Russland hat die Krim eingemeindet, nicht aber ihren Fußball. Unter der Ägide der Uefa wurde auf der Schwarzmeerhalbinsel eine neue Liga gegründet, die weniger auf Geld als auf Begeisterung setzt.
Die Gäste aus Sewastopol sind abgezockter, nutzen ihre erste Torchance, 0:1 in der 7. Minute. Wjatscheslaw Belajew, der Trainer des FK Jewpatorija, steht mit roten Kopf am Spielfeldrand und schreit: „Tiefe, ihr braucht mehr Tiefe!" Sewastopol schießt das zweite Tor.
Die Fans aber feiern einträchtig die Krim. „Berge, Wald und Meer, wir lieb'n die Heimat sehr", skandiert der schwarzblaue Block der Sewastopoler. „Krim, Krim, und nur Krim", antworten die gelbschwarzen Jewpatorier, „für dich geb' ich alles hin!" Trommeln dröhnen, Fahnen und Konfetti fliegen, die knapp 2000 Zuschauer in der neuen „Krim-Arena" bemühen sich, auf ein paar hundert Quadratmetern eine Stimmung wie im Dortmunder Westfalenstadion zu veranstalten. Ihr Sprechgesang rollt über die Ränge, keine russische, erst recht keine ukrainische Nationalhymne, sondern schlichte Heimatverse, die die inoffizielle Hymne der Krim-Liga werden könnten.
Im März vergangenen Jahres hat Russland die Krim annektiert, auf der Schwarzmeerhalbinsel seine Gesetze eingeführt, seine Währung, seine Biersorten. Nur der Fußball ließ sich nicht eingemeinden.
Erst kickten Sewastopol und zwei andere Krimvereine auf Geheiß Moskaus in der dritten russischen Liga mit, aber vergangenen Dezember verbot der Europäische Fußballverband Uefa ihnen die Teilnahme am russischen Spielbetrieb. Russland hielt sich daran, aus Angst vor Sanktionen. In Absprache mit der Uefa machte man auf der Krim einen neuen Verband auf, eine neue Liga mit acht Klubs, vier davon neu gegründet. Und damit die Saison nicht nach 14 Spieltagen, also dreieinhalb Monaten, vorbei ist, spielen alle nicht zwei- sondern viermal gegeneinander.
„Premjer Liga" heißt die Liga nach englischem Vorbild, „Kolchosliga" spotten böse Zungen in der Ukraine. „Ersatzfußball", räsoniert auch ein Simferopoler Sportreporter, „Fußball ohne Geld."
Es ist tatsächlich eine arme Liga. Die Topgehälter sollen Sewastopol und Simferopol zahlen, umgerechnet an die 3000 Euro im Monat, die Profis in Jewpatorija verdienen nur 210 Euro plus Siegprämien. Reiche Sponsoren sind rar, die Vereine hoffen auf die 15 Millionen Euro, mit denen Russland die Fußballkrim mit 15 Millionen Euro subventionieren will.
Mit 1:2 geht es in die Halbzeit. Aber Fußballer sind Optimisten, auch auf der Krim. „Wir werden mindestens Fünfter", versichert Igor, Fan aus Jewpatorija, der sich sichtlich über die neue Liga freut. „Im ukrainischen oder russischen Verband gäbe es bei uns keinen Profifußball." Den Satz hört man hier öfters. Wie die Aussage Artjoms, eines Anhänger des „FK Schwarzmeerflottensportclubs Sewastopol". „Wir müssen so gut spielen, dass wir in zwei Jahren in Europa sind." Die Uefa hat nämlich versprochen, der Krimliga bei ausreichendem Niveau in zwei Jahren einen Startplatz in der Qualifikation zur Europa-League zu geben.
Fußballschulen in 16 StädtenFußballer sind Optimisten. „Fußball könnte hier zum Inkubator werden", sagt Jura Wetocha, ein drahtiger kleiner Mann, der ein bisschen aussieht wie der einstige Dribbelkünstler Reinhard „Stan" Libuda. Wetocha stürmte früher für Tawrija Simferopol, auch für die ukrainische Nationalmannschaft, brachte es danach als Pelzhändler, Fabrikant und Bauunternehmer im nordostsibirischen Norilsk zum Multimillionär. Er kehrte als Hotelier auf die Krim zurück, baute die Krim-Arena, wurde zum Präsident der Krim-Fußballunion gewählt. Sein Konzept: Acht Städte in der ersten Liga, acht in der zweiten, dazu Fußballschulen in 16 Städten. Die Krim-Arena aber will er zum Fußballmekka ausbauen, will hier ein Trainingszentrum für Klubs aus Russland und aller Welt eröffnen, und eine Fußballakademie mit insgesamt 30 Fußballplätzen. „Wir tun das für unsere Kinder."
An Wochentagen tummeln sich fast hundert Jungs, auch ein paar Mädchen, auf den Rasenflächen, üben schnelles Kurzpassspiel. Dazwischen steht mit einer Trillerpfeife Dmitri Bortkewitsch, der Methodiklehrer der Fußballschule, die bald Akademie werden soll. Bortkewitsch hat als Profi einmal für den VFL Bochum gespielt, arbeitete danach als Nachwuchstrainer beim ukrainischen Abonnementsmeister Schachtjor Donezk.
Als sein Haus vergangenes Jahr immer häufiger unter ukrainischen Artilleriebeschuss geriet, flüchtete er mit seiner Enkelin auf die Krim. Er entdeckte die neue Fußballschule in Jewpatorija zufällig. „Am Anfang konnten die meisten Jungs noch nichts mit dem Ball anfangen", erzählt er. Aber jetzt seien die Kids aus Jewpatorija in mehreren Altersklassen Tabellenführer. „Gewinnen ist vor allem eine Frage das Charakters", erklärt Bortkewitsch. Er selbst habe die Siegermentalität auch als Praktikant beim europäischen Spitzenklub FC Barcelona studiert.
Von Barcelona, von Europa reden alle, träumen alle. „Das Niveau der Liga ist nicht schlecht, hier kann man als Fußballer wachsen", sagt Mittelfeldspieler Sejchan Alijew, der vom ukrainischen Erstligaklub Stal Dneprodscherschinsk in seine Heimatstadt zurückgekehrt ist. „Aber irgendwann will ich als Fußballer in Europa spielen." Das möchte auch Torhüter Witali Trotski, der zwei Torwart-Vorbilder hat: „Iker Casillas, alte Schule." Und Mario Neuer, neue Schule."
Die Gnade des NeuanfangsSonst aber gilt es auf der Fußballkrim eher als peinlich, für Superklubs, für Real Madrid oder FC Bayern München, zu halten. „Wir setzen auf die Jugend", sagt Manager Alexander Jazun. Er schwärmt von Borussia Dortmund und von den schottischen Fans, die den schottischen Erstligaklub Heart of Midlothian mit Spenden vor der Pleite retteten. „Wir wollen echten, ehrlichen Fußball, Fußball, an dem sich die Leute begeistern können."
Wirtschaftlich droht der Urlaubshalbinsel das Schicksal Nordzyperns, der Hafen von Sewastopol hat mehr als 90 Prozent seiner Umschlagkapazität verloren, weil aufgrund der Sanktionen keine ausländischen Frachter mehr einlaufen. Dem Fußball aber wird die Gnade des Neuanfangs zuteil; auch wenn er hier buchstäblich in Kinderschuhen steckt, könnte er das offene Fenster zu Europa werden und ein Stück Selbstfindung. „Die Krim hat ihre eigene Identität, stärker als die russische oder die ukrainische", sagt der aus Sewastopol stammende Kiewer Sportjournalist Denis Trubezkoi. Auf die Frage, ob man sich auch eine eigene Nationalmannschaft wie in Wales, Nordirland oder Schottland vorstellen könnte, antworten viele Fans und Funktionäre mit Ja. Nur Verbandspräsident Wetocha legt die Stirn in Falten. „Vergessen Sie nicht, dass wir Teil der Russischen Föderation sind." Tatsächlich ist zweifelhaft, ob der Kreml ausgerechnet der Krim so viel Souveränität zugesteht, und sei es nur Fußballsouveränität.
Fußballer sind OptimistenBeide Mannschaften spielen weiter offensiv, Jewpatorija drängt den Favoriten immer mehr zurück, vergibt aber alle Chancen zum Ausgleich. Endstand 1:2. Trainer Belajew predigt trotzdem Zufriedenheit: „Wir haben das Spiel immer besser kontrolliert." Belajew will auch gegen stärkere Gegner weiter stürmen lassen. „Was sind stärkere Gegner? Ich sage den Jungs: Ihr könnt sie schlagen. Und lasse sie Forechecking spielen, das gibt ihnen Selbstvertrauen." Auch er scheint Barcelona im Hinterkopf zu haben. Oder Liverpool und den neuen Trainer Jürgen Klopp.
Belajew hatte mit Erfolg als Jugendtrainer bei Tawrija Simferopol gearbeitet, heuerte im Frühjahr im Sommer als Fitnesstrainer bei dem ukrainischen Spitzenklub Metalist Charkow an. Aber Charkow trennte sich bald wieder von ihm: Ukrainische Fans hatten Facebook-Einträge des Krimrussen entdeckt, in denen er die Wiedervereinigung mit Russland guthieß und die Kiewer Regierung als „Hunta" beschimpfte - auf der Krim eine politisch korrekte Selbstverständlichkeit, in der Ukraine politischer Selbstmord. Die ukrainisch-russische Feindschaft wird jetzt nicht nur dem Fußball gefährlich. Belajew selbst fährt nach dem Spiel nach Kiew, zu einem Trainerlehrgang. Vor den Kollegen in der ukrainischen Hauptstadt hat er aber keine Angst: „Wir sind doch alle Fußballer." Und Fußballer, auch auf der Krim, sind Optimisten.