1 abonnement et 5 abonnés
Article

Alkoholfreie Cocktails: "Viele alkoholfreie Spirituosen schmecken nach dünnem Kräuterwasser"

Alkoholfreie Drinks werden immer beliebter: Wer produziert und verkauft sie? Und gehen damit Spaß, Rausch und Eskalation in unserer Gesellschaft verloren?

Ein alkoholfreies Bier, lauwarm, und ein Mocktail aus Fruchtsäften, mit Schirmchen, stehen vor Stella-Oriana Strüfing und ihrem Freund in einer Bar in Berlin-Kreuzberg. Es waren die einzigen alkoholfreien Getränke auf der Karte, die sie bestellen konnten. Dabei ist es Freitagabend, und sie möchten den Feierabend und das Wochenende feiern.

Seit einigen Monaten trinkt Strüfing kaum noch . Sie wird schneller betrunken als früher und hat keine Lust mehr auf den Kater am nächsten Morgen. "Am liebsten hätte ich einen Gin Tonic, aber ohne Alkohol", sagt sie zu ihrem Freund. Die beiden schauen sich in die Augen. Stille. Eine Idee war geboren.

So erzählt es Stella-Oriana Strüfing, 35, heute, vier Jahre später. Seitdem hat sich viel getan. Nicht nur in ihrem Leben, sondern auch in einigen Bars und der Getränkebranche. Immer mehr Start-ups bringen alkoholfreie Spirituosen wie Gin oder Rum auf den Markt. Und auch die Bierbranche setzt auf alkoholfreies Radler, Pils und Hefeweizen. Laut dem Deutschen Brauer-Bund wird bald jedes zehnte verkaufte Bier alkoholfrei sein. Der Verkauf von alkoholfreiem Bier soll die Umsatzeinbuße während der Pandemie ausgleichen.

Newsletter

Wofür leben wir? - Der Sinn-Newsletter

Jeden Freitag bekommen Sie alle Texte rund um Sinnfragen, Lebensentscheidungen und Wendepunkte.

Vielen Dank! Wir haben Ihnen eine E-Mail geschickt.

Prüfen Sie Ihr Postfach und bestätigen Sie das Newsletter-Abonnement.

Dem Newsletter-Abonnement geht eine Registrierung voraus. Mit Ihrer Registrierung nehmen Sie die Datenschutzbestimmungen zur Kenntnis.

Die Zukunft sieht also nüchtern aus. Aber: Warum boomt der Markt für alkoholfreie Drinks? Wer profitiert davon? Und gehen damit in unserer Gesellschaft Rausch, Spaß und Eskalation verloren?

An einem Dienstag im Oktober besucht Strüfing die größte Fachmesse für die Bar- und Getränkeindustrie in Deutschland, die Bar Convent Berlin. Rund 8000 Expert:innen aus 58 Ländern sind nach Berlin gekommen, um Gins, Wodkas und Whiskeys zu testen und neue Trends aufzuspüren. Strüfing steht an einem von vier Ständen, an denen es nur alkoholfreie Spirituosen gibt. Sie trägt einen schwarzen Lederrock, Creolen und einen Pulli mit "Laori"-Aufdruck. Schon als Kind wollte sie ein eigenes Unternehmen gründen, sagt Stella-Oriana Strüfing. Dieser Kindheitstraum wurde im Oktober 2018 Wirklichkeit: Sie meldete das Unternehmen "Beyond Drinks" an. Ihr erstes Produkt ist der alkoholfreie Gin Laori. In diesem Jahr wurde Strüfing dafür sogar ausgezeichnet. Sie gewann den Digital Female Leader Award, einen Preis der Initiative "Global Digital Women", die seit 2018 Gründerinnen in der Digitalwirtschaft ehrt.

An ihrem Stand gehen Kellner:innen mit Lederschürzen, Menschen mit Cocktails in der Hand und Influencer:innen mit gezückten Smartphones vorbei. Einige laufen schon in Kurven, dabei ist es gerade 14 Uhr. Wer an Strüfings Stand ein Getränk probiert, muss sich um seinen Pegel keine Sorgen machen. Die meisten, die stehen bleiben, sind vor allem neugierig. Sie wollen wissen: Alkoholfreier Gin, wie geht das überhaupt?

"Am Tag nach dem Barabend vor vier Jahren habe ich 'alkoholfreier Gin' gegoogelt", sagt Strüfing. In Deutschland habe es damals noch keine Produzent:innen gegeben, aber sie findet Angebote aus Skandinavien und Großbritannien. Sie lässt sich verschiedene Flaschen liefern und ist ähnlich enttäuscht wie vom Mocktail mit Schirmchen: Alle schmecken fad.

Strüfing hat BWL studiert, mit Schwerpunkt Innovation. Damals berät sie an einer Berliner Hochschule Absolvent:innen, die Start-ups gründen wollen. Nach Feierabend schaut sie nun YouTube-Tutorials, die ihr erklären, wie Spirituosen produziert werden. Sie liest außerdem Fachbücher und startet in ihrer Küche mit Töpfen und einem Dampfgareinsatz Destillationsexperimente. Dafür kocht sie Wacholder, Kardamom oder Angelikawurzel in Wasser und fängt den Dampf des Kondensats auf.

"Ich habe sehr schnell verstanden, warum die alkoholfreien Spirituosen, die ich online bestellt hatte, nach dünnem Kräuterwasser schmeckten", sagt Strüfing. Normalerweise werden die Geschmackszutaten in Alkohol aufgekocht, das löst andere Aromen aus den Kräutern. Sie versteht: Die Gewürze und Kräuter zusammen in einen Topf voll Wasser zu schmeißen reicht nicht.

Um das Beste aus den Zutaten rauszuholen, müssen die Geschmacksgeber einzeln destilliert werden. Denn bei der harten Wacholderbeere dauert es länger als beim Koriander, bis die Aromen freigesetzt werden.

Auf einer Gründer-Konferenz lernt Strüfing ein paar Monate später den Lebensmitteltechnologen Christian Zimmermann kennen. Die Destillationsexperimente ziehen aus ihrer Küche in Berlin in Christians Labor in der Schweiz. Im Oktober 2018 ist es dann so weit: Sie bringen ihren alkoholfreien Gin auf den Markt. Aber wer sind die Menschen, die für eine Flasche Laori rund 25 Euro zahlen?

Wer darauf eine Antwort sucht, muss mit Isabella Steiner sprechen. Im März vergangenen Jahres hat sie mit einer Kollegin "nüchtern.berlin" gegründet, einen Online-Shop für alkoholfreie Spirituosen, Weine und Biere. Im Februar 2021 eröffneten sie auch den ersten alkoholfreien Späti in Berlin-Kreuzberg. Sie planen, dieses Jahr eine halbe Million Euro Umsatz zu machen.

"Die Zielgruppe für antialkoholische Alternativen ist weit größer, als man denkt", sagt Isabella Steiner in einem Videocall. Sie sitzt in einer Hotellobby in Portugal, der erste Urlaub seit Langem. "Ein paar unserer Kund:innen sind gerade erst 18 geworden, viele sind dreißig plus. Unser ältester Stammkunde ist neunzig", sagt sie. Viele sehnten sich nach einem Barabend ohne Kater und hätten keine Lust mehr auf Rhabarberschorle, alkoholfreies Bier oder Mocktails mit Schirmchen.

"Auch Corona hat uns in die Karten gespielt", sagt Steiner. "Die Lust auf Drinks ist zwar gestiegen, aber auch das Gesundheitsbewusstsein. Wenn wir ehrlich sind, dann machen wir uns mit dem Konsum von Alkohol freiwillig krank." In ihrem Buch "Mindful Drinking" schreibt sie: Regelmäßiger Alkoholkonsum kann dazu führen, dass der Hippocampus schrumpft. Das ist der Teil des Gehirns, der für die Erinnerung zuständig ist. Und trinken kann sogar lebensgefährlich werden: 2020 verzeichnete die Weltgesundheitsorganisation in Europa rund 740.000 Krebsfälle, die mit Alkoholkonsum in Verbindung gebracht wurden.

Rétablir l'original