Ein Landwirt verklagt Volkswagen. Unter dieser Überschrift könnte vieles zu erzählen sein. Eine Geschichte von David gegen Goliath. Oder von Robin Hood. Doch es ist viel einfacher: Der Landwirt Ulf Allhoff-Cramer geht gegen den Konzern vor, weil er keine andere Option sieht. Der Klimawandel bedroht seine Existenz. Und die Frage ist: Kann er mit seiner Klimaklage etwas erreichen?
Am Morgen des 20. Mai 2022, dem Tag der ersten Anhörung im Fall Allhoff-Cramer gegen Volkswagen, stehen Freunde und Familie des Landwirts vor dem Landgericht Detmold. Sie halten Klimaschutz-Banner und Plakate in die Kameras. Mehr als ein halbes Jahr haben Ulf Allhoff-Cramer - 62, rote Cordhose, wirres Haar - und seine Anwältin auf diesen Tag hingearbeitet, unterstützt von der Umweltorganisation Greenpeace. Sie erheben die erste Klimaklage gegen ein Unternehmen vor einem deutschen Gericht. Die Forderung: VW soll bis spätestens 2030 weltweit keine Verbrenner mehr vermarkten und seine Treibhausgasemissionen um 65 Prozent gegenüber 2018 senken.
Der Konzern selbst verspricht, bis 2050 unter dem Strich klimaneutral zu sein. Das ist vielen Aktivisten zu spät. Und so reihen sich Allhoff-Cramer, seine Anwältin Roda Verheyen und Greenpeace mit ihrer Klage in eine globale Entwicklung ein. Seit 2010 steigen die Anzahl und die Bedeutung von Klimagesetzen: Allein in den USA laufen heute laut Forschern der Columbia Universität 1426 Klimaklagen. Im Rest der Welt sind es noch einmal 570, wovon sich 104 gegen Unternehmen richten. Auch in Deutschland ist die Bewegung angekommen. Vergangenen Herbst zog neben Allhoff-Cramer ein weiteres Dutzend Menschen auf Initiative von Greenpeace und der Deutschen Umwelthilfe vor Gericht. Von BMW und Daimler sowie dem Öl- und Erdgasproduzenten Wintershall Dea verlangen sie dasselbe wie von VW: mehr Klimaschutz.
Eine entscheidende Grundlage für ihre Klagen ist ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vor einem Jahr: Neun junge Menschen hatten geklagt, weil sie ihre Freiheit durch die schwache deutsche Gesetzgebung eingeschränkt sahen. Die Argumentation: Wenn heute nichts geschieht, müssen die Gesetze morgen umso schärfer werden und engen die Entscheidungsfreiheit noch mehr ein. Auch bei diesem Fall vertrat Roda Verheyen die Kläger. Im April 2021 stufte das Bundesverfassungsgericht das Klimaschutzrecht teilweise als verfassungswidrig ein, weil die Gesetze zu lasch seien. Als der zwei Monate später das Gesetz verschärfte, feierten die Kläger einen historischen Sieg.
Klimaklagen "absolut notwendig"
Ein Jahr später steht Verheyen vor dem Landgericht Detmold. Allhoff-Cramer sitzt neben ihr und trinkt selbst abgefüllte Apfelschorle aus einer großen Glasflasche; manchmal lächelt er ins Publikum. Nach der Stellungnahme des Richters gibt Verheyen ein Statement ab, erklärt, dass die Klimakrise nicht bevorstehe, sondern schon da sei. Der Saal klatscht, auch wenn noch nichts gewonnen ist.
Christina Voigt, deutsche Professorin für internationales Umweltrecht in Oslo, hält solche Klagen für wichtig. "Das grobe Klimaziel ist im Pariser Vertrag vorgegeben, die wissenschaftlichen Grundlagen sind klar, aber die Umsetzung lässt auf sich warten." In dieser Situation hätten Gerichte die wichtige Rolle, "klimaschädigendes Verhalten, das rechtliche Normen verletzt, zu befinden und rechtliche Folgen festzulegen".
Wenn man Allhoff-Cramer nach Klimaklagen fragt, reißt er die Augen auf: Sie seien "absolut notwendig". Am Abend nach der Anhörung sitzt er "etwas ausgelaugt" auf dem Gelände seines Hofes im 15-Quadratmeter-Bauwagen, der zwischen Haupthaus und Kuhstall steht.
Er schläft darin, manchmal spielt er hier Trompete. Mittlerweile wohnt seine Tochter mit Mann und drei Kindern im Haus, dem Opa genügt der Wagen. Vor vier Jahren hat er von drei Biobauern gelesen, die die Bundesregierung wegen unterlassener Verpflichtungen im Kampf gegen den Klimawandel verklagten. Auch sie wurden von Roda Verheyen vertreten. Er schrieb Verheyen eine Mail, bot seine Unterstützung an, damals zu spät. 2021 rief sie bei ihm an, fragte, ob er allein gegen VW klagen wolle. Er überlegte einige Zeit und stimmte dann zu. Es folgten wöchentliche Telefonate und ein Treffen in Verheyens Hamburger Kanzlei.