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Hotel Sacher Wien: Die Sachers allein zu Haus

In den Wochen vor Weihnachten riecht es im Wiener Luxushotel Sacher nach Glühwein. Eine Frau verteilt dampfende To-go-Becher und Lebkuchen-Brezen. Etwa fünfzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellen kleine Modelle von weißen Pfauen mit aufgeschlagenem Rad auf Fensterbretter und dekorieren Weihnachtsbäume unterschiedlicher Größen.

Wenn Besucher in diesem Renaissance-Palast zwischen all den Kristalllüstern und dem historischen Prunk die Welt um sich herum vergessen, hat Matthias Winkler seinen Job gut gemacht. Der 51-Jährige, Anzug und weißes Hemd, Armbänder am Handgelenk, ist der Geschäftsführer der Sacher-Gruppe. Seit sechs Jahren leitet er die Geschicke der Wiener Institution, die die Vorfahren seiner Ehefrau Alexandra Gürtler aufgebaut haben. Sie kümmert sich um die Erziehung ihrer drei Kinder und um die Inneneinrichtung des Hotels.

Seinen Ruf verdankt der Name Sacher vor allem einer Torte, die im Innern mit Marillenmarmelade befüllt und außen von dunkler Schokolade umgeben ist. Ihr gleichmäßiger Panzer aus Zucker und Fett erinnert an längst vergangene Tage, an die Blütezeit während der Habsburger Monarchie. Eine Kulturgeschichte mit schätzungsweise 400 Kilokalorien je Stück - genau lässt es sich nicht bestimmen, denn das Rezept von 1832 ist nach wie vor ein Familiengeheimnis der Gürtlers. "Das Ausruhen auf vergangenen Erfolgen ist lebensgefährlich im wirtschaftlichen Sinn. Wir müssen jeden Tag neu beweisen, dass wir die Besten sein wollen", sagt Matthias Winkler. Von der Begrüßung bis hin zum Weihnachtsschmuck soll alles perfekt sein, selbst wenn an diesem Tag nur fünf Gäste in dem Hotel übernachten werden.

Euro Umsatz machte das Unternehmen im Jahr 2019

Euro Umsatz machte das Unternehmen im Jahr 2020

Die Neuinfektionen mit dem Coronavirus haben auch Österreich hart getroffen. Das gesamte Land wurde schon im November heruntergefahren, Schulschließungen und Ausgangssperre inklusive. Ein Drama auch für Hotels wie das Sacher. 2019 machte das Familienunternehmen einen Umsatz von 90 Millionen Euro und einen Gewinn von 10 Millionen. In diesem Jahr hatte Winkler eigentlich mit 100 Millionen Euro Umsatz gerechnet, doch das war vor Ausbruch der Pandemie. "Wir werden ein Viertel unseres Umsatzes machen, etwa 25 Millionen", sagt er heute. Jeder Blick auf die interne Hotel-App, die ihm Buchungen und Gästezahlen anzeigt, sei für ihn eine "Frust-Dusche".

Also muss er improvisieren. Im Sommer hat er die leeren Suiten zu Mini-Restaurants umfunktioniert, in denen Gäste ein Fünf-Gänge-Menü einnehmen können, während ihnen ein persönlicher Butler zu Diensten steht. Vor dem Hotel gibt es einen Drive-in: Kunden fahren dort vor, viele im Range Rover oder einem Audi A8, und lassen sich Torten durchs Autofenster reichen. Trotzdem genügt das nicht: Vor drei Monaten kündigte Winkler knapp hundert Beschäftigten in Wien und 35 weiteren in der Dependance in Salzburg.

Es ist einsam in der Lobby des Hotels. Einer der fünf Hotelgäste hat es sich in einem Samtsessel gemütlich gemacht. Ein Geschäftsreisender, der mit Kopfhörern und Tablet auf dem Schoß Videokonferenzen führt. Winkler durchschreitet die Lobby, nimmt die Treppe nach oben, mit jedem Schritt zwei Stufen. Im ersten Stock liegt die Suite Madame Butterfly, mit 180 Quadratmetern die größte des Hauses. Dort soll das Gespräch weitergehen, neben einem deckenhohen Kachelofen drückt Winkler auf ein Display und stellt die Heizung ein paar Grad höher. Warm wird es bei dem Gespräch trotzdem nicht.

Winkler hat eine erstaunliche Karriere gemacht. Mit einer Eventfirma, die er gemeinsam mit einem Freund aufgebaut hatte, veranstaltete er zunächst Studentenpartys. Die Firma verkaufte er, um bei McDonalds als Trainee anzufangen. Wer bei einem Fast-Food-Unternehmen arbeiten wolle, brauche "Ketchup im Blut" ist heute einer seiner Lieblingssprüche. In einer Filiale in der Johannesgasse, wenige Hundert Meter vom Hotel Sacher entfernt, salzte Winkler Fritten, briet Burger und packte Bestellungen in braune Papiertüten, bevor er Marketingmanager wurde.

Parallel stieg er auch politisch auf. Schon während seines Jura- und Politikstudiums leitete er die Aktionsgemeinschaft, eine politische Studierendenorganisation, die inhaltlich der Österreichischen Volkspartei nahesteht. Sie sei jedoch "deutlich liberaler" als die Partei des Bundeskanzlers Sebastian Kurz, sagt Winkler, und habe immer auch "eine kleine Portion Revolution" enthalten. Er selbst habe damals auch lange Haare, Lederjacke und zerrissene Jeans getragen, erzählt er, was man sich beim Betrachten späterer Fotos gar nicht mehr so richtig vorstellen mochte. Spätestens als der damalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser ihn 2000 zu seinem Kabinettschef machte, dürfte es mit der alternativen Garderobe vorbei gewesen sein. 2004 lernte Winkler dann seine heutige Ehefrau kennen - beim Skifahren im noblen Wintersportort St. Moritz, der auch nicht gerade für zerrissene Jeans bekannt ist.

"Ich spreche zwei Sprachen: die der Politik und die der Wirtschaft", sagt Winkler heute. In Österreich ist das zugegebenermaßen oft dasselbe. Und es bedeutet auch, dass man manchmal lieber schweigt. Der frühere Finanzminister Grasser wurde gerade wegen Korruption verurteilt, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Winkler mag sich zu den Vorgängen nicht äußern. Als Zeuge vor Gericht hat er ausgesagt, dass er sich nicht mehr an alles erinnern könne, was während seiner insgesamt sieben Jahre dauernden Tätigkeit im Finanzministerium so alles passiert sei.

Das alles wirkt auch sehr weit weg in der Welt der Grandhotels, zu denen nicht nur das Sacher, sondern auch das schräg gegenüber gelegene Hotel Bristol gehört. Es steht ebenfalls im Besitz der Familie, in die Winkler eingeheiratet hat. 2011 vertraute ihm seine Schwiegermutter Elisabeth Gürtler dann das bedeutendere Haus an: das Sacher selbst.

Dessen Verkaufsschlager ist seit 188 Jahren die Torte. Das kann selbst Corona nicht ändern. Der Versand zumindest läuft prächtig.

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