Soziale Absicherung hilft Menschen mehr als Gentechnik oder Bio-Labels
Ein Interview mit dem Ethnologen Andrew Flachs
von Theresa Leisgang
Wegen einer sehr langen Dürre kam es 2016 erneut zu Selbstmordserien von Baumwollbauern in Südindien. Die Kleinbauern müssen jährlich teures, genverändertes Saatgut kaufen, viele verschulden sich massiv. Der Ethnologe Andrew Flachs kam nach seiner Dissertation ans Heidelberger Exzellenzcluster "Asia and Europe in a Global Context", um weiter an den sozialen Auswirkungen der genmodifizierten Bt-Baumwolle zu forschen.
Warum begehen Kleinbauern in Ihrer Forschungsregion immer öfter Selbstmord?
Gibt es keine Hoffnung?
In Südindien verdienen 600 Millionen Menschen ihren Lebensunterhalt durch Landwirtschaft. Dort, wo ich forsche, wird die meiste Baumwolle in ganz Indien angebaut. Die Ernteerträge sind aber die niedrigsten weltweit. Wenn man in einer so unproduktiven Gegend von dieser einen Nutzpflanze abhängig ist und die Baumwollernte fällt schlecht aus, bleibt am Ende des Jahres nichts übrig, was man im nächsten Jahr investieren könnte.
Woran kann es liegen, dass in einem Jahr die Ernte so schlecht ausfällt?
Daran können Schädlinge schuld sein, oder es liegt am unvorhersehbaren Wetter: 2016 ist der Monsun lange ausgeblieben, und in der Dürre sind viele Pflanzen vertrocknet. In Indien gibt es kein stabiles soziales Netzwerk oder finanzielle Unterstützung vom Staat wie in Deutschland. Schon eine oder zwei schlechte Ernten können den Bauern in eine ausweglose Situation aus Schulden und Zukunftsangst bringen.
Wenn die Baumwolle so anfällig ist, warum bauen die Menschen nicht etwas anderes an?
Baumwolle hat eine sehr viel höhere Gewinnspanne als alle anderen Pflanzen, die in der Region wachsen würden, etwa Reis oder Mais. Wer irgendwie aus der tiefsten Armut herauskommen will - um sich einen Kühlschrank zu leisten, oder ein Smartphone für den Sohn -, der muss sich auf das Risiko einlassen. Es ist also eine Art Glücksspiel, bei der die Bauern einen hohen Einsatz bringen. Wenn sie die Wette verlieren, gibt es niemanden, der für den Schaden aufkommt.
Und dann bleibt nur der Selbstmord?
Wenn sich ein Bauer selbst umbringt und offiziell bestätigt wird, dass es sich um einen Suizid handelt, der durch die landwirtschaftliche Situation ausgelöst wurde, dann erhält die Familie eine Entschädigungszahlung. Also könnte ein Bauer entscheiden, dass besser für seine Familie gesorgt ist, wenn er sich das Leben nimmt, statt auf die nächste schlechte Ernte zu warten.
Ihre Forschungsgruppe konzentriert sich seit 2002 auf diese Region. Was war dabei das Hauptinteresse?
Damals wurde in Indien diskutiert, ob genmodifizierte Baumwolle erlaubt werden sollte. Einer der Hauptgründe für die schlechten Ernten war der Baumwollkapselwurm. Genetisch veränderte Pflanzen schienen eine vielversprechende Lösung für dieses Schädlingsproblem. In nur zehn Jahren waren 90 Prozent der Baumwollanbaufläche mit genetisch veränderten Pflanzen bedeckt.
Wie wird die Baumwollpflanze genetisch verändert?
Die Abkürzung Bt steht für das Bodenbakterium Bacillus thuringiensis. Dieses Bakterium produziert auf natürliche Weise eine Chemikalie, so wie wir zum Beispiel Hormone produzieren. Diese Bt-Chemikalie wirkt tödlich auf bestimmte Insektenschädlinge. Monsanto und andere Saatgutproduzenten kamen auf die Idee, einen Teil der DNA des Bakteriums auf die DNA der Baumwolle zu übertragen, damit sie die Chemikalie selber produzieren kann. Durch die Genmanipulation kann die Pflanze ihr eigenes Pestizid herstellen.
Gentechnik wird in Europa oft negativ beurteilt. Aber weniger Pflanzenschutzmittel zu verbrauchen, ist ja eigentlich nicht schlecht?
Nein, es wäre fantastisch, wenn das funktionierte. Deshalb hatte die Idee so ein großes Potenzial. Eine technische Lösung für alle Probleme, die Bauern sollten ihre Sorgen mit einem einzigen Input loswerden: dem Samen.
Aber es hat nicht funktioniert?
Das hängt von der Perspektive ab. Aus Sicht der Saatgutproduzenten war es ein Riesenerfolg: 95 Prozent Marktanteil, Monsanto wurde reich durch die Patentgebühren, die bei jeder Nutzung erneut anfallen.
Und war es aus Sicht der Bauern eine gute Erfindung?
Die Erträge sind gestiegen, das war erst einmal gut. Wenn aber die Gesamtproduktion steigt, sinken die Preise. Nach kurzer Zeit kamen außerdem andere Schädlinge, die gegen das Bt resistent waren, und die Erträge sind wieder gesunken. Die Bauern hatten dann aber nicht mehr die Wahlmöglichkeit zwischen alten und genveränderten Samen - sie sind jetzt in diesem System gefangen. Die Aussicht auf mehr Geld gab es nur in der zertifizierten Biolandwirtschaft. Aber dieser Weg ist mit Gentechnik-Saatgut ausgeschlossen.
Kaufen Sie nur Bio-Baumwolle?
Ich selber versuche, nur gebrauchte Kleidung zu kaufen, weil viel mehr Baumwolle produziert wird, als für die Kleidungsindustrie nötig ist - es liegt tonnenweise Baumwolle in Lagerhäusern. Die Welt braucht nicht mehr Baumwolle, wir brauchen nicht noch höhere Ernten, auch wenn ein einzelner Bauer das gerne hätte. Wenn ich mir etwas neu kaufe, würde ich wohl mit Bio-Baumwolle anfangen.
Gibt es den Bauern mehr Entscheidungsfreiheit, wenn ich Bio-Unterwäsche kaufe?
Definitiv kann man nicht die Welt mit Bio-Unterwäsche retten. Auch biologische Landwirtschaft an sich hilft niemandem wirklich. Was aber hilft, ist das Sicherheitsnetz, das NGOs knüpfen, wenn sie Bio-Landwirtschaft promoten. Wenn wir ein Bio-Produkt aus dem globalen Süden kaufen, kaufen wir das Marketing mit netten Bildern von glücklichen Bauern gleich mit. Durch die Projekte erhalten die Bauern auch Infrastruktur, Saatgut oder eine Festanstellung. Organisationen, die vor Ort für die Bio-Landwirtschaft eintreten, sind an all diesen sozialen Faktoren beteiligt, und das ist es, was das Leben der Bauern besser macht.
erschienen in der RNZ vom 23. Dezember 2016
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