Mehrere Hundert Menschen haben am Mittwochabend in Frankfurt für eine weitere Aufarbeitung der NSU-Terrorserie demonstriert. Nach Polizeiangaben versammelten sich 685 Menschen auf dem Willy-Brandt-Platz. Die Demonstranten forderten unter anderem die Auflösung des Verfassungsschutzes und erklärten ihre Solidarität mit den Angehörigen der NSU-Mordopfer. „Die Politik muss dafür sorgen, dass endlich ausgepackt wird, was wirklich geschah", sagte Oscar Wieland, Sprecher der Initiative „Kein Schlussstrich Hessen". Das Bündnis habe zu der Demonstration aufgerufen, weil die Aufklärung des NSU-Komplex auch nach der Urteilsverkündung noch am Anfang stehe, sagte Wieland. „Der hessische Untersuchungsausschuss hat erneut gezeigt, dass die staatliche Aufklärung allein bisher ungenügend ist."
Viele Demonstranten erinnerten an die beiden hessischen NSU-Opfer: den Blumenhändler Enver Simsek aus Schlüchtern, der am 9. September 2000 in Nürnberg niedergeschossen worden war, und den am 6. April 2006 in Kassel ermordeten Halit Yozgat. „Viele Fragen sind weiterhin offen, weil sie nicht gestellt wurden", sagte eine Rednerin. Eine weitere Rednerin verwies auf die Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen und erklärte, dass Rassismus und Fremdenhass die Strukturen der deutschen Gesellschaft geformt hätten.
„Die Taten des NSU fielen nicht vom Himmel", sagte eine Teilnehmerin, die ihren Namen nicht nennen wollte. Die Sicherheitsbehörden seien Hinweisen auf rechtsextremen Terror nicht nachgegangen und hätten ihn so erst möglich gemacht. Um so wichtiger sei es nun, mit den Opfern und Hinterbliebenen zu sprechen, „und nicht ‚besorgten Bürgern'".
Fotostrecke Demo nach NSU-Urteil Galerie öffnenNach der Kundgebung zogen die Demonstranten zum Hülya-Platz, der nach Hülya Genç benannt ist, die 1993 bei dem rechtsextremen Brandanschlag von Solingen getötet worden war. Auf ihrem Weg nach Bockenheim überklebten die Demonstranten Straßenschilder mit den Namen von Mordopfern des NSU. So benannten die Demonstranten die Kaiserstraße nach Enver Simsek und tauften die Bethmannstraße in Abdurrahim-Özüdogru-Straße um. Damit wolle man an die Opfer erinnern, erklärte Wieland. „Weil das eine typisch deutsche Art ist, Menschen zu gedenken."
„Kein Schlussstrich Hessen" zeigte sich zufrieden mit dem Engagement und der Zahl der Teilnehmer. Auch, weil ein Teil der Initiative zur Urteilsverkündung nach München gereist war. „Es war uns wichtig, am Gericht zu zeigen, dass wir mit dem Prozess und Urteil nicht einverstanden sind", sagte Wieland.
Mit dem Urteil sei es nicht getan, befand ebenso die Demonstrantin Yael Wenzel. Sie sei zwar mit der lebenslangen Haftstrafe für Zschäpe zufrieden. „Aber für die Opfer ist es wichtig, dass auch die V-Männer aufgedeckt werden", sagte die 21 Jahre alte Studentin. Wie viele Teilnehmer hielt Wenzel ein Pappschild gegen „Fascism and Racism" in die Luft. Auf die Demo sei sie gekommen, um zu zeigen, dass Frankfurt hinter den Opfern und Angehörigen des NSU-Terrors stehe.
Viele Teilnehmer wollten nicht mit der Presse sprechen, einig waren sich aber alle in der Freude über die lebenslängliche Haftstrafe für Beate Zschäpe. Das Strafmaß der Mitangeklagten rief hingegen Kopfschütteln hervor. „Gerade weil die Tatwaffe durch deren Hände ging, finde ich das ziemlich seltsam", erzählte der 29-jährige Micha Steinwachs. Auch sein Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus ende nicht nach dem Münchener Urteil. „Die Morde des NSU sind ja nur Auswirkungen einer gesamtgesellschaftlichen Einstellung."
Das eigentliche Signal des Urteils sei, „dass schon heute einer der Mittäter den Knast verlassen konnte", sagte Oscar Wieland. Das sei ein hartes Zeichen für die Angehörigen der Opfer. Deswegen gehe der Kampf der Initiative weiter. „Kein Schlussstrich Hessen" hatte schon vor der Demonstration mitgeteilt: „Die Angehörigen werden nicht aufhören zu fragen, und wir dürfen nicht aufhören, sie dabei zu unterstützen."