Sie sind zu früh dran an diesem Sonntagnachmittag im September, es ist kurz nach drei, sie laufen im Terminal umher. "Wünschen Sie ein Upgrade?", fragt die Maschine, als sie schließlich die Tickets holen. "Ja, lass uns erster Klasse fliegen", ruft Joan. "Warum?", entgegnet Robert, da hat sie schon den "OK"-Knopf gedrückt. Der Automat druckt die Tickets: 4a, 4d, 5a für Robert Vanderhorst, seine Frau Joan und Sohn Bede, offenbar sitzen sie nicht nebeneinander. Die drei Flugtickets haben zusammen rund 1500 Dollar gekostet, hinzu kommen 625 Dollar für das Upgrade in die erste Klasse, so viel wie ein Extra-Ticket. Doch sie wollen sich etwas gönnen. Robert E. Vanderhorst und seine Familie, so wird er später erzählen, waren wegen eines Familienfestes an die Ostküste gereist. Jetzt geht es von Newark, New Jersey, zurück nach Kalifornien. American Airlines, Flugnummer 119, Gate 32.
Bis zum Boarding tollt Robert mit Bede herum, läuft mit ihm von Gate zu Gate, kauft ihm Brezeln und Brause, erklärt dem Sohn den Flughafen: Da landet ein Flugzeug, da wird eins getankt, da werden die Koffer ausgeladen.
Bede Vanderhorst ist 16 Jahre alt. Seine blauen Augen stehen weit auseinander, auch sein erster und zweiter Zeh. Dass er Trisomie 21 hat, erfuhr Robert Vanderhorst noch im Kreißsaal. "Mongoloid" nennt ihn mancher. "Da hörst du alle Türen im Leben zuschlagen", erinnert sich Vanderhorst. "Kein Führerschein, kein Mädchen, kein Studium." Bede wird immer Beistand brauchen.
Robert Vanderhorst bittet die Frau an Gate 32 um einen Sitzplatztausch - er möchte neben Bede sitzen, sein Sohn sei behindert. Die antwortet: Die Passagiere in der ersten Klasse könne sie nicht einfach umsetzen. "Aber ich gucke, was ich für Sie tun kann." Bede fliegt nicht zum ersten Mal, aber seinem Vater ist es lieb, neben ihm zu sitzen, da kann er ihm helfen, ihm Geschichten erzählen.
"Priority Boarding", tönt es aus den Lautsprechern. "Please get in line." Die Vanderhorsts reihen sich in die Schlange für die erste Klasse.
Dann kommt ein Mann von Gate 32 auf die Familie zu: "Ihr Sohn kann nicht mitfliegen", sagt er. "Sicherheitsrisiko."
Robert Vanderhorst, 53 Jahre alt, der Sohn eines Klempners, wollte schon immer Anwalt werden. Zum einen, weil sich damit gutes Geld verdienen ließ. Zum anderen aber auch, sagt er, weil er jenen eine Stimme geben wollte, die nicht für sich sprechen können.
Im ersten Semester verliebte er sich in Joan. Seit 24 Jahren sind sie jetzt verheiratet. Nachdem seine ersten beiden Kinder auf die Welt gekommen waren, führte Vanderhorst Listen über ihre Erfolge, die ersten Schritte, die ersten Worte. Dem ältesten Sohn zahlt er heute das Jurastudium, seiner Tochter die Schauspielausbildung. Bede lernte erst mit drei Jahren laufen. Neulich hat er entdeckt, wie er heimlich an das Essen im Kühlschrank kommt. Er gluckste, seine Augen blitzten. Erst wollte er sich ärgern, erzählt sein Vater, doch dann war er glücklich.
"Sicherheitsrisiko ...? Mein Sohn ist wie ein Fünfjähriger." - "Er ist 16 Jahre alt, groß und stark", sagte der Mann von American Airlines, so erinnert sich Vanderhorst. Der Pilot, hörte er, habe Bede gesehen, bevor er an Bord ging, und ihn als laut und störend empfunden. In diesem Moment holte ihn der ganze Schmerz von früher ein: kein Führerschein für Bede, kein Mädchen, kein Studium. Und jetzt darf er nicht mitfliegen?
Die Fluglinie American Airlines machte in letzter Zeit häufiger Schlagzeilen. Zuletzt, als sich Sitze während verschiedener Flüge lösten oder weil einen Piloten das T-Shirt einer Passagierin störte. Ein Slogan mit den Worten "Fuck" und "Governor" stand darauf. Erst als die Frau die Schrift mit einem Schal bedeckte, durfte sie weiterfliegen.
Es liegt im Ermessen der Crew, wer als störend oder gar als Sicherheitsrisiko betrachtet wird. Wer sich den Anweisungen widersetzt, verstößt gegen das US-Bundesrecht und kann festgenommen werden.
Bedes Vater beklagt sich, Bedes Mutter protestiert lautstark, doch die Frau an Gate 32 bucht Familie Vanderhorst um. Drei Flughafenpolizisten bringen sie in ein anderes Terminal, zu United Airlines. Als sie ins Flugzeug steigen, winkt Bede den anderen Passagieren. "Hi, hi, hi", grüßt er. In Reihe 37, Economy-Klasse, letzte Reihe, nehmen sie ihre Plätze ein.
Von American Airlines kommt keine Entschuldigung. Stattdessen heißt es in einem offiziellen Statement:
Die Familie zu bitten, den nächsten Flug zu nehmen, war sorgfältig überlegt und begründet durch das Verhalten des Teenagers. Der Kundendienst und die Crew versuchten mit der Familie daran zu arbeiten, es Bede komfortabel zu machen. Aber er war immer noch aufgewühlt.
Robert Vanderhorst hat ein Team von Anwälten beauftragt. Er hoffe nicht auf eine millionenschwere Entschädigung, sagt er. Was er sich wünsche, sei, dass Menschen wie sein Sohn ins Flugzeug steigen dürfen, wenn sie wollen, und fliegen.
Von Silke Weber
Silke Weber
Hamburg
Reportage