Von oben sieht Point Reyes aus wie ein Dreieck, das in den Pazifik ragt. Die Halbinsel nördlich von San Francisco ist Naturschutzgebiet, die steile Felsküste liegt so häufig im Nebel, dass sie sich schon von Haus aus als Kulisse für John Carpenters The Fog anbot. Fährt man nach Osten ins dünn besiedelte Landesinnere, trifft man auf Redwood-Urwälder, erst später folgen dann die kalifornischen Weinanbaugebiete - ein mysteriöser Fleck Erde also, und damit ein idealer Rückzugsort für einen mysteriösen Musiker. Dieser nennt sich Art Feynman, und sein Gesicht ist auf allen bisher bekannten Fotografien verdeckt.
Nicht wenige Menschen begeben sich in der kalifornischen Natur auf Sinnsuche, und wer wie Feynman bis vor einem Jahr in der Großstadt gelebt hat, findet hier ideale Bedingungen zur Kontemplation: „Die Westküste hat eine andere Stimmung als die Ostküste, wo ich vorher gewohnt habe", erzählt er. „Sie ist über den Pazifik viel mehr mit einer asiatischen Empfindsamkeit verbunden. Es gibt hier diese Bewegung zurück aufs Land, die Leute suchen die Verbindung zur Natur. Das habe ich im Osten nicht so erlebt, vielleicht einfach, weil dort alles zubetoniert ist." Die Natur hat in Feynman das Interesse an den großen Fragen der Metaphysik geweckt. Zum Beispiel, ob nicht auch allem Unbelebten etwas Lebendiges innewohnt. Seiner Ansicht nach sei es naiv, dass man nur menschlichen Wesen ein Bewusstsein zuspreche. Gerade in politisch derartig absurden Zeiten könne ein gewisses Maß an Spiritualität heilende Kraft haben.
Auch Feynmans Arbeitsweise hat sich mit der Stadtflucht verändert. Saß er in seinem früheren Musikerleben, in dem er seit über zehn Jahren die eine oder andere Folk- und Indie-Perle verantwortete, häufig stundenlang vor dem Computerbildschirm, entstand sein erstes Album Blast Off Through The Wicker komplett ohne Drumcomputer oder Loops. Aufgenommen wurde mit einem Vierspurrekorder. Zuvor verlor er sich in der Musik des Avantgarde-Cellisten Arthur Russell und im Album Magic Realism des Trompeters und Komponisten Jon Hassell. Auch nigerianischer Synth-Funk und jede Menge Dub dienten als Inspirationsquellen - gerade Letzteres hört man an einigen Stellen heraus. Doch vor allem ist das Album ein Trip durch psychedelische Klanglandschaften, für den Feynman den Wanderrucksack gut gefüllt hat: Mal irrlichtert seine verhallte Stimme durch taumelnde Gitarrenriffs, mal schmiegt sie sich an vertrackt-synkopische Grooves. Dazwischen entsteht luftiger Psych-Pop, von gleißender Sonne durchflutet wie das Gebäude, das das Albumcover ziert. Feynman glaubt, dass es sich dabei um eine Moschee handelt. Er hat das Foto in einem Ramschladen gefunden, vergrößert und vor den Aufnahmesessions in sein Studio gehängt.
Seine wahre Identität versteckt der Musiker nicht allzu sorgfältig. Schon vor dem Ferngespräch weist sein Skype-Benutzername auf die bisherige musikalische Laufbahn hin. Als Art Feynman will er versuchen, noch einmal als Newcomer wahrgenommen zu werden. Der neue Sound solle für sich sprechen ohne Vergleichen mit seinen anderen Projekten standhalten zu müssen. Deshalb bittet er um Verschwiegenheit: „Die Leute werden schon früh genug drauf kommen." Dann gäbe es ein Mysterium weniger im kalifornischen Niemandsland.