Wer hier die besten Tropfen ergattern will, muss früh aufstehen. Bereits am Morgen ist der Parkplatz hinter dem Messegelände gut gefüllt. Weinenthusiasten aus Frankreich, Deutschland, der Schweiz, England, Österreich und Tschechien sind gekommen. Sie falten an diesem Samstagmorgen in Straßburg ihre mitgebrachten Sackkarren aus, lösen eine Eintrittskarte und stürzen sich ins Getöse, um ihre Lieblingssorten Bordeaux, Côtes du Rhône, Gewürztraminer oder Champagner direkt am Stand ihrer Produzenten zu degustieren.
Der Weinsalon der unabhängigen französischen Winzer ist eine Institution. Rund 800 Winzerinnen und Winzer aus allen Winkeln des Landes stehen hier dicht gedrängt drei Tage lang an ihren Ständen. Sie holen Weißweinsorten, deren Trauben sie oft selbst geerntet haben, aus eigens mitgebrachten Kühlschränken, füllen Kostproben der edleren Jahrgänge mit ernster Miene in die Gläser der Besucher. Wer sich auskennt, kann hier ohne die Marge der Zwischenhändler echte Schätze auf die eigene Sackkarre laden.
Der Andrang ist groß. Doch in Feierlaune sind die Winzerinnen und Winzer in diesem Jahr nicht. Der Grund: Am Mittwoch sind die neuen Exportstatistiken des Weinwirtschafsverbandes Fédération des Exportateurs de Vins & Spiritueux de France erschienen. Die gute Nachricht ist schnell erzählt: 2019 war ein Rekordjahr für die Winzerinnen und Winzer, der Export stieg um rund sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr. Doch das Wachstum könnte bald ein Ende finden. "Das positive Ergebnis von 2019 darf uns nicht täuschen: Die Spannungen im Welthandel und in der internationalen Politik haben die französischen Weinexporte sehr belastet. 2020 wird ein schwieriges Jahr", verkündet Antoine Leccia, der Präsident der Vereinigung, in einer Pressemitteilung. Der Verband erklärt, dass vor allem deswegen im vergangenen Jahr so viel Wein gekauft wurde, weil sich viele Importeure schon einmal vorsorglich mit extraviel Wein eingedeckt haben. Denn sie fürchten unsichere Zeiten.
Der Handelskrieg belastet"Die Winzer haben Angst", sagt Marie-Antoinette Cimetière, eine Winzerin aus Burgund, die in Straßburg ihren Beaujolais verkauft. Wer mit Weinbau sein Geld verdienen wolle, werde immer abhängiger von den Launen des Welthandels. "Die Franzosen trinken unseren Wein ja nicht mehr", sagt sie. Was Cimetière meint: Traditionell waren die Franzosen, die Nation mit einem der höchsten Pro-Kopf-Verbräuche der Welt, selbst die besten Kunden ihrer Weinbauern. Das ist zwar immer noch so, doch wie in ganz Europa sinkt auch in Frankreich der Weinkonsum seit Jahren kontinuierlich. Die Exporte werden damit wichtiger, inzwischen wird jede dritte Flasche im Ausland getrunken. Damit ist Wein, übertroffen nur vom Flugzeugbau, das zweitwichtigste Exportgut Frankreichs. Winzerin Cimetière sagt, ihr Sohn, der unweit ihrer eigenen Domäne seinen Weißwein anbaut, unterhalte Geschäftsbeziehungen zu feinen Weinbars in Amerika, verkaufe aber kaum noch an Franzosen. Die sind mit Abstand das wichtigste Abnehmerland für Wein aus Frankreich. Nirgends wird mehr für Wein bezahlt.
Besonders belastend sind für die französische Weinindustrie daher die US-Strafzölle in Höhe von 25 Prozent, die seit Oktober in Kraft sind. Die US-Regierung von Präsident Trump hat die Zölle verhängt, um die Europäische Union dafür zu bestrafen, dass sie jahrelang den deutsch-französischen Flugzeughersteller Airbus zum Nachteil seines US-Rivalen Boeing begünstigt hat - ein Vorwurf, den das Schiedsgericht der Welthandelsorganisation WTO im vergangenen Jahr bestätigt hat. Parallel dazu klagte die EU gegen US-Subventionen für Boeing. Im Handelsstreit besehen sich die EU und die USA gegenseitig mit Strafzöllen. Brüssel setzte Jeans, Erdnussbutter und Harley-Davidson-Motorräder auf die Liste, Washington verteuerte im Gegenzug zum Beispiel spanische Oliven, schottischen Whisky, deutsche Werkzeuge und eben französischen Wein.