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Aurel Mertz: "Witze können dabei helfen, etwas zu verarbeiten"

Aurel Mertz, 32, kommt zehn Minuten zu spät angetrabt. Sein Outfit, weiße Jeans und bunte Trainingsjacke, trotzt dem Wetter. Es nieselt. Statt Metallkugeln in den Sand zu werfen, stellen wir uns also erst mal unter die Markise eines Cafés, später flüchten wir hinein, weil der Regen immer stärker wird.

Aurel Mertz: Dieser Platz ist in den vergangenen Monaten zu einem festen Bestandteil meines Lebens geworden. Ich hänge hier bestimmt alle eineinhalb Wochen mit meinen Freund:innen ab, wir spielen, quatschen, trinken. Der Platz liegt genau im Dreieck zwischen einem Café, einem Späti und einem Imbiss. Für Kaffee-, Bier- und Aperol-Spritz-Zufuhr ist also immer gesorgt. Boulespielen ist wie Pandemie: Man hat viel Zeit, aber das Gefühl, Zeit zu verschwenden. Es ist auch ziemlich langweilig und eines der wenigen Spiele, bei denen ich nicht ehrgeizig bin. Das sieht beim Tischtennis zum Beispiel ganz anders aus.

ZEIT Campus: Warum spielst du dann überhaupt?

Aurel Mertz: Meinen Freund:innen zuliebe, mir geht es eher darum, Zeit mit ihnen zu verbringen. Ich arbeite ja eigentlich immer. Tweets kann ich auch vom Bouleplatz absetzen. Das ist schöner, als am Schreibtisch zu hocken. Seit Corona habe ich das Gefühl, der Platz ist noch viel beliebter geworden, hier treffen Altberliner Bouleprofis auf Zugezogene, die aus Langeweile angefangen haben, Kugeln zu werfen. So wie wir. Es ist immer das Gleiche: werfen, warten, werfen, warten. Beim Boulespielen merke ich, wie ungeduldig ich normalerweise bin, weil alles dabei so langsam geht. Aber ich schätze meine Ungeduld. Sie macht mich produktiv.

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ZEIT Campus: Bevor du nach gezogen bist, hast du mit Anfang 20 an der Universität Wien Publizistik und Kommunikationswissenschaft studiert. Was hast du so aus deinem Studium alles mitgenommen?

Mertz: Ich finde es ziemlich geil, was Theodor W. Adorno oder Jürgen Habermas für Theorien verfasst haben. Oder auch die Gatekeeper-Theorie, die sich damit beschäftigt, welche Eigenschaften von Journalist:innen oder Medienorganisationen dazu führen, dass über Thema A berichtet wird und über Thema B nicht. Die Theorie teste ich heute. Meine Twitter- und Instagram-Accounts sind ja quasi eigene Medienplattformen, auf denen ich entscheide, was ich an mein Publikum weitergebe und was nicht.

ZEIT Campus: Wie du mit Nachrichten umgehst, hast du 2013 in der Frank-Elstner-Masterclass an der Axel Springer Akademie in Berlin gelernt, wo auch "Bild"-Journalist:innen ausgebildet werden. Hattest du keine Angst vor dem Boulevardstempel?

Mertz: Doch, total. Was aber viel schlimmer war: Die meisten in der Auswahljury wollten, dass ich nicht angenommen werde - außer Frank Elstner. Dementsprechend haben die anderen Dozierenden mich später auch behandelt. Ich musste mir während der sechsmonatigen Ausbildung wirklich viele Sprüche anhören. Ein Dozent sagte sogar mal zu mir: "Ach, ich wusste gar nicht, dass Sie so flüssig sprechen können." Aber das hat mich nur noch mehr motiviert, krasser abzuliefern. Ich würde sagen, die Masterclass war am Ende eine Art Vorschule fürs Entertainerdasein.

"Ich will den komischen Dreh in Horrormeldungen finden. Witze können auch dabei helfen, so was zu verarbeiten." Aurel Mertz

ZEIT Campus: Was hast du dort gelernt?

Mertz: Formate zu entwickeln und zu produzieren. Wir hatten Kameras, Laptops und ein bisschen Budget und konnten einfach machen. Dort habe ich dann meine erste Late-Night-Show Boomarama entwickelt, die ich drei Staffeln lang im Privatfernsehen moderiert habe. Da konnte ich zum Beispiel über die Diskriminierung von Schwarzen Menschen in den USA und über Donald Trump sprechen. Die Sketche habe ich alle allein geschrieben, das war ein enormes Arbeitspensum.

ZEIT Campus: Seit 2019 bespielst du die Sitcom Aurel Original auf , die jetzt auch in der ZDF-Mediathek zu sehen ist, und seit 2020 den Podcast Das Aurel Update. In beiden Formaten bist du sehr politisch. Wie kommst du auf deine Themen?

Mertz: Ich schaue zum Beispiel, welche Twitter-Hashtags gerade trenden, hangele mich im Netz von einer Quelle zur anderen und überlege, zu welchem Thema ich was zu sagen habe. Ich möchte mit meinen Witzen Grundlagen für Debatten schaffen und auch mal Dinge kritisieren. Ich habe dann etwa gelesen, wie krass die Olympischen Spiele für die Pferde sind, die teilweise mehr als 15 Stunden nach Japan geflogen werden müssen nur fürs Dressurreiten. Ich finde, das ist Tierquälerei. Ich habe darüber getwittert und hinterfragt, welche Berechtigung Dressurreiten überhaupt hat.

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