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Credibil: "Bevor ich einen Song schreibe, träume ich"

Erol Peker,

25, rappt unter dem Namen Credibil. Geboren in Marburg, kam er als Jugendlicher nach Frankfurt ins Bahnhofsviertel. Seine ersten Alben veröffentlichte er über sein eigenes Independent-Label Traumfænger. Sein aktuelles Album Semikolon erschien im Dezember bei Sony.

Als ich mit 18 Jahren als Nachtwächter gearbeitet habe, träumte ich viel - von Songtexten. Schon damals habe ich Texte geschrieben. Zwölf Stunden dauerte die Nachtschicht, von 18 bis 6 Uhr, und um 8 Uhr ging's wieder zur Schule. Nachts im Parkhaus war es einsam. Aber diese Einsamkeit war gar nicht schlecht. Je einsamer du bist, umso stärker muss dein Glaube an deine Sache sein, damit du sie durchsetzen kannst. Ich habe mir so lange gesagt, dass ich Rapper werden will, bis ich es war. Klar kannst du an dich glauben, wenn jeder dir auf die Schulter klopft. Aber der Glaube an eine Sache muss ein eigenständiger Prozess sein, wie bei einem Perpetuum mobile. Nur dann kann dir diesen Glauben auch kein anderer wegnehmen.

Seit ich neun Jahre alt bin, sehe ich mich auf einer Bühne, tausend Menschen stehen vor mir, und alle halten ihre Lichter hoch. Ich möchte ein bescheidener Rapper sein. Ich trage keine teuren Uhren und keine goldenen Ketten, ich fahre einen Opel. Es geht nicht um Materielles. Wenn ich in meinen Songs Schwäche zeige, kaufen mir die Leute ab, was ich erzähle. Ich will ihnen mit meiner Musik vermitteln, dass Negativität nicht immer gewinnt. Ich wünsche mir, dass die Menschen, die abgeschottet in einer Siedlung leben, verstehen, dass man da rauskommen kann. Doch es ist schwierig, für jemanden zu träumen, der seine Träume selbst schon aufgegeben hat. Freunde von mir verkaufen immer noch Kokain. Ich hoffe, dass sie damit eines Tages aufhören und anfangen, Musik zu machen.

Mit 15 Jahren bin ich aus Marburg nach Frankfurt gekommen - das war, als wäre ich direkt in einem Musikvideo gelandet. Mein Stiefvater hat in der Taunusstraße 44 in einem Casino gearbeitet. Als ich noch niemanden kannte, war das mein einziger Ort, wo ich hinkonnte. Ich habe mich dann immer in das benachbarte Restaurant Marmaris gesetzt und dort auf ihn und seine Kollegen gewartet. Eine Zeit lang war ich eine Art Maskottchen von dem Restaurant. Bis ich in der Schule meine ersten eigenen Freundschaften geknüpft habe.

Als meine Mutter und mein Stiefvater noch kein Paar waren, war er auf der Münchener Straße zwei Mal angeschossen worden. Die Kriminalität im Viertel hat mich genervt. Aber es gab auch schöne Momente. Ich habe den Sommer in der Taunusstraße geliebt: Alle Fenster der Laufhäuser sind offen, Frauen schauen heraus, ältere Männer in Badeschlappen und Unterhemden, jeder scheint ein wenig glücklicher. Wie man sich die Bronx vorstellt, wenn man noch nie da war. Wir haben viel gelacht, viele Menschen kennengelernt, auch viele verschiedene Berufe. Nutten waren für mich keine Nutten. Es waren Bekannte, die um Mitternacht, das andere zwölf, zum Mittagessen gekommen sind.

Bevor ich einen Song schreibe, träume ich. Es ist, als würde ich an einen Ort gehen, an dem noch nie jemand war. Das Blatt ist unbeschrieben, den Beat gibt es noch nicht. Wenn ich auf die Bühne gehe, bin ich jedes Mal verliebt: Da sind Menschen, die ich mit meinem Traum eingefangen habe. Traumfänger habe ich mich irgendwann genannt. Anfangs war es nur eine Idee für ein Album. Aber dann hat mir die Bedeutung gefallen: einen Traum fangen. Aber viel besser gefällt mir meine Verantwortung, andere Menschen vor schlechten Träumen zu bewahren. Was ein Traumfänger eben tut: Er filtert Albträume. Ich bin sehr dankbar. Ich lebe jetzt meinen Traum.

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