Wenige Konzerne beherrschen den weltweiten Handel mit Getreidesaatgut. Die Initiative Open Source Seeds will das ändern.
- zuerst erschienen im Enorm Magazin Juli 2022 -
"Da ist sie", sagt Rebeka Catalina Trulsen mit einem liebevollen Blick und schiebt die üppigen Blätter der Zitronenmelisse beiseite: "Black Heart Chili", eine zarte Pflanze, die in ein paar Monaten schwarze, am Ende rote Schoten tragen wird. Für die 39-Jährige ist nicht nur die Schönheit der Früchte aufregend, es sind vor allem die Gene, die in der Chili stecken. Das Beet im Gemeinschaftsgarten auf dem Tempelhofer Feld in Berlin ist nämlich nicht irgendein Beet. Alles, was hier wächst, ist aus samenfesten Sorten gezogen oder stammt aus Open-Source-Saatgut, wie die Chili oder die TUmate, eine stolze Tomatenpflanze, die Studierende der TU Berlin gezogen haben.
Die Idee von Open-Source-Saatgut ist recht neu. Es ist ein praktischer Versuch, der Macht großer Chemie- und Saatgutkonzerne entgegenzuwirken, die immer mehr Pflanzen als ihre Erfindung deklarieren wollen. Dass die EU tatsächlich Patente auf Saatgut ausstellt, ist für Trulsen und ihre Gruppe ein Skandal, gegen den sie vorgehen wollen - obwohl sie nicht Aktivist:innen für die Ernährungswende sind, sondern Softwareentwickler und Systemadministratorinnen. "Es geht ums Prinzip." Und das sei dasselbe bei Software und dem Saatgut, aus dem unser Essen stammt. "Wir können uns nicht abhängig machen von großen Konzernen."
Die Landwirtschaft steht tatsächlich vor enormen Herausforderungen: sinkende Bodenfruchtbarkeit, steigende Energiepreise, Extremwetterlagen, die sich durch die Klimakrise immer weiter verschärfen. Doch damit nicht genug. Auch die Vielfalt des verfügbaren Saatguts ist dramatisch zurückgegangen - und dadurch die Anpassungsfähigkeit der einzelnen Ackerpflanzen an ein sich wandelndes Klima. Seit Jahrtausenden wird Saatgut als Gemeingut von einer Generation zur nächsten weitergegeben, auf einem Hof weiterentwickelt, mit dem nächsten Dorf getauscht. Seit dem Beginn der industriellen Landwirtschaft wird diese natürliche Selektion der Sorten zunehmend durch professionelle Züchtung in den Laboren der Agrarkonzerne durchgeführt.
Heute beherrschen nur drei Konzerne über 60 Prozent des weltweiten Marktes für kommerzielles Saatgut und Pestizide: DuPont-Dow, ChemChina-Syngenta und Bayer-Monsanto. Sie züchten auf Hochleistung: sogenannte Hybrid-Sorten, die nur ein einziges Mal gute Ernten bringen. »Es ist im System angelegt, dass die Agrarkonzerne keine Sortenvielfalt vorantreiben«, erklärt die Biologin Isabella Aberle von Open Source Seeds. Züchtung ist teuer, staatliche Förderung gibt es keine – und es ist am billigsten, nur eine Sorte zu züchten, die über Jahrzehnte in aller Welt verkauft wird. »Aber dieser One-size-fits-all-Ansatz ist in Zeiten der Klimakrise keine gute Idee«, sagt Aberle.
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