Sabrina Siebert setzt den Fräskopf auf einen elektrischen Minibohrer und nähert sich damit surrend meinem Daumen. Sie beginnt, die Acrylschicht von meinem Nagel zu fräsen. Es staubt. Beißende Dämpfe steigen auf. "Riechen Sie dit?", fragt sie in breitem Berlinerisch. "Katzenpusche! Dit riecht nach Katzenpusche." Minderwertige Materialien erkennt sie am Geruch, denn sie ist ziemlich lange im Geschäft. "Zauberfeile" wird sie in der Szene genannt. Genauso heißt auch ihr Nagelstudio im Nordosten Berlins. Siebert ist siebenfache deutsche Meisterin, Europa- und Vizeweltmeisterin im Nageldesign.
Dass ich mir meinen Acrylnagel kurz zuvor in einem der vielen asiatischen Studios modellieren ließ, weiß Siebert nicht. Deren Angebote sind verlockend billig - und fast überall verfügbar. In ganz Deutschland eröffnen derzeit Nagelstudios. Die Billigketten führen einen Preiskampf, der in Einkaufscentern, Fußgängerpassagen und Bahnhofshallen stattfindet. Oft treten sie unter amerikanisch klingenden Namen auf - wie U.S. Nails, New York Nails oder Hollywood Nails.
Das Geschäft mit Fingernägeln ist riesig. Offizielle Daten gibt es zwar nicht, doch Experten des Fachmagazins Prof Nail schätzen, dass damit allein hierzulande zwischen fünf und sechs Milliarden Euro pro Jahr umgesetzt wird. Um herauszufinden, wie dieser Markt funktioniert, besuche ich ein asiatisches Studio und lasse mir einen Testnagel auf den Daumen kleben.
Das Studio liegt im Berliner Einkaufscenter am Bahnhof Gesundbrunnen. "L.A. Nails" steht am Eingang, innen ein roter Plüschteppich, weiße Kosmetiktische, pinkfarbene Wände. Ein kurzer Blick in den Laden, und eine der vietnamesischen Mitarbeiterinnen bittet mich schon herein.
Alle vier Kosmetiktische sind besetzt. Eine Frau mit Gesichtspiercings und Lederjacke lässt sich die Nägel gerade knallgrün lackieren, eine Rothaarige mit beigefarbenen Pumps bekommt dazu beigefarbenen Lack, und eine dritte mit grauem Haar und Nachrichtenmagazin auf dem Schoß lässt sich die Naturnägel verlängern. Eine weitere Kundin spreizt ihre pinkfarbenen Fingerspitzen in der Luft: "Hach, jetzt lachen sie wieder", sagt sie stolz. "Smile-Line" nennen Profis den Bogen zwischen Nagelbett und Nagelspitze, der an ein Lächeln erinnern soll.
Kaum hat die Frau ihren Platz geräumt, bin ich an der Reihe. Die vietnamesische Mitarbeiterin zieht sich einen lila Mundschutz mit Herzchenmuster an und beugt sich über meine Finger. Mit der Zange knipst sie meinen Naturnagel kurz, fischt aus einer Schachtel einen künstlichen und modelliert mit einem Pinsel eine dicke, flüssige Acrylschicht auf mein Nagelbett. Schon fünf Minuten später ist sie mit dem Nagel fertig. Die vietnamesischen Nageldesignerinnen arbeiten schnell, ihre Preise sind sagenhaft günstig. Eine Neumodellage der Nägel mit Acryl kostet bei L.A. Nails nur 24 Euro. Zum Vergleich: Das Studio Zauberfeile verlangt 60 Euro. Die asiatische Konkurrenz arbeitet also für weniger als die Hälfte - wie ist das möglich?
Eine Möglichkeit zu sparen, sind billige Materialien. Meisterin Siebert will nicht explizit über die asiatische Konkurrenz sprechen, es gebe "überall in der Branche schwarze und weiße Schafe". Aber zu diesem beißenden Geruch möchte sie etwas sagen. Für die Modellage von Acrylnägeln gebe es nämlich zwei Werkstoffe: Ethylmethacrylat und Methylmethacrylat. Letzteres sei deutlich billiger, aber gesundheitlich problematisch. Auf meinem Nagel identifiziert Siebert den Stoff anhand des typischen Geruchs. Das Bundesinstitut für Risikobewertung warnt, Methylmethacrylat könne Nagelentzündungen und -ablösungen verursachen und auch bei den Mitarbeitern in den Studios Allergien, Husten und Hautausschläge auslösen. Produkte mit Methylmethacrylat sollten daher nicht verwendet werden.
Ich möchte diese und andere Fragen mit Thi Thuy Duong Pham diskutieren, der Geschäftsführerin von L.A. Nails. Sie könnte viel berichten über den Boom der Branche, die Preise und Produkte. Vor zehn Jahren eröffnete sie ihr erstes Studio, heute besitzt sie 18 Filialen von Bochum bis Wetzlar. Und eben auch das Studio im Berliner Gesundbrunnen-Center, das ich besucht habe. Aber Pham möchte nicht mit mir sprechen. Spätere Anrufe und Nachrichten ignoriert sie.