Er hat die Spiral-Trompete und die Cage-Harfe erfunden, spielt mit Geigenbögen auf Stahlblech. Denn Neue Musik, die aus traditionellen Instrumenten kommt, ist für Ferdinand Försch nur eine halbe Sache. Der Musik-Kosmos des deutschen Klangkünstlers ist nicht weniger als ein Gesamtkunstwerk.
An einem Nachmittag vor Weihnachten sitzt Ferdinand Försch im Raum neben seinem Tonstudio und erzählt vom Leben an der Front. An den Wänden Bilder, die grafische Partitur seines 1993 entstandenen Kompositionszyklus "M4C3". Auf dem Tisch vorm Fenster eine kleine Buddhafigur, ein Pinienkern, eine terrakottafarbene Kugel. Das Holzmodell einer inzwischen verschrotteten Grossplastik, die Försch 1992 für sein multimediales Kunstprojekt "4 Cage" zur Feier von John Cages achtzigstem Geburtstag realisiert hatte. Dahinter das geschlossene Fenster, der bohrende Verkehrslärm der vierspurigen Strasse, an der Försch seit ein paar Jahren im Hamburger Stadtteil Wandsbek lebt und arbeitet.
"Ja", sagt Försch, greift nach dem Feuerzeug und zündet sich eine American Spirit an: "Ich bin ein Frontsoldat. Ein Klangsoldat." Auf dem Tisch eine brennende Kerze, daneben zwei Espressotassen; der Kuchen, den er für Besuch bereithält. "Ich bewege mich durchs Gestrüpp und durch die Wildnis und versuche die Grenze zu verschieben, die vor mir liegt, die Wand, die vor mir steht." In einer Ecke vorm Fenster liegen drei kleine Metalltrommeln. Die Magic Drum, eines seiner frühesten, 1982 entstandenen Musikinstrumente, wirkt auf den ersten Blick wie ein harmloses Kinderspielzeug.
Befreit durch CageDer 1951 geborene, im unterfränkischen Gräfendorf als Sohn einer Handwerkerfamilie aufgewachsene Försch widmet sich seit 36 Jahren der Erfindung und dem Bau neuer Musikinstrumente. Bereits während des 1972 begonnenen Studiums der Komposition, der Perkussion und der elektronischen Musik in Würzburg und Stuttgart experimentierte er mit Objekten aus Schrott, mit Dachrinnen, Bremstrommeln und Sägeblättern. Neben eigenen, etwa für Waschmaschinenräder komponierten Stücken spielte er als Mitglied des vom Komponisten und Hochschullehrer Erhard Karkoschka gegründeten Ensembles Neue Musik Werke von Helmut Lachenmann und Anestis Logothetis.
Nach der Begegnung mit John Cage, den Försch 1981 im Rahmen eines von Cage und dem Choreografen Merce Cunningham geleiteten Workshops an der University of Surrey kennengelernt hatte, entledigte er sich der Altlast seines klassischen Musikstudiums, um ausserhalb der Akademien die Klangfront einer unerhörten, von Zufall und Chaos dirigierten Welt zu erforschen. "Die Begegnung mit Cage und die durch ihn erfahrene Wertschätzung war für mich die Revolution meines Lebens", sagt Försch. "Ich habe mich in den drei Wochen, in denen ich ihn und seine Zufallsoperationen beobachten durfte, um hundertachtzig Grad gedreht. Ab da war alles, was ich vorher an den Musikinstitutionen gelernt hatte, vollkommen nichtig. Das war einfach nur Spiessertum."
Försch erzählt von seiner durch Cage inspirierten Befreiung von der Tyrannei des eigenen Geschmacks, von der überraschenden Klangfülle, die ausserhalb des in den Konzertsälen gepflegten Repertoires zu entdecken sei. "Ich finde die in Konzertsälen vorherrschende Klanglichkeit generell sehr problematisch", sagt Försch. "Man bringt dort nichts als den immergleichen Klangkörper zu Gehör und treibt lediglich einen Riesenaufwand, um diesen immer noch ein wenig zu verbessern."
Kreativität statt KontrollwahnDas Material für seine eigenen Musikinstrumente sucht Försch mitunter auf Schrottplätzen und ist nach mehr als dreissig Jahren längst auch ein Meister an Lötkolben und Stichsäge. Das Sperrholz für sein beispielloses, vom Glauben an die Einzigartigkeit und die Gleichwertigkeit aller Klänge getragenes Instrumentarium kauft er nicht nur aus Kostengründen, sondern auch in Auflehnung gegen die Dogmen eines vom Perfektions- und Optimierungswahn besessenen Spielbetriebs am liebsten im Baumarkt. "Dieser Wahn, alles kontrollieren zu müssen, gipfelt in der Elbphilharmonie", sagt Försch.
Er hatte gehofft, seine 2003 im Kunstkaufhaus Leipzig begonnene und 2005 im Hamburg Airport fortgesetzte "Trilogie aus Film, Licht und Klang" mit dem für die Plaza des Konzerthauses konzipierten Kubusprojekt "Laterna Magica III" abzurunden. Doch die Idee scheint dem wenig experimentierfreudigen Marketingkonzept des neuen Flaggschiffs der Hamburger Kulturwirtschaft zu widersprechen; die von der Klanginstallation ausgehenden rauen Dissonanzen eines die Geräuschkulisse der Werften und des Schiffsverkehrs einbeziehenden Hafenklangs würden vermutlich die wohltemperierte Stimmung des renommierten Hauses torpedieren.
"Ein Konzerthaus wie die Elbphilharmonie ist reiner Selbstzweck, eine vollkommen unnatürliche, in sich geschlossene Welt, die keine neuen, unvorhergesehenen Klänge mehr zulässt", sagt Försch. Er zieht an seiner Zigarette. Er greift nach der Kuchengabel. "Ähnliches erlebe ich, wenn ich mir Konzerte Neuer Musik anhöre", sagt er: "Das klingt zum Teil wie aus den fünfziger Jahren. Die gleichen Geigen, kein Unterschied. Vielleicht einmal ein chinesisches Becken, das irgendwann ‹pling› macht. Ich denke dann: ‹Habt ihr noch alle Tassen im Schrank? Geht runter in meinen Keller und hört euch das alles endlich einmal an.›"
Er isst sein Stück Mohnkuchen. Er bläst die Kerze aus und steht dann auf - ein graubärtiger, mit knapp achtundsechzig Jahren noch immer agil und tatkräftig wirkender Punk in schwarzer Lederhose und Westernstiefeln, ein namenloser Partisan einer abtrünnigen, vom subventionierten Kulturbetrieb ignorierten Avantgarde, die sich auflehnt gegen die fortschreitende Nivellierung einer ihrer Vielstimmigkeit und ihres unüberschaubaren Facettenreichtums beraubten Welt.
Tri-Cello und Bach-HarfeÜber dem grauen Kapuzenshirt trägt er ein schwarzes Sakko. Er sagt: "Auch der Versuch, ethnische Instrumente zu integrieren, wie ihn zum Beispiel Sofia Gubaidulina vornimmt, ist aus meiner Sicht pure Verzweiflung. ‹Wo kriege ich etwas Neues her?› Ein Versuch, aus der etablierten Strukturordnung auszubrechen, der Gleichmacherei zu entkommen und einen neuen Klang zu integrieren. Aber das ist nicht zu schaffen, indem man lediglich auf traditionelle, ethnische Instrumente zurückgreift", sagt Försch und geht hinüber in sein kleines Tonstudio, wo er nachts die aufgezeichneten Einzeltöne seiner selbstgeschaffenen Instrumente digitalisiert, um zumindest deren unvergleichlichen Klangreichtum zu bewahren. Denn das umfangreiche, aus einhundertfünfzig bis zweihundert Instrumenten bestehende Lebenswerk war aufgrund fehlender Förderung schon wiederholt von der Zerstörung bedroht; einzelne Arbeiten hat er aus schierer Raumnot bereits zum Schrottplatz bringen müssen. "Es ist nur zu schaffen", sagt Försch, während er nach dem Schlüssel zum Keller greift, "indem man alles von Anfang an neu denkt und einen neuen Instrumentenapparat aufbaut, der organisch hervorbringt, was klanglich notwendig ist."
Die Bach-Harfe und das Mitte der siebziger Jahre entstandene Tri-Cello. Das Ende der Neunziger für ein Gastspiel im New Yorker Kunstraum "The Kitchen" gebaute Bass-L'Arcton. Eine Spiral-Trompete, eine Trommelwand, die aufgespannten Stahlbleche, die Försch mit herkömmlichen Geigenbögen spielt. Neben der Kellertür mehrere Circle Resonators, die 2013 für Luk Percevals Inszenierung der "Brüder Karamasow" gefertigten Gongs. Für "Front", die international erfolgreiche Weltkriegspolyfonie des flämischen Regisseurs, entwickelte Försch eine Soundinstallation, mit der er die Stahlgewitter des Ersten Weltkriegs heraufbeschwor und das Publikum in einen überwältigenden, mit existenzieller Angst, mit Schmerz und Verzweiflung und der unsterblichen Hoffnung auf Erlösung erfüllten Klangraum bannte.
Und dann das magische Quadrat der John Cage gewidmeten Cage-Harfe mit ihrer zur Neuntonreihe erweiterten Basisstimmung c-a-g-e: Sie bildet das hypnotische Zentrum der kompositorischen Tonreihenuntersuchungen, die Försch seit seiner Begegnung mit dem Komponisten betreibt. Durch systematische Übertragungen in Bilderzyklen, Plastiken und Skulpturen, in Licht- und Filminstallationen oder die gemeinsam mit der Choreografin Iris Tenge erarbeiteten Performances hat er sie im Laufe der Jahrzehnte zu einem einzigartigen Gesamtkunstwerk ausgearbeitet.
Das verlorene KlanghausManche Klangskulpturen sind in Einzelteile zerlegt - ein Sammelsurium aus Sperrholz, Aluminium und Stahl, das im kalten Neonlicht des etwa dreihundertfünfzig Quadratmeter grossen, von Försch als Werkstatt, Übungs- und Lagerraum genutzten Kellers auf den Abtransport wartet. Denn das Haus in Wandsbek ist vom Abriss bedroht, im städtischen Umfeld gibt es keinen erschwinglichen Platz mehr für den Künstler und sein Werk. Er muss dankbar sein um die leerstehende Halle, die ihm ein Fabrikant im etwa achtzig Kilometer entfernten Soltau zur Verfügung stellte.
"Früher hatte ich mein ‹Klanghaus›", sagt Försch, zündet sich eine weitere American Spirit an und bläst Rauch in den Keller. "Dort konnte ich im Rotationsprinzip durchs ganze Gebäude gehen", erinnert er sich und erzählt von der 1997 bezogenen Villa im Industriegebiet von Hamburg-Billbrook, wo er auch Künstlern wie dem indischen Perkussionisten Trilok Gurtu oder dem amerikanischen Gitarristen David Tanenbaum ein Experimentierfeld bot und bis zur Einstellung der Förderung durch die Hamburger Kulturbehörde 2004 ein Internationales Klangzentrum zu etablieren versuchte. "Ich konnte dort von der Werkstatt direkt in den Übungsraum, zum Konzertraum, in den Galerieraum, den Klangskulpturraum. Das war traumhaft." An den Wiederaufbau seines Klanghauses glaubt Försch inzwischen kaum mehr; doch aus der Utopie des Internationalen Klangzentrums, das sich bisher als unfinanzierbar erwiesen hat, zieht er nach wie vor Kraft.
Er habe inzwischen aufgehört, Instrumente zu bauen, und konzentriere sich vor allem auf die Arbeit mit seinem neuen Ensemble, sagt Försch. Die derzeit aus dem Schauspieler und Musiker Patrick Bartsch, dem Multiinstrumentalisten Hannes Wienert, der Cellistin Krischa Weber und der Mezzosopranistin Carla Genchi bestehende Formation Ferdinand Försch & Friends trat unter anderem mit der Eigenkomposition "Klangfront I" auf. Darin hat Försch seine Begegnungen mit Cage und Nam June Paik, aber auch andere, von der Musik Bachs und Ligetis bis zu den Readymades von Marcel Duchamp und den Werken Jasper Johns reichende Einflüsse zu einem originären, autobiografischen Stück verarbeitet, das mit der verheissungsvollen Aufbruchsstimmung eines Solos an der Spiral-Trompete beginnt und sich nach etwa einer halben Stunde in einer spektralen, Stille und Ewigkeit berührenden Zeitdehnung auflöst.
"Bevor ich abkratze, möchte ich noch erleben, wie sich meine Instrumente im Zusammenklang zeigen", sagt Försch, der in seinem ungeheizten Keller noch für eine Performance in Berlin probt, wo Ferdinand Försch & Friends am 17. Januar im Rahmen des Festivals "100 Jahre Bauhaus" in der Akademie der Künste zu hören sein wird. "Wo das hinführt, weiss ich nicht. Letzten Endes bin ich wahnsinnig hart gescheitert. Gescheitert an dem Versuch, die einzelnen Aspekte meines Werks an die Öffentlichkeit zu bringen und zu etablieren. Gescheitert an dem Versuch, mein künstlerisches Potenzial innerhalb der strengen mitteleuropäischen Spartenkultur auszuschöpfen und es zu einem gewissen Renommee zu bringen, das meiner Arbeit hätte dienlich sein können." Försch zieht an der Zigarette. "Aber ich bin nicht an mir selbst gescheitert, weil ich ja weitermache", sagt er. "Mein stärkster Antrieb sind mein Glaube an mich selbst und die Freude darüber, immer noch neue Entdeckungen machen zu dürfen - Entdeckungen, die für mich Leben sind."