Buchpreisträgerin Terézia Mora liest am Freitag im Vorfeld der LIT:Potsdam im Palais Lichtenau. Im Interview spricht sie über ihren neuen Roman und verinnerlichte Frauenfeindlichkeit.
Frau Mora, Muna, die Protagonistin Ihres aktuellen und fünften Romans, ist Ihre erste weibliche Hauptfigur. Warum hat es so lange gedauert?
Hauptsächlich deshalb, weil es fast zwanzig Jahre gedauert hat, bis ich die anderen vier Romane fertig geschrieben hatte. Gleichzeitig habe ich Leben geschenkt und erhalten und Geld verdient, um das Schreiben zu finanzieren. Darin ist auch schon der zweite Grund enthalten: dass ich selbst eine Frau bin. Ich bin, wie wir alle, in einer patriarchalischen Welt aufgewachsen und werde vermutlich auch in einer sterben. Perfiderweise macht mich das unsicherer gegenüber meinem eigenen Geschlecht beziehungsweise dem Reden und Schreiben darüber.
Was haben Sie in der Beschäftigung mit Muna über sich selbst herausgefunden?
Dass es mir offenbar leichter fiel, solidarisch mit meinen durch die Geschichte stolpernden, fehlbaren männlichen Figuren zu sein als mit einer weiblichen. Ich wurde mit meiner internalisierten Misogynie konfrontiert. Um die männlichen Hauptfiguren musste ich auch kämpfen, aber das überraschte mich nicht. Schließlich waren sie mir – dachte ich – unähnlicher, als es eine weibliche sein würde.
Lesung „Muna oder die Hälfte des Lebens“
Terézia Mora liest „Muna oder die Hälfte des Lebens“ im Vorfeld der LIT:Potsdam am 19. April um 19 Uhr im Palais Lichtenau, Kurfürstenstraße 40, 14467 Potsdam.
Moderiert wird die Veranstaltung von Denis Scheck. Tickets bekommt man für 18 Euro und ermäßigt für 15 Euro unter www.litpotsdam.de
Die Frauenfiguren in dem Roman sind sich selbst gegenüber unzuverlässig: Muna lässt sich in ihrer Beziehung zu Magnus Gewalt zufügen. Ihre Mutter ist Alkoholikerin und traut anderen Frauen nicht. Warum das negative Frauenbild?
Weil ich glaube, dass wir das beigebracht bekommen. Eine Frau, die wirklich überzeugt davon ist, besseres zu verdienen, gerät seltener in Beziehungen mit Soziopathen. Manchmal passiert aber auch das. Gerade sehr einfühlsame Menschen geraten immer wieder an kalte Personen.
Es ist schwer zu ertragen, Muna als intelligente, starke Frau in der Abhängigkeit von Magnus zu begleiten. Viele Lesende ertappen sich aber irgendwann dabei, sich nach ihrer Schuld zu fragen.
Das ist die Falle, die die Autorin gemeinerweise gestellt hat. Nachdem ich selbst lernen musste, dass ich gegenüber Frauen, die Fehler begehen, weniger Verständnis habe als gegenüber Männern, wollte ich die Ambivalenz auch an die Lesenden weitergeben. Warum? Weil die Situation ambivalent ist. Es ist absolut verständlich, dass wir uns, wenn wir sehen, dass jemand schlecht mit sich umgehen lässt, die Frage stellen: „Was stimmt nicht mit der?“
Muna lernt, wie viele Mädchen, sich zurechtzumachen und den Erwartungen anderer zu entsprechen. Ist das „die weibliche Variante“ – und der Kern des Problems?
Nein, der Untertitel ist eher ein Insider und hat mehrere Bedeutungen. Da ist eine Ich-Erzählerin, die Geschichte wird nur in ihrer Version erzählt. Ich interessiere mich nicht dafür, warum Magnus denkt, die Frau, die ihn liebt, misshandeln zu dürfen. Dann ist sie auch meine erste weibliche Hauptfigur. Und nicht zuletzt erinnert es mich daran, dass ich während der Arbeit die Geschichte einmal umdrehen musste – Muna als Täterin und Magnus als Opfer – um meine oben erwähnte Misogynie zu bekämpfen und ganz und gar auf Munas Seite stehen zu können.
Auch Ihre früheren männlichen Protagonisten kommen nicht gerade glatt durchs Leben. Was interessiert Sie so an Figuren, die immer wieder scheitern?
Offenbar ist es das, was mir am meisten Unbehagen bereitet. Dass es die sogenannten Umstände gibt, viel Ungerechtigkeit und historischen Wahnsinn. Gleichzeitig bleibt die Frage bestehen: „Aber was hast du selbst getan?“ Die Frage der Eigenverantwortung, das Bewusstwerden der eigenen Möglichkeiten und Grenzen ist ein Thema, das mich mutmaßlich mein ganzes Leben beschäftigen wird.
„Muna“ beginnt 1989, kurz vor dem Mauerfall. Dieses Jahr jährt er sich zum 35. Mal. Sie haben diese Umbruchszeit parallel zu Muna erlebt. Wie schauen Sie im Rückblick darauf?
Das war der größte historische Glücksfall meines Lebens. Ich war unfrei und arm und hatte nur eingeschränkte Möglichkeiten. Als ich 18 wurde, fiel die Mauer und die Welt ging für mich auf. Für Muna ergaben sich auch all diese Möglichkeiten. Der größte Teil ihrer verbliebenen Unfreiheit hängt mit der Fixierung auf einen Mann zusammen, der sie nicht respektiert.
Vor ein paar Jahren haben Sie im Interview gesagt, dass Sie nicht mit dem Feminismus in Ihren Büchern zufrieden sind. Glauben Sie, in der restlichen „Frauen“-Trilogie klappt es?
Ja, das habe ich mal gesagt, aber mittlerweile bin ich mir nicht sicher, ob das nicht ungerecht gegenüber der Literatur ist. Vielleicht wäre es möglich, dass sie von besseren Umständen erzählt, als wir sie in der Wirklichkeit vorfinden. Aber wäre das auch sinnvoll? Ja, ich hätte gerne, dass Frauen weniger Ungerechtigkeit erleiden müssen, aber muss das für meine Figuren auch gelten? Oder ist es besser, wenn sie uns einen Spiegel vorhalten, in dem sie nicht „okay“ sind?