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Studie zu Operationen: Mehr Eingriffe, weniger Probleme

Je häufiger ein Krankenhaus bestimmte Operationen durchführt, desto niedriger ist die Rate an Komplikationen und Todesfällen durch den jeweiligen Eingriff. So könnten jährlich 140 Todesfälle bei Hüftoperationen vermieden werden, wenn diese in Krankenhäusern mit mehr als 176 Fällen pro Jahr durchgeführt würden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Berliner Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES), die von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegeben worden ist [1].

Anhand von 5 Indikationen zu planbaren, komplexen Eingriffen - Hüft-TEP, Prostatektomie, Bypass-OP sowie Herzklappen-OP mit und ohne TAVI - hat die Studie den Einfluss von OP-Fallzahlen auf die Versorgungsqualität untersucht. Für alle betrachteten Indikationen ist das Fazit eindeutig: Sind die jeweiligen Operationszahlen in den Krankenhäusern hoch genug, so treten weniger Komplikationen und Todesfälle auf. Wie hoch diese sein sollten, variiert von Indikation zu Indikation.

Hüft-TEP: Mortalität sinkt ab 50 Operationen pro Jahr

„Die internationale wissenschaftliche Literatur zeigt, dass es im Bereich der Hüft-TEP einen Zusammenhang zwischen sinkender Patientensterblichkeit und höherer Fallzahl gibt. Aus der wissenschaftlichen Literatur hierzu lässt sich auch ableiten, dass die Mortalität ab 50 Fällen pro Jahr signifikant abnimmt. Diese Evidenz wird durch verschiedene Überblicksstudien und Einzelfallstudien zu verschiedenen Ländern erhärtet", erläutert Dr. Thomas Kostera, Projektmanager bei der Bertelsmann-Stiftung und im Programmbereich „Versorgung verbessern - Patienten informieren", dem die IGES-Studie zugeordnet ist.

Im Jahr 2014 wurden in Deutschland an 311 Kliniken weniger als 50 Hüft-TEP-OP durchgeführt. Damit waren diese Patienten laut IGES-Studie einem höheren Risiko ausgesetzt als an den Kliniken mit mehr als 50 Hüftoperationen pro Jahr.

Auch bei den anderen Indikationen gab es Häuser, die wenig operierten: So wurden weniger als 5 Prostatektomien an 43 von 414 Krankenhäusern durchgeführt, was einer Quote von etwa 10% entspricht. Hier stieg das Risiko für Komplikationen wie Nervenläsionen, die zu Impotenz und Inkontinenz führen können. Die adjustierte Sterblichkeit (Krankenhaus- und 30-Tage-Mortalität) nach Aortenklappenersatz reduzierte sich von 9,3% bei Häusern mit weniger als 43 Fällen auf 7,1% bei Häusern mit mindestens 200 Fällen pro Jahr und nach Mitralklappenersatz sogar von 15,1% auf 11,6% in den einbezogenen Kliniken.

Patientensicherheit nicht pauschal mit Fallzahl verknüpfen Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) möchte die Patientensicherheit jedoch nicht pauschal mit der Fallzahl verknüpfen. Auf Nachfrage erläutert sie gegenüber Medscape: „Man kann nicht einen kausalen Zusammenhang zwischen Komplikationsrate und Menge der erbrachten Leistungen als Ergebnis präsentieren, ohne dass eine Risikoadjustierung erfolgt ist. Eine hohe Komplikationsrate in einem bestimmten Krankenhaus kann auch an der Schwere der Fälle und an der Häufigkeit der Notfälle liegen, die aufgrund einer älteren und kränkeren Bevölkerung überdurchschnittlich hoch sein können. Des Weiteren sollte beim Eingriff ‚Endoprothese am Hüftgelenk' unterschieden werden, ob eine Fraktur vorliegt oder ob es sich um einen elektiven Eingriff handelt. Bei letzterem beträgt die Sterblichkeit nahezu Null."

Prof. Dr. David Matusiewicz, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement an der FOM - Hochschule für Ökonomie und Management, Essen, meint dazu: „Es muss sicherlich zwischen Ballungszentren und ländlichen Gebieten und je nach Indikation differenziert werden, sodass eine verallgemeinernde Aussage nur schwer möglich ist. Die Argumentation, dass Komplikations- und Todesrisiko mit zunehmenden Operationszahlen der jeweiligen Indikation sinken, liegt jedoch auf der Hand. Das wird sowohl politisch als auch gesundheitsökonomisch seit Jahren propagiert und ist z.B. für die Hüft-TEP in zahlreichen Studien dargelegt worden." Verbindliche Mindestzahl an Operationen? Ist damit der Weg für Mindestzahlen bei planbaren Operationen frei? Für einige Indikationen gibt es diese Vorgaben bereits, wie z.B. für Knie-TEPs und für bestimmte Transplantationen. Die Niederlande und andere europäische Länder haben solche Mindestzahlen für die meisten planbaren Operationen eingeführt und verknüpfen sie mit teilweise strikten Vorgaben, um komplexe Eingriffe zu zentralisieren.

Man kann nicht einen Zusammenhang zwischen Komplikationsrate und Menge der erbrachten Leistungen ohne eine Risikoadjustierung präsentieren. Deutsche Krankenhausgesellschaft

Die DKG sieht diese Praxis kritisch und hält die Einführung von bundesweit eindeutigen Grenzwerten für falsch - zumindest dann, wenn für die Berechnung internationale Literatur herangezogen würde. Sie wünscht sich für die Festlegung von Mindestmengen eine eigene Volume-Outcome-Berechnung. „Was ist mit einer Fachabteilung die 49 anstelle von 50 Eingriffen im Jahr durchführt. Bedeuten 49 Eingriffe eine schlechte Qualität und 50 eine gute?", fragt die DKG, um das Problem einheitlicher Grenzwerte zu verdeutlichen. Auch Matusiewicz sieht die Nachteile von verbindlichen Mindestmengen: „Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass mittelfristig auch negative Anreize entstehen können, wenn keine Alternativen in einem regionalen Markt vertreten sind. Problematisch ist die angebotsinduzierte Nachfrage der Krankenhäuser. Die Frage nach Mindestzahlen könnte auch zu falschen Anreizen führen, um die Mindest-OP-Zahl durch teilweise unnötige Eingriffe zu erreichen." Die Patienten hätten das Nachsehen, da sie schwerer beurteilen könnten, ob eine geplante Operation sinnvoll und notwendig sei. „Dieser Effekt widerspräche auch der im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz beschlossenen Regelungen, bei mengenanfälligen planbaren Eingriffen eine Zweitmeinung einzuholen", so Matusiewicz weiter.

Kostera geht davon aus, dass sich das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) dennoch an der aktuellen Evidenzlage orientiert, die die Einführung verbindlicher Mindestmengen nahelegt: „Es wäre wünschenswert, wenn die Festlegung von Mindestmengen erleichtert und die Einhaltung existierender Mindestmengen stringenter überwacht würden. Auch sollten Vorgaben zu Mindestmengen regelmäßig evaluiert und an den Fortschritt medizinischer Forschung angepasst werden."

Dass Komplikations- und Todesrisiko mit zunehmenden Operationszahlen der jeweiligen Indikation sinken, liegt jedoch auf der Hand. Prof. Dr. David Matusiewicz

Zentralisierung und ihre Folgen Falls die verbindlichen Mindest-OP-Zahlen bei Hüft-TEP, Prostatektomie, Bypass-OP und Herzklappen-OPs mit und ohne TAVI tatsächlich kommen, hätte das zur Folge, dass Fachabteilungen schließen müssten, die die Grenzwerte nicht erreichen. Patienten müssten längere Fahrtzeiten in Kauf nehmen. Notwendige medizinische Leistungen stünden unter Umständen nicht mehr angemessen zur Verfügung. Die Bertelsmann-Stiftung hat genau dieses Szenario durchgespielt. Die Ergebnisse der Simulation sind auf Faktencheck Gesundheit einsehbar. Demnach verlängern sich bei allen untersuchten Indikationen die Fahrtzeiten bis zum nächsten spezialisierten Krankenhaus im Durchschnitt um lediglich 2 bis 5 Minuten.

Auch der GKV-Spitzenverband stellt eine interaktive Karte bereit, mit deren Hilfe sich herausfinden lässt, wie sich die Fahrtzeiten verändern, sollten Fachabteilungen oder Krankenhäuser schließen müssen - unabhängig von den in der IGES-Studie untersuchten Indikationen.

Die DKG weist darauf hin, dass sich die Fahrzeiten zwischen Pkw und öffentlichem Nahverkehr unterscheiden. Insbesondere ältere Menschen reisen häufiger mit Bus und Bahn. Darüber hinaus müsse zwischen Patienten in Ballungszentren und im ländlichen Raum unterschieden werden.

Kostera betont: „Oft werden die Diskussionen ausschließlich um die Erreichbarkeit von Krankenhäusern geführt, obwohl eine wohnortnahe Versorgung gar nicht gefährdet ist. Viel wichtiger wäre es, wenn über die Qualität der Behandlung gesprochen würde. Denn die sollte entscheidend sein."

Alle Beteiligten sind sich darin einig, dass die Versorgungsqualität gesichert sein muss. Auch die DKG will keine Krankenhäuser und Fachabteilungen, die qualitativ fragwürdige Leistungen erbringen. Ihr Einwand lautet jedoch: „Durch eine Mindestmengenregelung die guten von den schlechten Abteilungen zu unterscheiden, ist aus unserer Sicht nicht realitätsnah."

Kosteneinsparung durch Spezialisierung?

Vorgaben zu Mindestmengen sollten regelmäßig evaluiert und an den medizinischen Fortschritt angepasst werden. Dr. Thomas Kostera

Die Zahl der Krankenhausstandorte könnte weiter abnehmen. Darauf deutet auch die Debatte um Spezialisierung, Zentralisierung und Qualitätssicherung hin. Sie hängt natürlich auch mit der Frage zusammen, wie sich Kosten im Gesundheitswesen einsparen lassen. Die IGES-Studie wird - ob beabsichtigt oder nicht - auch in diese Richtung wirken. Matusiewicz meint dazu: „Skaleneffekte spielen eine Rolle, denn je mehr Eingriffe pro Einheit vorgenommen werden können, desto günstiger wird auch der einzelne Eingriff. Die Kosten je OP sinken mit steigender OP-Zahl. Da die meisten GKV-Versicherten keine Patienten, sondern gesund sind, haben sie eine Beitragspräferenz und keine Leistungspräferenz. Aus dieser Perspektive betrachtet sind Einsparungen im Gesundheitssystem wünschenswert."

Insofern könnten Krankenhäuser eine Spezialisierungsstrategie entwickeln: Kosten einsparen durch höhere OP-Zahlen in bestimmten Indikationen und durch Kooperationen mit anderen Häusern. Dass Fachabteilungen und Krankenhäuser bei Mindest-OP-Zahlen zwingend schließen müssen, hält Kostera nicht für ausgemacht: „Manche Eingriffe werden in einigen Kliniken so selten durchgeführt, dass sie oft nur unter zwei Prozent der Gesamt-OP-Zahl des Krankenhauses ausmachen. Werden diese Leistungen verlagert, bedeutet das nicht zwangsläufig die Schließung der Fachabteilung".

REFERENZEN:

1. Bertelsmann-Stiftung: Faktencheck Krankenhausstruktur, 2016

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