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Präsident von Puigdemonts Gnaden

Carles Puigdemont war erst einen Tag in Haft, als Quim Torra von Barcelona zur Justizvollzugsanstalt Neumünster eilte, um seinen abgesetzten katalanischen Ministerpräsidenten zu unterstützen. An der Brust des Mannes mit der Hornbrille und hohen Stirn heftet die kleine gelbe Schleife, Zeichen des Protests gegen die Strafverfolgung katalanischer Politiker. Gemeinsam mit deutschen Puigdemont-Sympathisanten skandierte der 55-Jährige: "Llibertat presos politics!" - "Freiheit für die politischen Gefangenen!"

Auf seinen alten Weggefährten kann sich Puigdemont verlassen. Das war Ende März im kalten Deutschland unübersehbar. Und so soll es auch künftig in der Heimat sein.

Seit Donnerstag ist klar: Joaquim "Quim" Torra, Publizist, Jurist und Parlamentsabgeordneter des Puigdemont-Bündnisses Junts per Catalunya, soll neuer Regierungschef der Region Katalonien werden. So will es Carles Puigdemont. Er höchstpersönlich hat die Nominierung seines Vertrauten Torra verkündet: per Videobotschaft aus Berlin.

Puigdemont hält sich Rückkehr offen

Puigdemont selbst musste passen: Am Mittwoch hat Spaniens Verfassungsgericht dem katalanischen Parlament verboten, einen Ministerpräsidenten in Abwesenheit zu wählen. Der Strippenzieher hält sich seine künftige Rückkehr in den "Palast der Generalität" in Barcelona aber weiter offen. "Wir beginnen eine Phase der Vorläufigkeit", sagt Puigdemont in dem Video. Und so spricht die katalanische Zeitung "El Periodico" schon jetzt von einem "Strohmann-Präsidenten", ehe Torra überhaupt zur Wahl angetreten ist.

"Torra hat keine Hausmacht in der Fraktion. Er ist von Puigdemont als loyaler Vertreter seiner Interessen ausgesucht worden", sagt der Politologe Klaus-Jürgen Nagel von der Universität Pompeu Fabra in Barcelona. "Torra wird eine Standleitung nach Berlin eröffnen, wenn er gewählt wird."

Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sprechen für die Wahl des ehemaligen Juristen. Junts per Catalunya und die zweite große Separatistenpartei ERC haben zusammen zwar nur 66 von 135 Sitzen. Im zweiten Wahlgang reicht aber die einfache Mehrheit. Und die Fraktionen, die gegen Torra stimmen wollen, kommen zusammen lediglich auf 65 Mandate.

Sollte Torra gekürt werden, müsste Spaniens Zentralregierung wohl die seit einem halben Jahr anhaltende Zwangsverwaltung Kataloniens beenden. Entschärfen würde sich der Konflikt Madrid gegen Barcelona unter Torra aber kaum. Denn der "President" in spe ist nicht nur Verfechter der Unabhängigkeit und Katalanist alter Schule. Er hat sich in der Vergangenheit auch wiederholt verächtlich über die Spanier geäußert.

Die Spanier wüssten nur zu "plündern", schrieb er im Juni 2012 auf Twitter. Ein anderes Mal twitterte er: "Der Faschismus der Spanier, die in Katalonien leben, ist unendlich pathetisch, ekelhaft und plump." Oder: "Scham ist ein Wort, das die Spanier schon vor Jahrhunderten aus ihrem Wörterbuch eliminiert haben." Oder: "Wir sind seit 1714 von den Spaniern besetzt." Die Tweets sind längst gelöscht, Torra hat einen anderen Twitteraccount und drückt sich heute gemäßigter aus. Aber seine Kritiker hatten sie archiviert - und kramen sie nun wieder hervor.

"Die Sache der Unabhängigkeit ist ehrenwert"

Selbst hochrangige Mitglieder der linksalternativen Partei Podemos, die nicht im Verdacht stehen, viel von spanischem Nationalismus zu halten, kritisieren seine Äußerungen. Weil Torra nicht bloß Madrider Politiker attackierte, sondern alle Spanier. Inklusive der in Katalonien, deren Präsident er bald sein könnte.

Dabei kann sich Torra viel gewählter ausdrücken. Der 55-Jährige wurde als Intellektueller mit einem Faible für katalanische Geschichte bekannt. Zuletzt leitete er die katalanische Monatszeitschrift "Revista de Catalunya" und den Verlag "A Contra Vent", der sich auf Literatur über Katalonien in der Zeit des spanischen Bürgerkriegs und der Franco-Diktatur spezialisiert hat. Er hatte vorübergehend führende Positionen bei Omnium und ANC inne, den beiden wichtigsten zivilgesellschaftlichen Organisationen der "Independentistas".

Im Parlament sitzt Torra erst seit den Wahlen vom Dezember 2017: als Nummer elf auf der Wahlliste von Junts per Catalunya. Dass er Katalonien noch immer von Spanien loslösen möchte, hat er dort kürzlich klargestellt: "Die Sache der Freiheit ist gerecht, und die Sache der Unabhängigkeit ist ehrenwert", sagte er. Madrid versuche, die Katalanen mundtot zu machen und einzuschüchtern, kommentierte er das harte Vorgehen der spanischen Justiz. "Sie wollen uns im Gefängnis haben und im Exil."

Anklage unwahrscheinlich

Torra selbst ist bisher nicht im Visier der Strafverfolger. Im "katalanischen Herbst", während des Konflikts rund um das verbotene Abspaltungsreferendum, spielte er politisch keine große Rolle. Rein theoretisch könnte ihn die Justiz in Madrid jetzt noch anklagen - und damit die für Anfang kommender Woche erwartete Wahl verhindern.

Dies aber sei unwahrscheinlich, sagt der deutsch-katalanische Politologe Peter A. Kraus von der Universität Augsburg. "Es wäre ein ganz schlechtes Signal nach außen. Torra hat nichts strafrechtlich Relevantes getan. Und das Eintreten für die Unabhängigkeit ist noch kein Verbrechen."

Spaniens Premierminister Mariano Rajoy wird sich wohl mit dem "President" von Puigdemonts Gnaden arrangieren müssen. Wer in dieser Beziehung das Sagen haben soll, versucht Rajoy schon jetzt klarzustellen.

Unmittelbar nach Torras Nominierung erklärte er: "Wer immer der Kandidat sein wird, er hat die Verpflichtung, das Gesetz zu respektieren." Die Fronten sind in diesem Frühling noch immer genauso verhärtet wie im katalanischen Herbst.

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