1 abonnement et 1 abonné(e)
Article

Off-Label-Impfung: Warum eine Bremer Familie ihr Kleinkind impfen ließ

Obwohl es derzeit noch keine Zulassung gibt, können Eltern ihre Kinder unter fünf Jahren gegen das Coronavirus impfen lassen. Die Meinungen über den Nutzen gehen dabei auseinander.

Familie L. aus Bremen hat ihr Kleinkind gegen Corona impfen lassen, obwohl es dafür keine Zulassung und keine Stiko-Empfehlung gibt. Uns haben die Eltern von ihrem Weg zur Off-Label-Impfung berichtet.


Anna L. und ihr Mann hatten irgendwann genug von der stetigen Angst. Mit jeder Corona-Welle wuchsen die Sorgen um ihre beiden Kinder, beide im Kita-Alter, beide in einer Einrichtung, in der es laut Anna L. nicht alle Eltern immer so genau nahmen mit den Corona-Regeln und sich mehrere von ihnen offen gegen die Impfung ausgesprochen haben. Die Familie betreute die Kinder zu Hause, so oft und so gut es ging, gerade in den Wintermonaten, in denen die Infektionszahlen rasant anstiegen.


3000 Euro gaben sie im vergangenen Jahr aus für Betreuung aus, auch für die Kita-Plätze, die sie nur teilweise nutzen konnten, sie verlängerten mehrfach ihre Elternzeit. Bis am Ende die Entscheidung feststand: Wir lassen unsere Kinder impfen, auch das im Alter von zweieinhalb. „Es ist nicht anders möglich, die Kinder zu schützen“, sagt Anna L., die sich mit ihrem Mann letztlich für eine Off-Label-Impfung ihres Kleinkinds entschied, also eine Impfung ohne die offizielle Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) und ohne Zulassung des Impfstoffs für das Alter ihres jüngsten Kindes.


Die Stiko hat empfiehlt die Covid-19-Impfung bislang nur für Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren, die Vorerkrankungen haben. Für eine Impf-Empfehlung für jüngere Kinder reiche die Datenlage allerdings nicht aus. Nur ein erstes Zulassungsverfahren läuft seit dieser Woche: Biontech und Pfizer wollen ihren Impfstoff in den USA für Kinder zwischen sechs Monaten und fünf Jahren mit einer Notfallgenehmigung bald in die Impfzentren bringen.


OFF-LABEL-IMPFUNG: OHNE ZULASSUNG, DENNOCH LEGAL

Für Eltern wie Anna L. und ihren Mann bleibt derzeit also nur die Möglichkeit der Off-Label-Impfung. Illegal ist es nicht, seine Kinder mit dem zugelassenen Vakzin von Biontech impfen zu lassen. Zwar hat der Impfstoff für diesen Altersbereich keine Zulassung und es fehlt auch die Empfehlung der Stiko. Eine Impfung kann dennoch legal erfolgen, wenn sich ein Arzt dazu bereit erklärt, die sogenannte Off-Label-Impfung vorzunehmen. Anna L. will die Namen ihrer Familie dennoch nicht in diesem Bericht lesen, weil es so ein emotional besetztes Thema sei, und weil in ihrem Umfeld mehrere Menschen gebe, die die Corona-Impfung ablehnen, gerade für Kinder.


Genauso hält es einer der Mediziner, der selbst Kleinkinder impft. Auf Twitter findet man ihn unter dem Synonym „Dr. Pappa“. Mehr als 11.000 Menschen folgen ihn bei dem Kurznachrichtendienst, auf dem er über seine Erfahrungen mit der U5-Impfung berichtet, über gute Erfahrungen, wenn man mal von Anfeindungen im Netz absieht.

„Wir haben uns mit anderen Ärztinnen und Ärzten zusammengeschlossen und impfen die Kinder unter fünf Jahren mit einer Dosierung von fünf Mikrogramm“, sagt der Arzt. „Anekdotisch haben bei so geimpften Kindern bestimmte Antikörperspiegel gute Werte gezeigt.“ Er habe seit September eine bisher vierstellige Zahl an Kindern geimpft und baue seine Kapazitäten für die U5-Kohorte aus, die Nachfrage steige. „Die Hospitalisierung ist nicht entscheidend für die Eltern, sondern die Langzeitfolgen wie Pims, Long Covid, Diabetes oder ein lang anhaltender Leistungsverlust.“


Als Pims wird eine Autoimmunreaktion bei Kindern bezeichnet, die mehrere Wochen nach einer Corona-Infektion auftreten kann. Für den Arzt spielt noch ein Faktor eine wichtige Rolle, warum er das Impfen einer natürlichen Infektion mit dem Coronavirus vorzieht: „Wir wissen, dass eine T-Zellen-Immunität, durch die Impfung ausgelöst, besser hilft als eine einmalige natürliche Infektion.“ Dies sei von Vorteil, da das Virus mutiere und der Körper durch die Impfung eine breitere Immunantwort auf die Varianten bilden könne.


OFF-LABEL-IMPFUNGEN RUFT HASS UND DROHUNGEN GEGEN ÄRZTE HERVOR

Zwar ist die Impfung von Kindern unter fünf Jahren nicht illegal, dennoch kann sie juristische Folgen für den Arzt haben. Deshalb müssen alle Eltern vorab einen ausführlichen Aufklärungsbogen unterschreiben. Ein Problem sei das bislang nicht gewesen. „Es kommt für mich nicht in Frage, aus Angst vor persönlichen Belangen nicht zu helfen und die Impfung zu verweigern“, sagt der Arzt.  Zudem decke die Berufshaftpflichtversicherung des Mediziners eventuelle Impfschäden ab. „Wir klären alle Eltern gut auf, und ich halte das Risiko, dass Impfschäden auftreten, für sehr gering.“


Argumente, wie sie am Ende auch Familie L. aus Bremen überzeugten. Berührungsängste mit Off-Label-Medizin hatten die Eltern schon vorher nicht nicht: Auch die Impfungen gegen Meningokokken B und FSME haben sie nach genauer Risikoabwägung in ärztlicher Absprache wahrgenommen. Der Weg zum Corona-Impftermin war dennoch ungleich steiniger.


Über Mundpropaganda und in den sozialen Netzwerken kamen sie an erste Hinweise, teilweise mussten sie mehrstufige Verfahren durchlaufen, um an Adressen und Telefonnummern zu kommen. Denn die Ärztinnen und Ärzte, die gegen Sars-Cov-2 impfen, sind nicht nur im Netz Hass und Drohungen ausgesetzt. Auch „Dr. Pappa“ hat keine Informationen zum Off-Label-Impfen auf der Webseite seiner Praxis. „Das ist vollkommen beabsichtigt, denn die Beschimpfungen im Netz haben auch gegen Kollegen massiv zugenommen“, so der Mediziner.


IN BREMEN BIETET KEIN ARZT OFF-LABEL-IMPFUNG AN

Wer aber im Netz so nicht umtriebig ist wie die Bremer Familie L., für den ist es gar nicht so einfach, eine Praxis zu finden. „Es gibt in Deutschland nur drei Ärzte, die offiziell angeben, auch Kinder unter fünf Jahren zu impfen“, sagt Paula, eine Sprecherin von der Elterninitiative „U12 Schutz“ gegenüber dem WESER-KURIER. Auch sie gibt ein Pseudonym an.

Die Webseite der Initiative, die ehrenamtlich von Eltern betrieben wird, bietet die Möglichkeit, einen Off-Label-Impftermin in ihrer Region zu finden. Alles unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Bislang wurden nach Angaben der Initiative Impftermine für rund 40.000 Kinder vermittelt. Eine Off-Label-Impfung sehen die Ehrenamtlichen von „U12 Schutz“ nicht kritisch, denn es gebe viele Medikamente, die Off Label verwendet würden wie etwa Narkosemittel für Kleinkinder. Risiko und Nutzen seien dabei gut einschätzbar.

In Bremen haben sich laut Angaben von „U12 Schutz“ 197 Familien registrieren lassen, im Einzugsgebiet seien es etwa 1000 bis 1200 Kinder. Jede Woche gebe es rund ein Dutzend Neuanmeldungen in Bremen und umzu. In der derzeitigen Omikron-Welle steige die Nachfrage stärker an. Auch weil Eltern Booster-Impfungen für Kinder über fünf Jahren nachfragen, so die Sprecherin.


In Bremen selbst können Eltern lange suchen, denn es gibt keinen einzigen Mediziner, der Off Label impft. Es habe einen gegeben, der jedoch seine Aktivitäten eingestellt hat, nachdem seine Identität bekannt wurde. Deutschlandweit steige die Zahl der Mediziner aber, die das Off-Label-Impfen nun anbieten: Etwa vier bis fünf kommen laut „U12 Schutz“ pro Woche hinzu. Vielen Eltern bleibt dann nur, eine weitere Reise auf sich zu nehmen. Auch Familie L. ist mehrere Stunden gefahren, bis sie in einem anderen Bundesland einen Impftermin wahrnehmen konnte.


DERZEIT KEIN HOSPITALISIERTES KIND IN BREMEN

Für Dr. Marco Heuerding ist das nicht nachvollziehbar. Der Kinderarzt praktiziert in Bremen und ist Sprecher des Bremer Landesverbands der Kinder- und Jugendärzte „Es gibt keine entsprechende Datenlage und in Folge dessen auch keine Nutzen-Risikobewertung“, sagt Heuerding. „Viele Eltern, die ein Interesse an einer Off-Label-Impfung haben, haben große Ängste vor einer Infektion ihrer Kinder. Viele Kinder wurden in Folge langfristig sozial isoliert. Kinder mit einem Infekt-Asthma werden dann als Risikopatienten bezeichnet. Dabei sehen wir, dass die Infektionsverläufe mild sind.“


Heuerding ist nicht grundsätzlich gegen eine Impfung kleiner Kinder. „Wir versuchen Kinder zu impfen, die einen Immunschutz benötigen, wie etwa beim Down-Syndrom.“ Jedoch sei die Angst vieler Eltern vor der Corona-Infektion seiner Meinung nach unnötig. „Trotz der hohen Inzidenzen erkranken sehr wenige Kinder schwer. Bei der Delta-Variante lag das Risiko bei ca. 1:100.000, und wir gehen davon aus, dass es bei der Omikron-Variante wohl darunter liegt“, sagt Heuerding.


Seit Pandemiebeginn sei kein Kind in der Stadt Bremen an einer Corona-Infektion gestorben, und es gebe derzeit kein einziges hospitalisiertes Kind in der Hansestadt, welches wegen einer Covid-Erkrankung oder Pims stationär behandelt werden muss.

Man sollte sich an wissenschaftliche Daten halten und sich nicht von Ängsten leiten lassen.
Dr. Marco Heuerding, Sprecher des Bremer Landesverbands der Kinder. und Jugendärzte

Den Einwänden vieler Eltern, dass eine Infektion mit dem Virus Langzeitschäden mit sich bringen kann, kann Heuerding ebenfalls nicht folgen. „Studien zeigen, dass bei weniger als einem Prozent aller infizierten Kinder Langzeitfolgen über vier Wochen nach der Genesung auftraten. Zudem gab es deutschlandweit bis Ende Januar nur 631 registrierte Fälle von Pims, von denen bis auf eine kleine Gruppe alle wieder vollständig genesen sind.“ Die Gefahr einer schweren Erkrankung sieht der Arzt eher bei ungeimpften Erwachsenen: „Das Risiko für einen schwerwiegenden Verlauf ist für einen geimpften und geboosterten Erwachsenen ungefähr zehnfach höher als für ein ungeimpftes Kind.“


Für Heuerding gehört eine Infektion mit verschiedenen Viren im Kindesalter zum natürlichen Aufbau des menschlichen Immunsystems dazu. Eine präventive Impfung, wie von den impfenden Ärzten als Argument angeführt, hält er nicht für nötig. „Jeder Kontakt mit dem Virus führt zu einer Immunantwort, ob durch eine Impfung oder eine Infektion.“ Über kurz oder lang werde sich letztlich jeder mit dem Corona-Virus infizieren, meint Heuerding. Und seine Meinung über seine Kollegen, die dennoch impfen? „Ich sehe keine Notwendigkeit. Man bedient Sicherheitsbedürfnisse, die vielleicht nicht begründet sind. Man sollte sich an wissenschaftliche Daten halten und sich nicht von Ängsten leiten lassen.“


Familie L. hat viele Ängste durch die Off-Label-Impfung ablegen können und will bei sinkenden Inzidenzen dank der Impfung wieder aus dem Ausnahmezustand ins normale Leben zurückkehren. „Die Impfung gibt uns Sicherheit, dass der Körper auf eine eventuelle Infektion vorbereitet ist und eventuelle Langzeitschäden verhindert werden können“, sagt Anna L.


Bis der Impfschutz vollständig wirkt, werden sie weiterhin Kontakte vermeiden, Abstand halten, niemanden drinnen treffen, und Anna L. wird auch weiterhin die Kinder zu Hause betreuen. Aber sie sieht nun, dass dieser Zustand bald ein Ende haben wird. „Wir können und wir werden nicht für immer zu Hause bleiben.“

Rétablir l'original