thomas Fritz
Erfurt. Es war ein ganz normaler Sonntagmittag - so wie er sich auch auf Thüringer Fußballplätzen Woche für Woche abspielt -, als der niederländische Linienrichter Richard Nieuwenhuizen vor knapp einer Woche bei einem Nachwuchsspiel von fünf Jugendlichen totgeprügelt wurde.
Die Tat sorgte auch in Thüringen für Entsetzen. "Ich bin bestürzt. Das war ein Kollege, auch wenn die Tat weit weg geschah", sagt der Erfurter Referee Lars-Erik Eichhorn. Der 24-Jährige sitzt im Kreisfußballverband Erfurt-Sömmerda im Schiedsrichterausschuss.
Aggressionen gehören häufig zum Spiel dazuGewalt unter Fans, Gewalt gegen Spieler, Gewalt gegen Schieds- und Linienrichter: Hat es in den letzten Jahren tatsächlich eine Zunahme solcher Vorfälle gegeben, wie manche Beobachter nun meinen?
Eichhorn ist geteilter Meinung. "Aus meinen Erfahrungen, die durch Schilderungen vieler Kollegen bestätigt werden, gibt es zumindest ein gestiegenes Aggressionsniveau. Die Hemmschwelle sinkt - ob von den Spielern oder den Zuschauern am Spielfeldrand."
Lars-Erik Eichhorn ist einer von knapp 2000 Schiedsrichtern in Thüringen. Er pfeift bis zu 60 Partien im Jahr, vor allem im Jugendbereich und der Kreisoberliga Erfurt-Sömmerda.
"In Deutschland kann ich mich an eine Form so brutaler Gewalt mit Todesfolge nicht erinnern", sagte Hermann Korfmacher, für das Amateurwesen zuständiger Vize-Präsident des DFB, nach dem Todesfall in den Niederlanden. Dennoch: Auch wenn nur ein kleiner Bruchteil der Spiele, die jedes Wochenende in ganz Deutschland über die Bühne gehen, von handgreiflichen Auseinandersetzungen bestimmt wird, sind es diese Vorfälle, die bei den Schiedsrichtern in Erinnerung bleiben.
Kopfstoß gegen Thüringer Schiedsrichter
Lars-Erik Eichhorn, der seit 2004 pfeift, wurde selbst einmal Opfer einer körperlichen Attacke. Vor vier Jahren schubste ihn ein Spieler während einer Partie in Erfurt, nachdem der eine Rote Karte kassiert hatte. Eine lange Sperre war die Folge. Erst vor zwei Monaten sei ein Kollege von einem Zuschauer gestoßen worden; im Vorjahr sorgte der Kopfstoß eines Gothaer Oberligaspielers gegen einen Referee für Aufsehen.
Brutalere Vorfälle sind aus Thüringen nicht bekannt, aber körperliche Angriffe auf Offizielle kommen im Freistaat immer wieder vor - wenn es auch Ausnahmen sind. "Keiner muss sich hier fürchten, ein Spiel zu pfeifen - wie es vereinzelt in Berlin, Bayern oder im Ruhrgebiet der Fall sein kann", sagt Eichhorn. Zugleich weist er das Klischee des "Durchschnittstäters" zurück. Aggressives Verhalten - ob auf dem Rasen oder von den Rängen - sei unabhängig von Religion, Nationalität und Alter, weiß der Erfurter nach fast zehn Jahren Schiedsrichtererfahrung zu berichten.
Trotzdem kennt auch er Momente, wo er das Spielfeld nicht gleich verlässt und abwartet, bis sich die vielleicht erregten Gemüter der Zuschauer abgekühlt haben. "Und ich gehe nicht unbedingt mit der Mannschaft duschen, gegen die ich zweimal Rot gezückt habe."
Es ist nicht immer leicht, stets für irgendwen der Buhmann zu sein. Wie verarbeitet das ein junger Mensch? Wie steckt man die bösen Blicke und deftigen Sprüche weg? Eichhorn hilft es, jedes Spiel genau zu analysieren. Er befragt sich nach Fehlern, schaut, wo er womöglich anders hätte entscheiden können. Eine überhebliche Geste, der falsche Ton, Fehlentscheidungen sowieso: Schiedsrichter müssen ihre Leistung selbst reflektieren können, davon ist Eichhorn überzeugt. Gerade in einem Bereich, wo Fehler einfach dazugehören.
Diese Philosophie - und seine große Leidenschaft fürs Pfeifen - versucht er als Coach an den Nachwuchs weiterzugeben. "Ich habe sehr großen Spaß dabei und bin mit Herz bei der Sache", sagt Eichhorn. Als Schiedsrichter hat er schon im jungen Alter fürs Leben gelernt - etwa Aggressionen seiner Mitmenschen mit viel Feingefühl abzubauen. Eine wertvolle Arbeit, die der Niederländer Richard Nieuwenhuizen nie wieder ausüben wird.
Im Fall dessen gewaltsamen Todes wurde am Freitag ein vierter Jugendlicher verhaftet. Die Ermittlungen laufen weiter.
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