Wie das Multitalent Bernhard Paul sich mit dem Multibetrieb Circus Roncalli erfolgreich dem Tod einer Zunft widersetzt.
Himmel, nein, Bernhard Paul (68) wird seine kaufmännische Wirksamkeit gewiss nicht einstellen, aber er hätte gern, dass ihm einiges abgenommen würde, weshalb er manch lästige Aufgabe bei der Leitung seines Betriebs künftig einem Geschäftsführer anvertrauen will: „Es mocht mer kan Spaß, mit am Bürokraten über Plakatierung zu red’n. Des is ned meins“, sagt Paul mit kühler Gereiztheit. „Aber i moch’s. Für’n Zirkus moch i eh olles."
Pauls Laune ist verhangen wie der Spätherbsttag, an dem wir uns in Hannover treffen, wo sein Circus Roncalli seit einigen Tagen gastiert. Die Stadt hat seine Werbeplakate abhängen lassen: „Selber plakatieren dürfen’s, wenn Woahlkampf is’, kost’ an Schweinegeld, wir zahl’n ’s. Und wir dürfen zwar Steuern zahlen, aber ned werben. Das find’ i eine Riesensauerei.“
Paul ist Gründer und seit bald vier Jahrzehnten Direktor des Circus Roncalli, zudem der Boss mehrerer übergeordneter Gesellschaften, die Geschäfte mit dem und um den Zirkus betreiben. Er ist grau-rotblond, mittelgroß und kräftig und vielleicht gerade nicht der Frohsinn in Person, aber er hat eine aufrichtige Art, ein freundliches Wesen und überhaupt diese niederösterreichische Mundart, in der auch, was im Zorn gesagt wird, weich und behaglich klingt.
Wir sitzen in einem Zirkuswagen auf dem Waterlooplatz, einer Wiese gegenüber einiger flacher, grauer Büroklötze, neben denen der gestrigste Zirkus der Welt völlig aus der Zeit gefallen und fehl am Platze zu sein scheint, als er es ohnehin ist mit seiner niedrigen Umzäunung, den Glühbirnen und der altmodischen Schrift.
Dass es „Zirkus“ noch gibt, zumal einen wie Roncalli, der sich der Moderne energisch verweigert, widerspricht allen Gesetzen der Wirtschaft. Denn er konkurriert mit allem, wofür Geld oder zumindest Zeit oder beides heutzutage aufgebracht wird: Katzenvideos auf Youtube, „Minecraft“, Apple-Läden, Helene Fischer, Oktoberfest, König der Löwen, Borussia Dortmund, Muckibuden und immer wieder die end- und uferlosen Angebote des Internets.
Paul hat an der Kopfseite eines Mahagonitischs Platz
genommen. An der Decke prangt Stuck, Gold auf rotem Grund. Auf dem Fensterbrett
liegen CDs: The Kinks, Leonard Cohen, Erste Allgemeine Verunsicherung; daneben
eine aufgerissene Packung „Manner“-Schnitten, eine Schachtel „Camel“ und zwei
Sonnenbrillen.
Der Zirkusdirektor trägt ein Oberhemd mit seinen Initialen
auf der rechten Brust. Sein Betrieb, grummelt er, ja, der sei in gutem Zustand.
Aber in den vergangenen Jahrzehnten sei das Geschäft immer nur härter geworden.
[...]
Zuerst erschienen in BILANZ 12/2015.
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