Manchmal sind Freundschaften komplizierter als Partnerschaften - weil sie genauso wichtig sind. Unser Schwerpunkt "Lass uns Freunde bleiben" erzählt, was sie belastet, stärkt und am Leben hält.
Gerade als ich denke, Lena und ich könnten wirklich Freundinnen werden - wir sitzen auf ihrem Balkon, reden und finden immer mehr Gemeinsamkeiten -, erinnere ich mich daran, was ich heute Nacht verpasse. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und schaue aufs Display: zwölf ungelesene Nachrichten. Meine besten Freunde treffen sich gerade zwei Stadtviertel weiter. Selten kriegen wir es hin, einen gemeinsamen Termin zu finden. Ausgerechnet heute ist so ein Tag. Und ich bin nicht dabei, weil ich mit einer fremden Person auf einem fremden Balkon abhänge. Aber ich habe es ja so gewollt.
Eigentlich fällt es mir nicht schwer, auf Menschen zuzugehen, sie anzusprechen, kennenzulernen und zu Freundinnen und Freunden zu machen. Das war schon immer so. Mit 16 auf Indie-Pop-Konzerten, mit 20 auf einer Ü-30-Party, mit 24 auf der Straße beim Cornern, mit 28 beim Warten auf dem U-Bahnhof.
Seit Beginn der Corona-Pandemie ist es schwierig geworden, neue Bekanntschaften zu machen. Wo auch? Das öffentliche Leben ist mehr oder weniger narkotisiert. Auch mein Freundeskreis ist zusammengerückt - und mit jedem Lockdown kleiner geworden. Aus Bekannten wurden wieder Fremde. Und so sprach ich mit den immer gleichen Menschen über die immer gleichen Themen. Alles wiederholte sich. Es war, als hörte ich mein Lieblingslied in Dauerschleife: Irgendwann hat man es satt. Einer Freundin von mir ging es ähnlich. Sie erzählte mir, dass sie über eine App eine neue Freundin gefunden hatte, mit der sie nun regelmäßig spazieren ging. Würde ich damit aus meinem Kokon ausbrechen können? Ich nahm mir vor, es auszuprobieren.
Bumble muss ich mir nicht runterladen, weil ich die App schon installiert habe, bislang allerdings fürs Dating. Mit einem Klick stelle ich die BFF-Funktion ein, BFF wie Best Friends Forever. Die Mechanik bleibt gleich: Wischen beide auf ihrem Smartphone nach rechts, gibt es ein Match und eine Chatfunktion wird freigeschaltet. In der Hoffnung, Menschen zu finden, die mein Leben bereichern, wische ich mich durch die Profile. Ich suche Frauen, mit denen ich lachen und reden kann, weinen und schweigen.
Die App soll mir Userinnen in einem Radius von vier Kilometer anzeigen, die zwischen 25 und 34 Jahre alt sind. Auf meinem Display tauchen Frauen mit Sonnenbrillen auf, Frauen in Yogaposen, Frauen vor Bergpanoramen. Da ist Pia, 28, seit 2019 in München, freut sich auf Kochabende und neue Gesichter. Maike, 25, mag Kaffee und . Ina, 31, zugezogen aus Hamburg, im Gepäck exzellente dad jokes.
Jugendliche haben die größten Freundes- und Bekanntenkreise, weil Menschen in diesem Alter am kommunikativsten sind. Das fanden Wissenschaftlerinnen des Allensbach-Instituts 2014 bei einer Studie heraus. Die Zahl der Freunde und Bekannten nimmt mit steigendem Alter ab. Vor allem in der Rushhour des Lebens ist das so, also zwischen Berufsabschluss und Lebensmitte. Das heißt aber nicht, dass man die Fähigkeit verliert, freundschaftliche Bindungen einzugehen. Die Prioritäten sind nur andere: Partnerschaft, Kinder, Karriere.
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