Der studierte Jurist hat nicht nur das Sauerland gegen die Börde eingetauscht, sondern auch seine politische Heimat gewechselt. Wenn er gerade nicht mit seinem PKW in der Republik unterwegs ist, sucht er die Nähe zu den Wählerinnen und Wählern, gerne auch mal bei Kaffee und Kuchen. Wie ein nächtlicher Anruf ihn zum Berufspolitiker machte und wofür er einen Schlag mit dem Regenschirm kassierte, erzählt er uns zu Beginn des neuen Jahres. Mit dem Wissen, dass er einen Tag nach unserem Interview bekannt gab, sein SPD-Bundestagsmandat abzugeben, sind einige Interviewpassagen besonders interessant.
Interview: | Fotos: Lisa Marie Felgendreff und Lara-Sophie Pohling Simeon Laux
Wo sind Sie damals gerne hingegangen? Die neue Stadt wollte ich erstmal erkunden. Zu Fuß, aber auch mit dem Auto und am besten ohne Stadtplan. Ich bin einfach drauflos. So kam auch nach und nach der Freundes- und Bekanntenkreis dazu und ich landete recht schnell bei Spielen vom SCM.
Ein Faible habe ich für den Gibt es Orte, die Sie damals wie heute gern besuchen? Magdeburger Zoo, der sich toll entwickelt hat. Außerdem ist der Rotehornpark ein toller Platz. Um diesen Park in seinem vollen Umfang zu entdecken, braucht es schon ein paar Ausflüge.
"Ohne Leidenschaft geht es nicht."
Als Abiturient waren Sie der Friedens- und Umweltbewegung sehr verbunden. Waren Sie ein richtiger Aktivist? Zur Sorge meiner Eltern war ich sehr aktiv, sowohl in der Ökologie- als auch in der Friedensbewegung. Ich war auf vielen Demonstrationen. Meine Eltern bekamen da bestimmt auch das eine oder andere graue Haar, weil ich mich wenig um die Schule kümmerte.
Ich überlegte ernsthaft, ob ich nach meinem Zivildienst Krankenpfleger werden sollte. Auch während meiner Semesterferien arbeitete ich dort, weil ich mein Studium teilweise selbst finanzieren musste. Mein Weg zu Jura war ganz banal. Damals gab's die Fernsehserie Warum haben Sie sich dann für Jura entschieden? Liebling Kreuzberg, in der ein Rechtsanwalt kniffelige Fälle löste, hin und wieder kleine Halunken jagte, ansonsten Wackelpudding aß und flammende Plädoyers hielt. Ich dachte, dieser Beruf ist mir wie auf den Leib geschneidert. Abwechslungsreich, spannend, und gut quatschen konnte ich auf jeden Fall. (lacht) Im Studium stellte ich schnell fest, dass Jura nur wenig damit zu tun hatte und vor allem ein Büffelfach war. Aber unterm Strich bereue ich meine Berufswahl nicht.
"Es werden andere Maßstäbe gesetzt, die Menschen kennen einen."
länger. Als ich von meinem Auto los lief, habe ich nur noch ihren Namen über die Lautsprecheranlage gehört, aber den Zieleinlauf verpasst. Das sind Momente, die mich sehr traurig machen. Die gängige Vorstellung von Leidensfähigkeit zielt meist darauf ab, dass man sich in Verhandlungen streitet oder anbrüllt und keine Schwäche zeigt. Das gibt es tatsächlich, aber es sind meistens vernünftige und sachliche Diskussionen; das sehe ich ziemlich cool. Insofern leide ich nicht wirklich unter diesen Klischees. Eher unter der Erfahrung, dass ich das Leben der Menschen, die ich liebe, nicht nur verpasse, sondern bestimmte Momente auch nicht wiederholen kann. Es gibt natürlich auch lustige Situationen. Als Staatssekretär fuhr ich immer sehr früh ins Justizministerium. Mein Sohn war im Grundschulalter und ich brachte ihn vorher zur Schule. Manchmal hob ich ihn mit der ›Räuberleiter‹ über das noch verschlossene Rolltor der Schule. Meine Frau fragte ihn mal, ob das klappt, wenn ich ihn morgens zur Schule bringe. Er meinte, dass alles ganz gut ist. Es sei nur blöd, wenn er immer so alleine auf dem Schulhof rumstehe. Und wie sieht es mit der Leidensfähigkeit aus? Als Bundestagsabgeordneter ist man die Hälfte des Jahres gar nicht zu Hause, sondern in Berlin. Als ich im Jahr 2009 in den Bundestag gewählt wurde, war meine Tochter gerade vier. Ich fahre meist gegen sechs oder sieben Uhr los Richtung Berlin. Eines Morgens klammerte sich meine Tochter an mein Bein und brüllte: Scheiß Berlin! Das setzt einem schon zu, da leidest du wirklich. Inzwischen trainiert meine Tochter Kanusport, aber das rauscht leider viel zu oft an mir vorbei. Als ich sie endlich mal beim Kanufahren auf dem Salbker See sehen wollte, war ich eine Viertelstunde später da als vorgenommen. Wie das so ist, quetscht man es zwischen die Termine und manche Vortermine dauern dann doch fünf Minuten (lacht) Insofern sollte man nicht alles unter dem Begriff ›Leiden‹ sehen. Diese Erfahrung mache nicht nur ich. Berufspolitiker ist eben ein zeitaufwändiger Job.
"Ich habe mich in der Politik eigentlich nie um irgendeinen Job gerissen."
"Du musst hartnäckig sein, dich mit anderen verbünden und brauchst eine klare Position."
"Unter 82 Millionen Deutschen muss es ja auch ein paar Verrückte geben, die mit dem Lischka ein Selfie machen wollen."
Seit 2011 gibt es Ihre Veranstaltungsreihe Lischka trifft, in der Sie mit vielen Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Sport sprechen. Wählen Sie die Themen und Fragen selbst aus? Ja. Es gibt natürlich Mitarbeiter, die sich dazu Gedanken machen. So eine Veranstaltung funktioniert aber nur, wenn man sich auch selbst über die Leute informiert und sich in sie hineindenkt. Ich mache das ganz altmodisch mit Karteikärtchen und schreibe meine Fragen auf. Oft ergeben sich die Fragen aber erst im Gespräch.
Kevin Kühnert, Gregor Gysi und der Chauffeur der Kanzlerin waren schon zu Gast. Wen möchten Sie denn noch unbedingt auf Ihrer Couch sitzen haben? Auf meiner jüngsten Veranstaltung habe ich unter anderem Familienministerin Franziska Giffey angekündigt. Ich versuche, immer politisch ausgewogen zu sein. Wenn es mir ein bisschen heikel erscheint, lasse ich manchmal das Publikum abstimmen, ob ich die Person einladen sollte. Bei Innenminister Horst Seehofer ging erstmal ein Raunen durch den Saal. Die Mehrheit hat sich dann für sein Kommen ausgesprochen. Insofern würde ich gerne mal eine Veranstaltung mit ihm machen. Ich als Moderator mache ja keine Politik, sondern stelle Fragen. Gerade bei Herrn Seehofer würde ich mich allerdings schwertun, ihm anderthalb Stunden das Podium unwidersprochen zu überlassen. Ansonsten fehlt mir an ehemaligen Politikern noch Altbundespräsident Gauck. Und wenn Frau Merkel in absehbarer Zeit aufhört, dann müsste ich mal schauen, ob ich da rankomme. Ich würde sie fragen, wie es ihr jetzt ohne Politik so geht. Als ich die Frage dem ehemaligen Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer stellte, sagte er: "Wenn Sie dreimal hintereinander hinten ins Auto gestiegen sind und es fährt nicht los, dann wissen Sie schon, dass sich etwas verändert hat." Wäre interessant, ob Frau Merkel die gleiche Erfahrung macht.
Und wen würden Sie auf gar keinen Fall einladen? Extremisten, Leute die möglicherweise vom Verfassungsschutz beobachtet werden und die von Dingen träumen, die wir in Deutschland hoffentlich ein für alle Mal im vergangenen Jahrhundert überwunden haben.
In den 25 Jahren, in denen Sie in Magdeburg leben, hat sich die Stadt sehr gewandelt. Welche weiteren Veränderungen wünschen Sie sich? Als ich Mitte der Neunziger herkam, hatte ich den Eindruck, dass viele Magdeburger mit ihrer Stadt fremdeln. Inzwischen hat sich das deutlich gewandelt. Die Magdeburger sagen mittlerweile stolz, dass sie aus ›Machdeburch‹ kommen und identifizieren sich mit ihrer Stadt. Ich wünsche mir vor allem, dass das so bleibt. Nach den riesigen Umbrüchen, die es hier nach 1989 gab und die für zwei Leben gereicht hätten - Unsicherheiten, Sorgen, Ängste - hoffe ich, dass die Magdeburger aus der Entwicklung der vergangenen Jahre Selbstvertrauen schöpfen, um die aktuellen Probleme zu lösen und diese Stadt mit Optimismus weiterzuentwickeln.
Januar 2019 Interview aus INTER.VISTA 7
Burkhard Lischka, geboren 1965, legte nach Abitur und Zivildienst beide Staatsexamen in Jura mit Prädikat ab. 1995 zog es ihn in die ›Ottostadt‹ und kurz darauf haupt beruflich in die Politik. Seit 2004 sitzt er im Magdeburger Stadtrat und vertritt seit 2009 den Wahlkreis 69 Magdeburg im Bundestag, wo er auch innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion ist. Zudem ist er Vorsitzender der SPD Sachsen-Anhalt. Am 10. Januar 2019 gab er bekannt, sein Bundestagsmandat abgeben zu wollen. Bereits wenige Tage zuvor kündigte er an, nicht noch einmal für die Wahl zum Landesvorsitzenden zur Verfügung zu stehen. Die Magdeburger zeichnen sich für ihn dadurch aus, dass sie sehr direkt und offen sind und ohne Umschweife zum Punkt kommen. Auch dann, wenn ihnen etwas nicht passt.