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Die schönen Augen der Revolution: Liebe bei den FARC in Kolumbien

Sie sind Anfang, Mitte zwanzig und tragen die Uniform schon seit mehreren Jahren. Viele von ihnen sind als Minderjährige in die Reihen der Guerilla getreten. Sie haben das schwierige Leben im kolumbianischen Dschungel, das harte Training und die Kämpfe gegen einen viel stärkeren Feind ausgehalten. Und trotzdem konnten sie sich eine unglaubliche Schönheit und Eleganz bewahren.

Ihre Ausstrahlung, ihr Geruch nach Abenteuer und rauher Wildheit erhöht noch mal ihre Anziehungskraft. Über der olivgrünen, taillebetonenden Militärhose tragen sie oft bunte moderne Tops. Glitzerbuchstaben formen ein „Love Me" oder „Fun" über ihrem Dekoltee. Die schwarze Basken- oder grüne Militärmütze mit Emblem des Che oder rotem Stern verdeckt nur einen kleinen Teil des dunklen Haares, das in einem langen Pferdeschwanz ihren Rücken hinabläuft. Dass diese Schönheitsköniginnen der Revolution keine High Heels tragen, sondern ihre Beine in schwarzen Gummistiefeln enden lassen, fällt dabei gar nicht auf.

Ihre jungen Gesichter schminken sie teilweise. Tragen Rouge auf oder umfahren ihre dunklen Augen mit Lidschatten. Ihre Lippen brauchen kein Rot, doch wenn sie es trotzdem wagen, ist das Schauspiel perfekt. Die an einem selbst gestrickten Gurt locker umgehängte AK-47 oder AR-15 gibt dem ganzen den martialischen Kick und bildet einen merkwürdigen Kontrast mit ihrem unschuldigen, fast kindlichen Lächeln und weiblichen Erscheinung.

Sie sprechen im Dialekt der Llanos, dessen Frauen berüchtigt sind und deren „Eroberung" durch den Mann in Liedern besungen und nur allzu oft mit der Bändigung der heimischen Wildpferde verglichen wird. Dass sie mit dieser freundlichen und sanften Stimme auch Befehle geben, kann man(n) kaum glauben. Und dass sie mit ihren Händen - deren Nägel oft lackiert sind - eine Waffe bedienen und vielleicht jemanden töten, schockiert.

Sie sind Kämpferinnen und Revolutionärinnen und bleiben doch ganz normale Frauen, die sich schminken und aufhübschen. Mit ihren Kameraden formen sie eine Art Familie, eine gleichberechtigte Gemeinschaft. Nach deren militärischem Reglement darf kein Guerillero und keine Guerillera mit jemanden außerhalb des Camps eine sexuelle Beziehung haben. Die Partnerwahl bleibt also auf einen kleinen Kreis beschränkt.

Wie funktioniert die Liebe in Zeiten des Krieges? Wie funktioniert die Liebe in einem Guerillacamp? „Die Jungs sind die Aktiven dabei. Sie machen der Ausgewählten kleine Geschenke, Süßigkeiten oder Modeschmuck. Klar, sie haben nicht viel Geld und kaum Möglichkeiten etwas zu kaufen" erzählte mir Rebeka, eine Guerillera des Bloque Oriental, bei einem Besuch in ihrem Camp. „Meistens bemerkt man etwas beim Baden oder Waschen. Bei uns gibt es keine getrennten Duschen, alle waschen sich gemeinsam beim Fluss. Aber es ist wie im zivilen Leben auch, Blicke, Scherze und erste „zufällige" Berührungen".

Nancy, eine Guerilla-Krankenschwester des Bloque Sur, meint „ich will keine Geschenke, ich verliebe mich nicht in Geschenke, sondern in die Compañeros die der Revolution dienen und nicht durch schlechtes Verhalten auffallen. Manche Kameraden denken, sie könnten eine Guerillera durch ein Angebot erobern wie „wollen wir uns heute Nacht in deinem Cambuche treffen", aber das läuft nicht." Dario des Frente 15 erklärt uns „wir lehnen den Machismos ab und wir respektieren unsere Kameradinnen. Wenn wir jemanden mögen, sprechen wir das Thema direkt an und fragen, ob sie einverstanden sind, dass man zusammen kommt."

Liebe lässt sich auch von Uniformen nicht aufhalten. Doch gibt es im Camp Regeln, sobald das erste „Date" stattgefunden hat, müssen sich die Verliebten beim Kommandanten melden und sozusagen ihre Liebe gestehen. Der Kommandant wird diese Verbindung in den meisten Fällen gutheißen. Ausnahmefälle gibt es aber, wie uns Nancy berichtet. „wenn Ansteckungsgefahr durch eine Geschlechtskrankheit besteht, jemand in letzter Zeit kein regelkonformes Verhalten gezeigt hat oder die Arbeit unter der Beziehung leiden könnte, kann der Kommandant das Verhältnis unterbinden."

Nancy führt aus, dass die Guerilla zu oft unterwandert wurde: „Das hat der Organisation großen Schaden zugeführt und durch die Medien gingen Gerüchte über Promiskuität und Aidskranke in der Guerilla. Es ist richtig, dass wir sehr liberal leben, dass wir nicht kirchlich heiraten und dass es normal ist, dass sich eine Verbindung auch wieder lösen kann. Das ist nur menschlich, aber die Guerilla achtet auch darauf, welche Beziehungen es im Camp gibt. Frau und Mann sind absolut gleichgestellt, in den Reihen der Guerilla wird kein Macho-Verhalten geduldet."

Allerdings basiert die Guerilla auch auf einer traditionellen Heteronormität und davon wird keine Abweichung erlaubt. Nancy versucht dies so zu entschuldigen: „Es gibt bei uns keine Schwulen oder Lesben. Im Kampfverband sind sie nicht erwünscht, in den zivilen Organisationen, die uns unterstützen, gibt es aber viele Schwule. Wir sind selbst noch in einer Lernphase, wir bekommen Kurse über Gendergleichstellung, die auch LGBTI einschließen. In Havanna bei den Friedensverhandlungen zeigte sich die kolumbianische LGBTI-Community sehr solidarisch und hat unsere Forderung nach Frieden unterstützt. Wir schulden ihnen was und versuchen selbst Vorurteile abzubauen, denn sie sind auch Kolumbianer und haben unter der sozialen Ordnung gelitten."

Rebeka erklärt, wie es nach der (Liebes-)Approbation durch den Kommandanten weitergeht. „Danach geht man sozusagen zusammen aus, das darf aber nicht die gemeinsame Arbeit im Camp beeinträchtigen. Das Reglement schreibt vor, dass man nur alle vier Tage in der gleichen Schlafstätte schlafen und sich auch sonst nicht zu sehr ablenken darf. Wenn man aber länger zusammen ist, kann man beim Kommandanten beantragen, zusammen zu leben, man zieht sozusagen zusammen und kann ab da im gleichen Bett schlafen. Wir heiraten nicht, aber es gibt Beziehungen, die einer Ehe ähnlich sind und Paare, die über Jahre zusammen bleiben."

Kinder sind bei der Guerilla nicht eingeplant. „Hier im Dschungel und im Camp ist das nicht machbar. Kinder und Revolution gehen nicht zusammen. Wenn sich jemand für die Revolution entscheidet, widmet er sein ganzes Leben diesem Kampf. Jetzt wo wir mit den Friedensverhandlungen in einer Etappe des Friedens eingetreten sind, können wir diese Dinge planen und Kinder bekommen". In einem anderen Camp hatte ich bereits eine schwangere Guerilla gesehen und Rebeka erklärte mir, dass die Frauen weiter arbeiten solange es ihre Konditionen zu lassen. Die ersten beiden Babys die nach dem endgültigen Waffenstillstand am 23. Juni in der Guerilla geboren wurden, sollen Andres und Sophia heißen.

Doch viele Frauen sind noch skeptisch, ob der Frieden hält und ob der Kinderwunsch nun Realität werden kann. „Die Guerilla hilft bei der sexuellen Verhütung, klärt auf und verschreibt Verhütungsmittel. Der Kommandant und das medizinische Personal überwachen auch die strikte Einnahme und wenn es zu einer ungewollten Schwangerschaft kommt, wird diese in den meisten Fällen abgebrochen. Jede Guerillera weiß, auf was sie sich einlässt und das keine Schwangerschaften in der Guerilla möglich sind". Nancy trat mit zwölf Jahren in die Guerilla ein, ob sie da schon die Tragweite einer solchen Entscheidung abschätzen konnte, ist fraglich, doch sie bleibt auch auf Nachfrage bei ihrem Diskurs: „Entweder Revolution oder Familie, das ist eine Entscheidung für's Leben".

Dies ist eines der traurigen und schwierigen Themen, die die Guerilla auch mit der kolumbianischen Öffentlichkeit diskutieren muss. In der Presse liest man oft über ungewollte Abtreibungen, gewaltsame Abtreibungen auch noch nach dem siebten Schwangerschaftsmonat. Eine Guerillera, die sich in das staatliche Wiedereingliederungsprogramm begeben hat, berichtet, dass ihr wahrscheinlich KO-Tropfen ins Essen gemischt wurden, die sie betäubten. Als sie wieder erwachte, hatte sie das Kind, dessen Bewegungen sie vorher schon gespürt hatte, verloren. Man hatte es ihr „in Stücken herausgenommen". „Wenn ich eine Waffe neben mit gehabt hätte, hätte ich meinen damaligen Freund, der das zugelassen hatte und mich selbst erschossen" berichtete sie in einem Video für Vice.

Die Schönheit der Revolution, hat auch ihre Schattenseiten. Diese aufzuhellen, gehört zu der Arbeit, die nun auf die Guerilla in einem möglichen Postkonflikt zukommt. Doch auch die kolumbianische Gesellschaft muss versuchen ihre Vorurteile gegenüber diesen Frauen zu überwinden. Hinter ihren schönen Gesichtern verbirgt sich eine Wahrheit über eine Ungerechtigkeit, die in vielen abgelegenen Regionen des Landes herrscht, in denen der Staat praktisch nicht vorhanden ist.

Die Lebensweise der Guerilla, in der der Machismo nicht akzeptiert wird und in der die Gleichstellung der Geschlechter gelebte Realität ist, muss auch seinen Nutzen und Anwendung in der Gesamtgesellschaft finden. Hoffentlich führt der baldige Friedensschluss auch zu einem profunden gesellschaftlichen Wandel, der den schönen Augen der Revolution nicht blind gegenüber bleibt.

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