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Übergewinnsteuer: Die faulen Früchte der Krise

Thomas Beschorner ist Professor für Wirtschaftsethik und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen in der Schweiz.

Wer soll das bezahlen? Wer hat das bestellt? Wer hat so viel Pinkepinke? Wer hat so viel Geld? Das sind die bekannten Zeilen des Kölner Karnevalshits von Jupp Schmitz und Kurt Feltz aus dem Jahr 1948. Das Lied spielt auf die im selben Jahr rasanten Preissteigerungen durch die damalige Währungsreform an. Gut 70 Jahre später stellen sich diese Fragen erneut.

Hohe Inflationsraten, steigende Zinsen, massiv höhere Energiepreise, Gasumlage. Bestellt hat die aktuelle ökonomische Krise sicherlich niemand - jedenfalls nicht im Westen. Die Frage, wer das bezahlen soll, bleibt trotzdem. Wir machen es uns zu einfach zu meinen, dass der Staat schon irgendwie für einen sozialen Ausgleich aufkommen könnte. Schließlich sind auch Staatshaushalte irgendwann erschöpft und wir erwarten als Bürgerinnen und Bürger durchaus zu Recht, dass die Bundesregierung angemessen wirtschaftet.

Für die Antwort auf die Frage, wer nun die Rechnung bezahlen könnte, gibt es eine Idee. Unter dem Schlagwort Übergewinnsteuer sollen diejenigen Unternehmen der Energiewirtschaft mit einer Sondersteuer zur Kasse gebeten werden, die in besonderer Weise von der ökonomischen Krise profitiert haben. Sie haben mitunter im Vergleich zu vorangegangenen Jahren exorbitante Gewinne eingefahren. Die Erlöse wurden teilweise vervierfacht - und wir reden hier über Milliardenbeträge.

76 Prozent der Bevölkerung dafür

Die EU-Kommission empfahl ihren Mitgliedsstaaten bereits im Frühjahr, eine Übergewinnsteuer zu erwägen. Verschiedene EU-Staaten setzen die Idee über unterschiedliche Instrumente bereits um. In Deutschland legte das Netzwerk Steuergerechtigkeit im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Studie vor und entwickelte konkrete Vorschläge. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) spricht sich ebenso für eine Übergewinnsteuer aus. Der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages sieht konkrete Umsetzungsmöglichkeiten. Die Regierungsparteien der SPD und der Grünen sind dafür. Und 76 Prozent der Bevölkerung erachten eine Übergewinnsteuer, laut einer Umfrage von Infratest dimap, für richtig.

Man möge meinen, wir stünden kurz vor einer neuen Gesetzesvorlage zur Einführung besagter Übergewinnsteuer. Dem ist aber nicht so, denn die erteilt etwaigen Plänen eine klare Absage. Auch eine Vielzahl von Ökonominnen und Ökonomen sehen staatliche Interventionen in das Marktgeschehen kritisch. Dass Unternehmen und Wirtschaftsverbände gegen das Vorgehen mobilmachen, überrascht nicht.

Dafür wird naturgemäß das gesamte Spektrum rhetorischer Möglichkeiten ausgeschöpft. Die Vorschläge seien "populistisch", gibt beispielsweise der Ökonom und frühere Wirtschaftsweise Lars Feld zu Protokoll. Finanzminister Christian Lindner nennt die Diskussion "Stammtisch-Steuerrecht". Industrieverbände sprechen von "kleinteiliger Schaufensterpolitik". Und natürlich darf auch irgendwann das Wort "Sozialismus" nicht fehlen. Dieser Diskursstil ist durchaus besorgniserregend, meint man doch, sich mit einer Mischung aus neoliberal-ideologischer Doktrin und verschiedenen Plattitüden nicht auf eine gesellschaftliche Debatte einlassen zu müssen.

Wesentlicher als manches politische Geplänkel ist, dass die Gegner einer Übergewinnsteuer einen wichtigen Punkt in der Diskussion zu übersehen scheinen. Wir haben es bei dem Thema mit Fragen von Verteilungsgerechtigkeit, im Kern also ethischen Fragen zu tun. Wer trägt welche Lasten? Wie verteilen sich die finanziellen Kosten auf verschiedene gesellschaftliche Akteure? Was ist fair?

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