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Im System der Rauchersheriffs

Wien. Es war ein harter Kampf. Aber Bernhard Tonninger hat es geschafft. Er ist Gesprächsthema Nummer eins im Kreis derer, die ihn nicht ernst nehmen wollten. Die ihn beschimpft haben. Die sich gegen ihn gewehrt haben. Heute nehmen ihn Wiens Gastronomen ernst. Ganze Meetings widmen sie seiner Person. Sie haben ihn studiert. Seine Strategie. Seine Methoden. Seine Erfolgsrate. Sie geben einander Tipps, wie sie mit ihm umgehen sollen, als wäre er ein Naturereignis, das jedem Gastronomen früher oder später in seinem Leben widerfährt. Sollen sie parieren oder ihm die Stirn bieten?, fragen sie sich nach jedem Diskussionsabend. Bis jetzt habe sie keine Lösung gefunden. Bloß: Er ist ein Problem. Ihr Problem.

Bernhard Tonninger ist Anwalt. Sein Spezialgebiet: das Wettbewerbsgesetz. Seit knapp zwei Jahren hat er im Namen des Vereins "Interessensgemeinschaft für fairen Wettbewerb in der Gastronomie" Lokale im Visier, die sich nicht an das Tabakgesetz halten. Seine Vorgehensweise ist dabei immer die gleiche. Zuerst kommt der Brief. Darin erklärt er den betroffenen Gastronomen, dass sie A) gegen den Nichtraucherschutz verstoßen haben und B) damit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Mitbewerbern hätten, die sich an die Bestimmungen halten würden. Dem Brief liegt eine Verpflichtungserklärung bei, in dem sie sich bereiterklären, sich von nun zu benehmen, jederzeit den Forderungen des Vereins hinsichtlich des Raucherschutzes Folge zu leisten und Tonningers Anwaltskosten in Höhe von 900 Euro zu tragen. Unterschreiben sie nicht, droht er ihnen mit einer Klage vor dem Handelsgericht. Verhängt dieses einmal eine einstweilige Verfügung gegen den Betrieb, kann es bei einem Verstoß richtig teuer werden. Mit Strafen in der Höhe von maximal 100.000 Euro pro Tag.

Der Robin Hood der Parias

Erpressung, sagen die Betroffenen, die nicht öffentlich genannt werden wollen. "Keiner wird gezwungen, sich nicht an die Gesetze zu halten", kontert Tonninger. 22 Lokale hat er bereits abgemahnt. Sie haben unterschrieben. Sie haben gezahlt. Sie haben pariert. Gegen acht weitere hat Tonninger prozessiert. Mit Erfolg. Sie haben mehr gezahlt. Sie mussten parieren. Darunter das Irish Pub "Golden Harp" im 3. Bezirk, das Dots auf der Mariahilfer Straße, das Café Korb in der Innenstadt und der Club Babenberger Passage am Burgring.

Für die einen ist Bernhard Tonninger ein Held, eine Art Robin Hood, der dort eingreift, wo das Gesetz versagt, nämlich in der Kontrolle. Für die anderen ist er ein Rauchersheriff, der sich als Exekutionsorgan begreift, ein Verteidiger neidiger Konkurrenten und militanter Nichtraucher, der Gastronomen gegeneinander ausspielt und eine Geschäftsidee entwickelt hat, die ihm tausende Euro einbringt.

Mitnichten, meint er. Es ist halb neun am Rilkeplatz im 4. Bezirk. Der Mittvierziger empfängt im Konferenzraum seiner Kanzlei. An der Wand hängen Tableaus voller bedeutungsschwerer Zitate des Dichters Rainer Maria Rilke. Tonninger hat sie selbst noch nie gelesen. Er ist zu beschäftigt. Seine Fälle haben ihn in Atem gehalten. Mahnungen schreiben, Verpflichtungserklärungen einholen, Recherche und schließlich die Gerichtstermine. 320 Euro ist Tonningers Stundensatz. Das große Geschäft hat er mit den "unvernünftigen" Gastronomen, wie er sie nennt, noch nicht gemacht: "Die Strafen fallen dem Staat zu. Wenn es eine Einigung gibt, wird damit letztlich primär unser Aufwand abgegolten. Meistens übersteigt dieser aber die Kosten. Der Verein selbst verdient in der Regel nichts an den Verfahren", will er klarstellen.

Zu dritt arbeiten sie an den Fällen. Er, ein junger Kollege und ein Student, der raucht. Auf Order des Vereins schwärmen sie aus in jene Lokale, die sich nicht an die Spielregeln halten. Mit Handykamera, Stift und Zigarette sondieren sie die Lage. Wie ist das Lokal angeordnet? Befindet sich der Nichtraucherbereich tatsächlich im Hauptraum? Stehen Aschenbecher herum? Bietet der Kellner dem Studenten gar Feuer an, wenn er sich eine Zigarette anzünden will? Nächtelang sind die Männer für ihre Recherchen unterwegs. Manchmal über mehrere Wochen. "Es ist ein extremer Aufwand, aber wir wollen schließlich gewinnen", erklärt Tonninger. Als Beweis bringt er dicke Akten aus seinem Büro. Sie sind gespickt mit aufwendigen Handskizzen der einzelnen Lokale und Beweisfotos rauchender Nachtschwärmer, Aschenbecher und Zigarettenschachteln auf dem Bartresen. Er will abgesichert sein. Seine Motivation? Idealismus ist es nicht. Das gibt Tonninger zu. Es sei einfach sein Thema. Seine Expertise. Tonninger hat Routine mit derartigen Verfahren aus einer anderen Branche: der Buchpreisbindung. Verlagen und Buchimporteuren wird gesetzlich vorgeschrieben, zu welchem Preis Bücher beim Letztverkäufer angeboten werden müssen. Hält sich einer nicht an die Preisbindung, mahnt ihn Tonninger. In 98 Prozent der Fälle geloben die Gesetzesbrecher Besserung - und unterschreiben jegliche Unterlassungserklärungen. In der Gastronomie sind sie störrischer.

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