Ein stadtnahes Gebiet im Westen Wiens soll urbanisiert werden – aber wann? Bisher wird es durch Gewerbe genutzt, teils stehen Gebäude wie das Kurier-Hochhaus leer. Nach aufwendigen Prozessen wie kooperativen Planungsverfahren, Wettbewerben und Gutachterverfahren herrscht hier derzeit Stillstand, weil Einigungen fehlen.
Im 19. Bezirk, im Westen der Stadt, findet sich eines der größten Stadtentwicklungsgebiete Wiens, das zu einem neuen, lebendigen Stadtviertel werden soll. Derzeit besteht hier noch eine Mischung aus aktiven und brachliegenden Betrieben, neue Gebäude sind hinzugekommen, neue Aktivitäten sind eingezogen. Ein großer Gesamtplan für die Neukonzeptionierung allerdings fehlte bisher. Um dem entgegenzusteuern, erstellte die MA 21 einen städtebaulichen Rahmenplan für das Stadtquartier, der im April 2014 von der Stadt entwicklungskommission (STEK) zur Kenntnis genom men wurde.
Dieser Plan soll eine hochwertige Entwicklung des stadtnahen Gebiets gewährleisten – es sind von hier aus nur fünf Kilometer in die Innenstadt. Außerdem zeichnet sich die Lage durch ihre Nähe zur Donau und die Nähe zum Wienerwald aus. Die Location ist also durchaus als sehr gut zu bezeichnen, was durch den Stadtentwicklungsplan unterstrichen werden soll.
Die Gestaltung sieht vor, in diesem Gebiet einen ge mischt genutzten, urban geprägten, lebendigen Stadt teil entstehen zu lassen. Potenzielle Hochhausstand orte im Bereich der Gunoldstraße sind vorgesehen. Besonderer Fokus liegt auf Freiraum und Aufenthalts qualität. Öffentlicher Raum und Bezüge zur Umgebung gehören zu den Hauptansprüchen, ebenso die Errichtung von Rad und Fußwegen und ein Zugang zur UBahnStation U4 Heiligenstadt. Vorgesehen ist eine Immobiliennutzung, die Gewerbe und bis zu 50 Prozent Wohnnutzung vereint, wobei ein Großteil als geförderte Wohnungen geplant ist.
Prozess stockt
Momentan scheint der Prozess ins Stocken geraten zu sein. Alexandra Rupp-Ebenspanger von der Magistratsabteilung 21, Leiterin der Stabsstelle fürBürgerbeteiligung und Kommunikation, erklärt: „Es besteht großes Interesse an einer zügigen Umsetzung der Ziele für das Stadtquartier Muthgasse. Derzeit sind einige interessante Projekte in Vorbereitung. Sobald konkrete Lösungen mit den Grundeigentümern, die sich für die qualitätsvolle Entwicklung des Stadtquartiers Muthgasse engagieren, erarbeitet sind, wird darüber informiert werden.“
Mehr ist diesbezüglich nicht in Erfahrung zu bringen. Das zur städtebaulichen Entwicklung ausgeschriebene Areal teilt sich in Gunoldstraße Nord und Gunoldstraße Süd. Auf der Grundlage des erarbeiteten Rahmen plans wurde beschlossen, die Teilbereiche in einem kooperativen Planungsverfahren zu konkretisieren. Mit den Ergebnissen dieses Verfahrens startete man weite re Schritte: für das Areal Gunoldstraße Nord wurde ein Gutachterverfahren ausgelobt, für das Areal Gunoldstraße Süd ein zweistufiger Realisierungswettbewerb durch die Grundeigentümer.
Ein Schuss Poesie
Dem Planungsverfahren vorgeschaltet gab es ein Aus wahlverfahren. Man startete mit mehreren Kolloquien, Screenings und anschließenden Hearings der ausge wählten Teilnehmer. Dann wurde pro Team anonym ein dreiseitiger Entwurf eingereicht. Von diesen Projekten wurden mehrere eingeladen, die Ideen vorzustellen, ab diesem Zeitpunkt wurde die Anonymität aufgeho ben. Die beiden Architektenkooperationen Kleboth Lindinger Dollnig, Linz, mit Monsberger Gartenarchi tektur, Graz, einerseits und Zechner & Zechner, Wien, mit 3:0 Landschaftsarchitektur, Wien, andererseits wur den mit ihren Grundlagen und ihren Ideenskizzen ausgewählt.
Von einer Freiraumabfolge mit grünem Rückgrat und einem urbanen Boulevard ist bei der Planung aus Wien die Rede, die Muthgasse soll zur Promenade wer den. Der Linzer/Grazer Entwurf möchte dem Pragmatis mus der existierenden Hoch und Verkehrsbauten „ei nen Schuss Poesie“ entgegensetzen und plant „hängende Gärten und Brücken, erhabene Bäume und vielfältige Wege mit traumhaften Aussichten.“
In einem nächsten Schritt entwickelten die beiden
Büros in Kolloquien ihre Ideen weiter. Städtebauliche
Lösungen wurden mit MA 21, MA 28, Grün + Freiraum
u. a. weiterkonzipiert und die einzelnen Vorschläge zu
sammengeführt. Daraus entstand dann die Grundlage
für das kooperative Planungsverfahren, organisiert von
der Agentur raum + kommunikation, die im Vorfeld das
Verfahren mit Vertretern der Liegenschaftseigentümer
entworfen und Gespräche mit der MA 21 begleitet hat
te. Die am Verfahrensort zuständige Kammer der Archi
tekten und Ingenieurkonsulenten war in die Durch
führung eingebunden. Das Ergebnis ist Vorstufe der
Gebietsentwicklung: Es besagt, welche Hochpunkte es
geben soll, wie der Sockel aussehen soll; verlangt wer
den hohe Aufenthalts und Freiraumqualität, eine Grün
verbindung zu den Bahntrassen und ein Steg zur
UBahnStation Heiligenstadt.
Gunoldstraße Nord könnte umgesetzt werden
Das Gutachterverfahren für den Bereich Gunoldstraße Nord im Jahr 2016 lief unter dem Titel „Multifunktio nale Bebauung Muthgasse“. Gewinner dieses Verfah rens ist das Architekturbüro RieglerRiewe (Graz/Ber lin). Geplant sind ein multifunktionaler, barrierefreier Bildungscampus mit Forschungs, Labor und Büro einheiten, ein Gebäude für temporäres Wohnen, eine Turnhalle mit Sportaußenanlagen, ein Kindergarten und eine Bibliothek. Ein fußläufiger Zugang soll an die UBahnStation Heiligenstadt anschließen.
Bezugnehmend auf die Lage zwischen Straße, BO KU und Bahnhof sieht der Plan eine in alle Richtungen durchlässige, versetzte Anordnung von quader und hakenförmigen Gebäuden vor. Er berücksichtigt die besonderen Windverhältnisse und avisiert windge schützte Freiflächen. Hauptzugänge zu den Gebäuden werden sich auf unterschiedlichen Niveaus befinden, der Geländeniveauunterschied führt zu einerzweigeschoßigen Foyerplanung und offenen Verglasungen der Eingangsbereiche.
Eineinhalb Jahre nach dem Verfahren, im Dezember 2017, beschloss der Gemeinderat den Flächenwidmungs- und Bebauungsplan für dieses Areal, der nun jederzeit durch die Grundeigentümer in konkrete Projekte umgesetzt werden könnte, wie es seitens der MA 21 heißt. Die geplante Reihenfolge sieht nach Planungsverfahren und Wettbewerb den Widmungsprozess vor.
Derzeit geht es aber nichts voran. Möglicherweise weil das gesamte Grundstück sechs verschiedenen Liegenschaftseigentümern gehört. Diese müssen sich zusammentun, um den Widmungsprozess durchzuführen und anschließend die Bebauung zu realisieren. Zu klären sind etwa Fragen der Belichtung, denn es sind Gebäudehöhen von achtzig und sechzig Metern vor gesehen. Auch die Idee einer einheitlichen Sockelzone muss durchdacht werden.
Keine konkreten Aussagen
Für das Areal Gunoldstraße Süd wurde 2016/17 von den Grundeigentümern ein Architekturwettbewerb unter dem Titel „Wohnen und Arbeiten in Wien - Heiligenstadt“ abgehalten. Zur Bearbeitung des nichtoffenen Realisierungswettbewerbs waren insgesamt zwölf Architekten, bzw. Gruppen oder Arbeitsgemein schaften aus solchen aufgefordert. Der Wettbewerb lief in zwei Stufen, mit vorgeschaltetem offenem Be werbungsverfahren nach Wettbewerbsstandard Archi tektur (WSA 2010), ab. Fünf Büros wurden im Voraus von den Auslobern zur Teilnahme aufgefordert, sieben weitere ermittelte man in einem international offenen Bewerbungsverfahren – wobei als Wettbewerbsspra che Deutsch angegeben war. Teilnehmende Architek turbüros stammten dementsprechend aus Österreich, Schweiz, Deutschland und den Niederlanden.
Das Verfahren lief in der ersten Stufe anonym, für
die zweite Stufe wurde die Anonymität aufgehoben,
um einen Dialog zwischen Preisgericht und Teilneh
mern im Rahmen einer Zwischenpräsentation zu
ermöglichen.
Für jedes der vier Baufelder wurde ein Siegerprojekt
ermittelt. Es gibt bisher noch keine Verlautbarung über
die Gewinner und noch keinen akkordierten Plan.
RuppEbenspanger, MA 21, stellt hierzu fest: „Derzeit
liegt der Ball bei den Grundeigentümern, sich zu eini
gen. Sobald diese Einigung vorliegt und die städte
bauliche Feinabstimmung der Siegerprojekte erfolgt
ist, können die nächsten Schritte zur Umsetzung des
Projekts eingeleitet werden.“
Im Moment gibt es keine konkreteren Aussagen zum weiteren geplanten Ablauf.