Marco Stier wurde am 26. März 1984 in Hamburg geboren. In seiner Jugendzeit spielte er bei verschiedenen Hamburger Vereinen, u.a. dem FC St. Pauli. Ab 1999 war er für den SV Werder Bremen aktiv, wo er es als Spieler der zweiten Mannschaft auf 50 Regionalligaeinsätze brachte. Zudem stand er mehrmals im Profikader, kam jedoch nie zu einem Einsatz in der Bundeliga. 2006 wechselte er zur zweiten Mannschaft des FC Bayern München in die 3. Liga, wo er sich aber auf Grund von Verletzungen nicht entscheidend durchsetzen konnte. Nach der Saison 2008/09 schloss er sich Holstein Kiel an und schaffte mit der Mannschaft den Aufstieg aus der Regionalliga in die 3. Liga. Nach dem sofortigen Wiederabstieg in der Folgesaison, verließ Stier den Verein und kam beim Regionalligisten Hallescher FC unter. Dort musste der Mittelfeldspieler seine Profikarriere jedoch nach zwei Jahren und nur sechs absolvierten Spielen auf Grund vieler Verletzungen beenden. Seit der Saison 2012/13 steht er im Kader der SF Aying in der Kreisliga Zugspitze 1. Seit dieser Saison spielt er auch wieder regelmäßig und führt derzeit die Torschützenliste mit 11 Treffern an. Mit fanreport.com Redakteur Stefan Moll sprach er über den ungewöhnlichen Schritt in den Amateurfußball, über berühmte Mannschaftskammeraden und große Trainer.
fanreport.com: Marco, du bist in Hamburg aufgewachsen. Wie bist du überhaupt zum Fußball gekommen und wie war deine fußballerische Jugendzeit?
Marco Stier: Ich habe in Hamburg auf dem Bolzplatz vor der Haustür das Fußballspielen gelernt. Mit 11, 12 Jahren wurde ich dann schon zu St. Pauli geholt, von wo es immer weiter bergauf ging. Mit 15 hatte ich als Hamburger Auswahlspieler Angebote von vielen Bundesligisten und auch aus dem Ausland, beispielsweiße von Manchester United. Ich habe mir dann auch einige Fußballinternate angeschaut aber mich schließlich dafür entschieden nicht zu weit von meiner Familie wegzugehen und bin zu Werder Bremen gewechselt. Dort wurde ich als B-Jugendspieler gleich nach den ersten Trainingseinheiten zur A-Jugend hochgezogen, wurde zu Deutschlands größtem Talent gewählt, habe die Fritz-Walter Medaille bekommen und mit 17 auch schon meinen ersten Profivertrag in der Tasche gehabt. Bei der Deutschen Meisterschaft und dem DFB-Pokalsieg der Profis 2004 war ich auch immer mit dabei. Obwohl ich schon damals viele Verletzungen hatte, war das natürlich eine sehr schöne Zeit für mich.
fanreport.com: Du standst ja bei Werder kurz vor dem Durchbruch bei den Profis. Warum hat es in deiner Karriere nie für ganz oben gereicht?
Genau wenn die Stammspieler verletzt waren und ich meine Chance bekommen hätte, war ich leider auch immer verletzt oder noch nicht ganz fit. Ich war oft so kurz davor, brauchte eigentlich nur noch den letzten Schritt durch die Tür gehen, aber es kam immer irgendetwas dazwischen.
fanreport.com: Von der U15 bis zu U20 warst du auch regelmäßig Nationalspieler. Wie waren deine Erfahrungen in den DFB Teams?
Marco Stier:Die waren natürlich sensationell! Ich habe in 48 Länderspielen 28 Tore gemacht. Hatte überragende Trainer wie Horst Hrubesch, Matthias Sammer, Erich Rutemöller oder Michael Önning. Bei den Länderspielen vor tausenden Zuschauern die Nationalhymne zu singen, da bekommst du so eine Gänsehaut. Die Erfahrung kann einem keiner mehr nehmen.
fanreport.com : Im Anschluss an Bremen ging es für dich nach München. Mich als Bayernfan interessiert besonders deine Zeit bei den Bayern Amateuren. Welche Erinnerungen hast du an diese Zeit?
Marco Stier: Nach sieben Jahren bei Werder und auch wegen den ganzen Verletzungen brauchte ich einfach mal einen Tapetenwechsel. Zum Glück habe ich dann das Angebot von Bayern München bekommen, obwohl ich seit einem halben Jahr den Fuß im Gips hatte. Ich wurde also verletzt verpflichtet und bin dann noch mal 1 ½ Jahre ausgefallen. Ich hatte die Seuche einfach am Fuß. Eigentlich war es so ausgemacht, dass ich nach meiner schweren Verletzung natürlich erst mal bei den Amateuren spiele und fit werde, aber dann schon in Richtung Profis gehe. Als ich dann fit war, stand ich auch sofort in der Startelf und hab meine Spiele bekommen, aber ich hatte Probleme mit dem Trainer. Hermann Gerland ist nun mal ein Trainer der alten Schule. Er legt viel Wert auf Laufen, Laufen, Laufen und steht nicht so sehr auf technisch versierte Spieler. Außerdem war ich zu dieser Zeit auch kein U23 Spieler mehr. Wenn dann Profispieler zu uns gekommen sind um Spielpraxis zu sammeln, wie Luca Toni oder Hamit Altintop, musste ich oft auf die Bank. Aber letztendlich war es schon eine gute Erfahrung. Vor allem als Klinsmann gekommen ist, war das gut für mich. Ich durfte öfters mit den Profis trainieren und auch beim Testspiel in Ingolstadt mitwirken. Mit Leuten wie Butt, Massimo Oddo, der zu dieser Zeit Weltmeister war, Tim Borowski, den ich ja aus Bremen schon kannte oder Zé Roberto zu spielen, war natürlich eine Wahnsinnserfahrung.
fanreport.com: Du hast lange mit heutigen Bundesligastars wie Thomas Müller, Toni Kroos, Mats Hummels oder Thomas Kraft zusammen gespielt, um nur die bekanntesten zu nennen. Besteht da ab und an noch Kontakt zu den alten Kollegen? Ja auf jeden Fall und es waren ja nicht nur die. Man muss sich mal unsere Mannschaft im ersten Drittligajahr anschauen: Thomas Kraft im Tor, Georg Niedermeier in der Innenverteidigung, rechts Stefano Celozzi, links Diego Contento, auf der Sechs Holger Badstuber, Mehmet Ekici auf der Zehn, rechts im Mittelfeld Thomas Müller, ich habe oft links im Mittelfeld gespielt, im Sturm Dennis Yilmaz, Max Grün noch auf der Bank. Mit Mats Hummels habe ich eine Saison davor noch gespielt. Heute sind die alle in der Bundesliga! Mit Schweini hab ich ja auch in der Nationalmannschaft gespielt. 2006 bei der Weltmeisterschaft habe ich mal aufgezählt, dass ich von den 18 deutschen Spielern mit 14 schon zusammen gespielt habe. Im Gegensatz zu denen hatte ich halt leider das Pech viele und schwere Verletzungen gehabt zu haben. Aber trotzdem habe ich viel erlebt.
fanreport.com: Vor kurzem machte ein Buch von Timo Heinze, mit dem du ja auch zusammen gespielt hast, große Schlagzeilen. Darin wird das System Profifußball teilweiße kritisiert. Teilst du seine Ansichten?
Marco Stier: Auf jeden Fall. Ich sage ganz ehrlich, dass ich auch froh bin aus dem Geschäft raus zu sein. Der Leistungsdruck ist einfach enorm. Du wirst schon teilweiße wie eine Ware behandelt. Wenn´s gut läuft dann spielst du natürlich aber wenn mal was nicht funktioniert oder wenn es schlecht läuft, wirst du sofort degradiert, wirst wie ein Stück Dreck behandelt, musst alleine trainieren oder wirst wie aktuell in Hoffenheim in eine Trainingsgruppe 2 abgeschoben. Und das nur weil du mal schlecht spielst. Jeder Mensch ist mal schlecht drauf, deswegen sollte er trotzdem bei seiner Mannschaft bleiben können. Es ist schon ein dreckiges Geschäft und ich sage auch ganz ehrlich, dass kein Trainer und kein Manager aus der Geschichte von Robert Enke gelernt hat. Es wird eher schlimmer.
fanreport.com: Während deines Engagements bei Holstein Kiel kam es ja zu einem gewissen Vorfall mit Trainer Falco Götz, der in den Medien ausführlich breitgetreten wurde. Kannst du uns darüber etwas berichten?
Marco Stier: Dazu möchte ich eigentlich gar nicht so viel sagen. Fakt ist, dass er Scheiße gebaut hat. Er hat seine Strafe bekommen, wurde fristlos entlassen und musste wohl auch auf sehr viel Geld verzichten. Es war halt blöd, dass so was passiert ist aber mehr brauche ich dazu auch nicht sagen.
fanreport.com: Von welchem Trainer konntest du während deiner Laufbahn am meisten lernen, wer hat dich besonders beeindruckt?
Marco Stier: Bei der Nationalmannschaft auf jeden Fall Horst Hrubesch. Der war sensationell. Er hatte eine geile, offensive Philosophie von Fußball und ich war auch so ein bisschen sein Lieblingsschüler. Ein guter Trainer, auch wenn es sehr kurz war, war für mich Torsten Fröhling bei Holstein Kiel. Er trainiert jetzt die 2. Mannschaft von 1860 und ich sehe ihn fast täglich. Thomas Wolter bei Werder Bremen II möchte ich noch nennen. Auch Falco Götz hat richtig Ahnung vom Fußball, aber da hat es menschlich einfach nicht gepasst.
fanreport.com: Für welchen deiner Ex-Vereine schlägt dein Herz heute? Oder hast du einen ganz anderen Lieblingsverein?
Marco Stier: Ich war schon als Kind ein Roter, also Bayernfan. Klar schaue ich dazu auch immer noch auf meine Ex-Vereine. Bei Werder hatte ich sieben wunderschöne Jahre und mein Heimatverein ist natürlich der FC St. Pauli, da haben meine Eltern seit Jahren eine Dauerkarte. Vor kurzem haben sie mich übrigens nach einem halben Jahr hier in München besucht. Aber anstatt mir beim Spiel gegen Ohlstadt zuzuschauen, sind sie zum Pauli-Spiel nach Ingolstadt gefahren.
fanreport.com: Wie kam es zu deinem, mit 27 ja doch etwas frühen, Karriereende in Halle?
Marco Stier: Es ging nach den ganzen Verletzungen einfach nicht mehr. Ich hatte jetzt neun Operationen im Laufe meiner Karriere. Da reicht es einfach irgendwann. In Halle war es dann die schlimmste Verletzung. Im DFB Pokal Spiel gegen den MSV Duisurg sind mir alle Adduktoren abgerissen. Ich musste ein ganzes Jahr durch die Reha gehen, habe aber keinerlei Fortschritte gespürt. Es ging einfach gar nichts mehr. Die Verletzung wurde dann als Arbeitsunfall eingestuft, weswegen ich eine Invalidenrente bekomme. Es hat zwei Jahre gedauert bis ich wenigstens wieder ein bisschen kicken konnte. Auch jetzt in Aying kann ich kaum trainieren. Ich mache eigentlich nur die Spiele, weil sich jedes Mal die Muskeln verhärten und ich drei Tage pausieren muss. Aber ich kann einfach nicht ohne Fußball.
fanreport.com: Und wie ging es danach beruflich bei dir weiter?
Marco Stier: Ich mache derzeit eine Umschulung zum Diplom Sport- und Fitnesstrainer und zum Personaltrainer, was auch von der Berufsgenossenschaft gefördert wird. Da ich auf jeden Fall weiterhin im Sport tätig bleiben wollte, bot sich das an. Später will ich dann auch wieder im Profibereich arbeiten, vielleicht auch als Co-Trainer aber momentan geht das Studium vor.
fanreport.com: Wie du schon erwähnt hast, spielst du seit der Saison 2012/13 bei den SF Aying in der Kreisliga Zugspitze 1. Wie kam es dazu?
Marco Stier: Als ich bei Bayern gespielt habe, habe ich schon in Aying gewohnt und als es nach meinem Karriereende um die Frage ging wo wir hinziehen, hab ich mich mit meiner Familie dafür entschieden wieder zurück zu kommen. Es hat uns hier super gefallen, die Lebensqualität ist einfach sehr hoch und hier wollen wir uns etwas aufbauen. Irgendwann hab ich dann versucht wieder ein bisschen Fußball zu spielen. Aying hat natürlich sofort gefragt, ob ich nicht ab und zu aushelfen will. Jetzt wird es langsam auch wieder besser -von der Verletzung und vom fußballerischen.
fanreport.com: Fiel dir der Abschied vom Profifußball und der Neuanfang im Amateurfußball eigentlich schwer?
Marco Stier: Es war schon schwer die Leute zurückzulassen mit denen ich zusammen gespielt habe. Aber ich bin froh nicht mehr den Druck zu haben. Ich habe früh eine Familie gegründet und musste deswegen immer schauen, dass ich neue Verträge bekomme und dafür immer wieder umziehen. Irgendwann muss man sich entscheiden, ob man weiter von Drittligaverein zu Drittligaverein tingelt oder ob man lieber irgendwo sesshaft wird und sich ein solides Standbein aufbaut. Natürlich hat es ca. ein Jahr lang wehgetan aber mittlerweile bin ich voll darüber hinweg und froh eine andere Schiene zu fahren.
fanreport.com: Einige Ex-Profis spielen nach ihrem Karriereende relativ hochklassig im Amateurfußball hier in der Region. Würde dich beispielsweiße die Bayernliga reizen?
Marco Stier: Es kommen jetzt, wo es wieder gut läuft, natürlich schon einige Anfragen aus höheren Ligen, z.B. der Regionalliga. Aber die erste Priorität hat momentan mein Studium. Das dauert erst Mal noch ein Jahr und dann schau ich wo die Reise hingeht. Man weiß nie.
fanreport.com: Zurück zu den Sportfreunden: Versuchst du dort über das reine Spiel hinaus deine Erfahrung an die Mitspiele weiterzugeben?
Marco Stier: Auf jeden Fall. Wir haben eine sehr junge Mannschaft, in der ich schon der älteste Spieler bin und man merkt schon, dass sie sich viel abschauen. Ich versuche ihnen auch darüber hinaus viel mitzugeben. Wenn ich über meine Karriere gefragt werde, wenn sich jemand dafür interessiert, erzähle ich natürlich auch etwas. Auf dem Platz selbst korrigiere ich sehr viel, versuche viele Tipps zu geben usw. Aber wir haben eine sehr, sehr gute Truppe mit vielen Spielern, die auch mal höher spielen könnten.
fanreport.com: Was sind für dich die größten Unterschiede zwischen Profi- und Amateurfußball?
Marco Stier: Der größte Unterschied ist eigentlich nicht die Fitness. Laufen und kämpfen können sie auch in der Kreisliga, davon leben sie sogar. Sie sind natürlich fußballerisch nicht so stark und vor allem taktisch nicht so gut ausgebildet. Ein Profi weiß wo er stehen muss, ein Amateur nicht. Deswegen schieße ich auch so viele Tore.
fanreport.com: Und zum Abschluss: Wie sieht es mit euren Zielen für diese Saison aus? Könnt ihr nach dem tollen Saisonstart auch ganz oben bleiben und aufsteigen?
Marco Stier: Wenn wir so weiterspielen wie bisher und bis zum Winter da oben stehen, dann steigen wir zu 100% auf. Die Jungs haben jetzt kapiert was ich ihnen vor jedem Spiel sage. Wir müssen dominant spielen, wir müssen mit Tempo spielen und wir müssen früh drauf gehen. In der Kreisliga ist es nicht so, dass du sofort ausgekontert wirst wenn du Pressing spielst. Die Gegner sind spielerisch nicht so stark, dass die das ausnutzen. Die scheißen sich sofort in die Hose, wenn du dominant auftrittst. Wenn du dann noch zwei, drei gute Kicker drin hast, die auch mal einen stehen lassen können oder einen geilen Pass spielen, dann denken die gleich „hier ist heute nichts zu holen".
fanreport.com: Marco, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die Zukunft!
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