Das Sommersemester 2020 wird Studierenden bestimmt in
Erinnerung bleiben: Der komplette Lehrbetrieb für 376.000
Studierende wurde innerhalb weniger Tage auf Homelearning
umgestellt. Wie hat sich diese radikale Ortsverschiebung des
Lern-, Austausch- und Arbeitsumfelds auf die Leistungs- und
Motivationsfähigkeit ausgewirkt und wie ließ sich der Studienalltag ohne die so fundamentale soziale Komponente überhaupt gestalten? Natalia und Nikolaus, die beide an der Uni
Wien studieren, erzählen, wie sie die unkonventionelle Lebensphase meistern, was sie über Hybrid-Lehre denken und
wie sie ihre beruflichen Zukunftschancen sehen.
Semesterstart März 2020. Nikolaus sitzt mit einem Ohr zuhörend im Seminar und versucht, seine Sitzposition so zu verändern, dass er seine Beine ausstrecken kann. Nicht so einfach, der Raum ist bis zum letzten Platz besetzt und es geht sich gerade aus, dass jede*r eine Laptop-Länge für sich hat. Das soll sich mit der Nachricht, die soeben auf Nikolaus' Bildschirm aufpoppt, schlagartig ändern. Der 21-jährige Publizistikstudent erinnert sich zurück: „Die Nachricht, dass ab sofort auf Homelearning umgestellt wird, kam schon sehr abrupt, aber die Situation war ganz witzig: Unser Professor war ein älterer Herr und na ja … alle zwanzig Minuten hat jemand von uns aufgezeigt und wollte mit ihm darüber sprechen, dass es nächste Woche wohl keine Einheit mehr geben wird.“ Er und seine Kolleg*innen nahmen die Situation anfangs nicht ernst und glaubten, dass die Maßnahmen nur die nächsten zwei Wochen betreffen würden, da sie, wie die meisten, die wirkliche Tragweite des kommenden Lockdowns überhaupt nicht einschätzen konnten. Für die 21-jährige Publizistikstudentin Natalia war zumindest die E-Mail mit den Informationen zur Homelearning-Umstellung und die damit einhergehende Schließung der Universität keine Überraschung, allerdings empfand sie die Umsetzung als enttäuschend: „Ich glaube, dass am Anfang des Semesters weder ich noch viele Lehrkräfte sich damals selbst ausreichend informiert gefühlt haben, aber trotzdem versuchen mussten, das Beste aus dieser verzwickten Lage zu machen.“
Überraschend ist womöglich, dass sich der Lockdown bei einigen Studierenden, mehr oder weniger erzwungenermaßen, enorm positiv auf die Leistungs- und Motivationsbereitschaft auswirkte. Zumindest gilt das für Natalia, bei der das Studium zuvor nie oberste Priorität hatte. Die 21-Jährige musste nämlich schon im jungen Alter nebenbei arbeiten, weil ihre Eltern sie finanziell nicht unterstützen konnten und ist grundsätzlich davon überzeugt, dass Berufserfahrung durch Praktika sammeln, zumindest bei einem Studium wie Publizistik, ohnehin Vorrang haben muss. Im Sommersemester wurde ihr schließlich keine andere Wahl gelassen. „Durch Corona habe ich leider meinen Nebenjob im Theater verloren und hatte von einem Tag auf den anderen zum ersten Mal in meiner Studienzeit einfach nichts anderes zu erledigen. Aus diesem Grund hatte ich endlich Zeit, um mich vollständig auf die Uni zu konzentrieren. Was gut war, weil ich meinen Kopf vor allem in der Quarantäne-Zeit einfach mit irgendetwas beschäftigen musste“, erklärt sie. Zumindest die Prüfungen liefen bei ihr durch diesen unfreiwilligen Leistungsschub gut. Dazu sagt sie: „Dieses Semester gehört mit Sicherheit zu einem der produktivsten, die ich je hatte. Ich habe ehrlich gesagt schon lange nicht mehr so viel weitergebracht und darauf bin ich stolz. Außerdem werde ich in den nächsten zwei Semestern viel weniger Stress haben, weil schon so vieles erledigt ist.“ Den gesamten Lockdown hat Natalia in ihrer WG in Wien verbracht. Beim Lernen haben ihre Mitbewohner*innen und sie sich oft zusammengesetzt, um sich gegenseitig beim Arbeiten zu motivieren. Viel Abwechslung außerhalb des Homelearning-Alltags hatte sie im letzten Semester ansonsten nicht. Ihre Familie wohnt zwar ebenso in Wien, aber da ihre Mutter Diabetikerin ist und damit zur Risikogruppe gehört, wollte sie sie anfangs nicht besuchen. Ein Wiedersehen gab es erst im Mai.
„Durch den fließenden Übergang zwischen Homeoffice und Lernen habe ich mich kaum von meinem Schreibtisch wegbewegt, was sich dann irgendwann doch psychisch auf mich ausgewirkt hat.“
Auch Nikolaus wurde in der Quarantäne-Phase vom Leistungsfieber gepackt. Er war durch die Arbeit im Homeoffice und den Druck, seine Bachelorarbeit für den Studienabschluss rechtzeitig fertig zu bekommen, jedoch mental doppelt belastet. Er erzählt, dass er sich besonders zu Beginn des Lockdowns sehr stark einredete, dass er durch die Umstände ohnehin keinen anderen Aufgaben nachgehen könne und nun so produktiv wie nur möglich sein müsste. Er erinnert sich: „Ich habe mich am Tag fast acht Stunden hingesetzt, um Zeug für die Uni zu erledigen. Bei einem Gespräch mit einer Kollegin habe ich sogar selbst gesagt, dass ich das Semester ohne den Lockdown wahrscheinlich nicht gepackt hätte. Wenn ich an der Uni bin, bringe ich immer weniger weiter. Vor allem an Orten wie der Bibliothek. Da trifft man ständig jemanden, dann tratscht man und geht auf einen Kaffee, obwohl man zu tun hat.“ Allerdings offenbarte der radikale Leistungs- und Motivationsaufschwung nach einer Weile ebenso seine Schattenseiten. „Durch den fließenden Übergang zwischen Homeoffice und Lernen habe ich mich kaum vom Schreibtisch wegbewegt, was sich dann irgendwann doch psychisch auf mich ausgewirkt hat, vor allem am Ende, wo es mit dem Schreiben der Bachelorarbeit immer intensiver geworden ist. Aufgestanden bin ich meist nur, wenn ich essen musste oder zur Kaffeemaschine gegangen bin. Ich hatte ehrlich gesagt nur Glück, dass ich als Trainer bei einem Sportverein tätig bin und später auch auftauchen musste. Ohne diese Abwechslung wäre ich wahnsinnig geworden und hätte sicher auch längerfristige mentale Schäden von diesem Lifestyle davongetragen“, verrät Nikolaus.
Für viele zählt die charakterbildende soziale Komponente des Studienlebens zu den Hauptgründen, um nach der Matura überhaupt ein Studium zu beginnen. Noch vor dem Einstieg in das Berufsleben verbessert man an Hochschulen bekanntlich Soft Skills wie Selbstorganisation, Stressresistenz sowie Präsentations-, Team- und Konfliktfähigkeit. Die unbeschönigten Bilder der Realität dürfen an dieser Stelle natürlich nicht ausgelassen werden. Bevor man die wichtigen Soft Skills einwandfrei beherrscht, erlebt man Folgendes: 1. Am Wochenende lieber noch eine legendäre WG-Party besuchen anstatt zu lernen und diese Entscheidung bei der fehlgeschlagenen Prüfung kein bisschen bereuen. 2. Sich mit Studienkolleg*innen extra früher vor dem Hörsaal treffen, um einen guten Platz im überfüllten Hörsaal zu bekommen und dann doch schwänzen, weil das Wetter so schön ist. 3. Mit dem Kaffeebecher in der Hand zu spät in den Seminarraum rennen, um dort zehn Minuten vor der Gruppenpräsentation den Text durchzugehen und mit allen darüber zu diskutieren, wer zu reden anfängt. 4. Danach bis spät abends im „Charlie Pʼs“ nebenan zu trinken und zu lachen, weil die Präsentation eine Blamage war. Diese und ähnliche Geschichten sind bittersüße soziale Erfahrungen, die später in den Gedankenordner „Geschichten aus der Studienzeit“ kommen und zu der Frage führen: Wie hat sich diese fehlende, soziale Komponente auf den Uni-Alltag und die Studierenden ausgewirkt?
„An der Uni Zeit zu verbringen, hat mir schon gefehlt, weil ich ohne auch nicht immer einen konkreten Grund hatte, morgens aufzustehen und mich fertigzumachen.“
Die Leistungs- und Motivationssteigerung bei Natalia und Nikolaus kann zwar als positiv betrachtet werden, allerdings scheint sie nur auf Kosten des sozialen Lebens derart in die Höhe geschossen zu sein. Kann in Bezug auf das vergangene Sommersemester überhaupt von Social Life gesprochen werden? Wenn nicht, welche Aspekte des Studienalltags fehlten ihnen besonders und macht Homelearning das Studieren in Zukunft eigentlich unattraktiv, besonders da niemand weiß, wann der Universitätsbetrieb wieder gänzlich beim Alten sein wird? Für Natalia gehört die Möglichkeit, am Publizistikinstitut abzuhängen, definitiv zum erwünschten Studienalltag dazu. Vor dem Sommersemester traf sie sich dort regelmäßig mit Kolleg*innen, um zwischen den Lehrveranstaltungen zu plaudern und so den Kopf freizubekommen. Auch soziale Treffpunkte wie ein Punschstand am Institut oder ein Studiengangsfest gehören zum Studierendenleben. Sie ist der Meinung, dass man sich durch solche Fixpunkte im Mikrouniversum einer Hochschule nicht allein fühlt, was für sie persönlich von großer Bedeutung ist. Sie erinnert sich an das Sommersemester: „An der Uni Zeit zu verbringen hat mir schon gefehlt, weil ich ohne auch nicht immer einen konkreten Grund hatte, morgens aufzustehen und mich fertigzumachen.“ Die 21-Jährige hofft, dass das Wintersemester mit den geplanten hybriden Lehrveranstaltungsangeboten, also der Mischung aus digitaler und Vor-Ort-Lehre, zumindest mehr Raum für einen geregelten Alltag schaffen wird. Die Lust am Studieren ist ihr, trotz aller Veränderungen, auf jeden Fall nicht vergangen. Ab Herbst beginnt Natalia nämlich ein weiteres Bachelorstudium und macht danach auch einen Master in Journalismus. Angst vor potenziellen Schwierigkeiten, in der Zukunft einen Arbeitsplatz zu finden, hat sie nicht, da sie hofft, dass sich die schwierige Wirtschaftslage bis zu ihrem Masterabschluss in einigen Jahren beruhigen wird. Bei Student Nikolaus hingegen kam es durch die Schließung der Universität zu keiner großen Umstellung, zumindest was seinen Arbeits- und Lernplatz angeht. Er erledigt Aufgaben rund ums Studium nämlich grundsätzlich viel lieber bei sich zu Hause, da er das Institut und die Bibliotheken als Ablenkungsquelle betrachtet. Irgendwann hat er es dann aber doch vermisst, spontan nach einer Lehrveranstaltung etwas trinken zu gehen. Da das im vergangenen Semester ohnehin nicht möglich war, haben seine Kolleg*innen und er versucht, die sozialen Aspekte der Studienzeit zumindest digital zu simulieren. „Wie bei allen ist meine Zeit auf FaceTime und WhatsApp massiv in die Höhe gegangen. Meine Leute und ich haben uns regelmäßig via Videotelefonat ‚getroffen‘. In manchen Onlinekursen bin ich ja auch mit Freund*innen von mir gesessen und da haben wir zum Beispiel parallel dazu wie immer nebenbei auf WhatsApp geschrieben. Klar, es ist anders gewesen, also kein normales zusammen studieren, aber ich muss dazu sagen, dass die Universität für mich persönlich keine bloße Bespaßungseinrichtung ist. Die soziale Komponente ist weggefallen und hat mir auch sehr gefehlt, aber das muss kein Dealbreaker sein“, meint Nikolaus. Nur dass er als Absolvent seine akademische Feier ausfallen lassen muss, findet er schade.
So wie Natalia bleibt er, was die Wirtschaftskrise und die berufliche Zukunft von Student*innen angeht, optimistisch. Er selbst hat sogar schon eine Zusage für eine Stelle in einer Agentur. Der 21-Jährige beendet im nächsten Semester seinen zweiten Bachelor und ist gespannt darauf, wie die geplante Hybrid-Lehre an der Uni Wien umgesetzt wird. Lachend fasst er in einem Satz die Gefühlslage vieler aktueller Student*innen zusammen: „Naja, schlimmer als das vergangene Semester kann es eh nicht werden, oder?“
Studienergebnisse: „Lernen unter Covid-19-Bedingungen“ Fakultät für Psychologie der Universität Wien Befragung Nr. 3/Stand: 29.06.2020 Gute Selbstorganisation und der Austausch mit Studienkolleg*innen waren für die Mehrheit der Befragten die zwei zentralen Faktoren für ein erfolgreiches Semester. 74,8 % der Befragten kamen mit den Online-Prüfungen, insbesondere Open-Book-Prüfungen, gut zurecht. 45,1 % berichteten, dass sich der Lernerfolg im Großen und Ganzen nicht verändert hatte. Uneinig waren sich Studierende bezüglich der Frage, ob Online-Prüfungen zum Schummeln einladen. 53,1 % bejahten dies, während 46,9 % die Frage verneinten. Erneutes ausschließliches Homelearning im Herbst bei einem potenziellen Entfall von allen Präsensveranstaltungen beurteilten 47,1 % als negativ, 27,4 % als positiv und 25,5 % als neutral.
Rétablir l'original
Semesterstart März 2020. Nikolaus sitzt mit einem Ohr zuhörend im Seminar und versucht, seine Sitzposition so zu verändern, dass er seine Beine ausstrecken kann. Nicht so einfach, der Raum ist bis zum letzten Platz besetzt und es geht sich gerade aus, dass jede*r eine Laptop-Länge für sich hat. Das soll sich mit der Nachricht, die soeben auf Nikolaus' Bildschirm aufpoppt, schlagartig ändern. Der 21-jährige Publizistikstudent erinnert sich zurück: „Die Nachricht, dass ab sofort auf Homelearning umgestellt wird, kam schon sehr abrupt, aber die Situation war ganz witzig: Unser Professor war ein älterer Herr und na ja … alle zwanzig Minuten hat jemand von uns aufgezeigt und wollte mit ihm darüber sprechen, dass es nächste Woche wohl keine Einheit mehr geben wird.“ Er und seine Kolleg*innen nahmen die Situation anfangs nicht ernst und glaubten, dass die Maßnahmen nur die nächsten zwei Wochen betreffen würden, da sie, wie die meisten, die wirkliche Tragweite des kommenden Lockdowns überhaupt nicht einschätzen konnten. Für die 21-jährige Publizistikstudentin Natalia war zumindest die E-Mail mit den Informationen zur Homelearning-Umstellung und die damit einhergehende Schließung der Universität keine Überraschung, allerdings empfand sie die Umsetzung als enttäuschend: „Ich glaube, dass am Anfang des Semesters weder ich noch viele Lehrkräfte sich damals selbst ausreichend informiert gefühlt haben, aber trotzdem versuchen mussten, das Beste aus dieser verzwickten Lage zu machen.“
Überraschend ist womöglich, dass sich der Lockdown bei einigen Studierenden, mehr oder weniger erzwungenermaßen, enorm positiv auf die Leistungs- und Motivationsbereitschaft auswirkte. Zumindest gilt das für Natalia, bei der das Studium zuvor nie oberste Priorität hatte. Die 21-Jährige musste nämlich schon im jungen Alter nebenbei arbeiten, weil ihre Eltern sie finanziell nicht unterstützen konnten und ist grundsätzlich davon überzeugt, dass Berufserfahrung durch Praktika sammeln, zumindest bei einem Studium wie Publizistik, ohnehin Vorrang haben muss. Im Sommersemester wurde ihr schließlich keine andere Wahl gelassen. „Durch Corona habe ich leider meinen Nebenjob im Theater verloren und hatte von einem Tag auf den anderen zum ersten Mal in meiner Studienzeit einfach nichts anderes zu erledigen. Aus diesem Grund hatte ich endlich Zeit, um mich vollständig auf die Uni zu konzentrieren. Was gut war, weil ich meinen Kopf vor allem in der Quarantäne-Zeit einfach mit irgendetwas beschäftigen musste“, erklärt sie. Zumindest die Prüfungen liefen bei ihr durch diesen unfreiwilligen Leistungsschub gut. Dazu sagt sie: „Dieses Semester gehört mit Sicherheit zu einem der produktivsten, die ich je hatte. Ich habe ehrlich gesagt schon lange nicht mehr so viel weitergebracht und darauf bin ich stolz. Außerdem werde ich in den nächsten zwei Semestern viel weniger Stress haben, weil schon so vieles erledigt ist.“ Den gesamten Lockdown hat Natalia in ihrer WG in Wien verbracht. Beim Lernen haben ihre Mitbewohner*innen und sie sich oft zusammengesetzt, um sich gegenseitig beim Arbeiten zu motivieren. Viel Abwechslung außerhalb des Homelearning-Alltags hatte sie im letzten Semester ansonsten nicht. Ihre Familie wohnt zwar ebenso in Wien, aber da ihre Mutter Diabetikerin ist und damit zur Risikogruppe gehört, wollte sie sie anfangs nicht besuchen. Ein Wiedersehen gab es erst im Mai.
„Durch den fließenden Übergang zwischen Homeoffice und Lernen habe ich mich kaum von meinem Schreibtisch wegbewegt, was sich dann irgendwann doch psychisch auf mich ausgewirkt hat.“
Auch Nikolaus wurde in der Quarantäne-Phase vom Leistungsfieber gepackt. Er war durch die Arbeit im Homeoffice und den Druck, seine Bachelorarbeit für den Studienabschluss rechtzeitig fertig zu bekommen, jedoch mental doppelt belastet. Er erzählt, dass er sich besonders zu Beginn des Lockdowns sehr stark einredete, dass er durch die Umstände ohnehin keinen anderen Aufgaben nachgehen könne und nun so produktiv wie nur möglich sein müsste. Er erinnert sich: „Ich habe mich am Tag fast acht Stunden hingesetzt, um Zeug für die Uni zu erledigen. Bei einem Gespräch mit einer Kollegin habe ich sogar selbst gesagt, dass ich das Semester ohne den Lockdown wahrscheinlich nicht gepackt hätte. Wenn ich an der Uni bin, bringe ich immer weniger weiter. Vor allem an Orten wie der Bibliothek. Da trifft man ständig jemanden, dann tratscht man und geht auf einen Kaffee, obwohl man zu tun hat.“ Allerdings offenbarte der radikale Leistungs- und Motivationsaufschwung nach einer Weile ebenso seine Schattenseiten. „Durch den fließenden Übergang zwischen Homeoffice und Lernen habe ich mich kaum vom Schreibtisch wegbewegt, was sich dann irgendwann doch psychisch auf mich ausgewirkt hat, vor allem am Ende, wo es mit dem Schreiben der Bachelorarbeit immer intensiver geworden ist. Aufgestanden bin ich meist nur, wenn ich essen musste oder zur Kaffeemaschine gegangen bin. Ich hatte ehrlich gesagt nur Glück, dass ich als Trainer bei einem Sportverein tätig bin und später auch auftauchen musste. Ohne diese Abwechslung wäre ich wahnsinnig geworden und hätte sicher auch längerfristige mentale Schäden von diesem Lifestyle davongetragen“, verrät Nikolaus.
Für viele zählt die charakterbildende soziale Komponente des Studienlebens zu den Hauptgründen, um nach der Matura überhaupt ein Studium zu beginnen. Noch vor dem Einstieg in das Berufsleben verbessert man an Hochschulen bekanntlich Soft Skills wie Selbstorganisation, Stressresistenz sowie Präsentations-, Team- und Konfliktfähigkeit. Die unbeschönigten Bilder der Realität dürfen an dieser Stelle natürlich nicht ausgelassen werden. Bevor man die wichtigen Soft Skills einwandfrei beherrscht, erlebt man Folgendes: 1. Am Wochenende lieber noch eine legendäre WG-Party besuchen anstatt zu lernen und diese Entscheidung bei der fehlgeschlagenen Prüfung kein bisschen bereuen. 2. Sich mit Studienkolleg*innen extra früher vor dem Hörsaal treffen, um einen guten Platz im überfüllten Hörsaal zu bekommen und dann doch schwänzen, weil das Wetter so schön ist. 3. Mit dem Kaffeebecher in der Hand zu spät in den Seminarraum rennen, um dort zehn Minuten vor der Gruppenpräsentation den Text durchzugehen und mit allen darüber zu diskutieren, wer zu reden anfängt. 4. Danach bis spät abends im „Charlie Pʼs“ nebenan zu trinken und zu lachen, weil die Präsentation eine Blamage war. Diese und ähnliche Geschichten sind bittersüße soziale Erfahrungen, die später in den Gedankenordner „Geschichten aus der Studienzeit“ kommen und zu der Frage führen: Wie hat sich diese fehlende, soziale Komponente auf den Uni-Alltag und die Studierenden ausgewirkt?
„An der Uni Zeit zu verbringen, hat mir schon gefehlt, weil ich ohne auch nicht immer einen konkreten Grund hatte, morgens aufzustehen und mich fertigzumachen.“
Die Leistungs- und Motivationssteigerung bei Natalia und Nikolaus kann zwar als positiv betrachtet werden, allerdings scheint sie nur auf Kosten des sozialen Lebens derart in die Höhe geschossen zu sein. Kann in Bezug auf das vergangene Sommersemester überhaupt von Social Life gesprochen werden? Wenn nicht, welche Aspekte des Studienalltags fehlten ihnen besonders und macht Homelearning das Studieren in Zukunft eigentlich unattraktiv, besonders da niemand weiß, wann der Universitätsbetrieb wieder gänzlich beim Alten sein wird? Für Natalia gehört die Möglichkeit, am Publizistikinstitut abzuhängen, definitiv zum erwünschten Studienalltag dazu. Vor dem Sommersemester traf sie sich dort regelmäßig mit Kolleg*innen, um zwischen den Lehrveranstaltungen zu plaudern und so den Kopf freizubekommen. Auch soziale Treffpunkte wie ein Punschstand am Institut oder ein Studiengangsfest gehören zum Studierendenleben. Sie ist der Meinung, dass man sich durch solche Fixpunkte im Mikrouniversum einer Hochschule nicht allein fühlt, was für sie persönlich von großer Bedeutung ist. Sie erinnert sich an das Sommersemester: „An der Uni Zeit zu verbringen hat mir schon gefehlt, weil ich ohne auch nicht immer einen konkreten Grund hatte, morgens aufzustehen und mich fertigzumachen.“ Die 21-Jährige hofft, dass das Wintersemester mit den geplanten hybriden Lehrveranstaltungsangeboten, also der Mischung aus digitaler und Vor-Ort-Lehre, zumindest mehr Raum für einen geregelten Alltag schaffen wird. Die Lust am Studieren ist ihr, trotz aller Veränderungen, auf jeden Fall nicht vergangen. Ab Herbst beginnt Natalia nämlich ein weiteres Bachelorstudium und macht danach auch einen Master in Journalismus. Angst vor potenziellen Schwierigkeiten, in der Zukunft einen Arbeitsplatz zu finden, hat sie nicht, da sie hofft, dass sich die schwierige Wirtschaftslage bis zu ihrem Masterabschluss in einigen Jahren beruhigen wird. Bei Student Nikolaus hingegen kam es durch die Schließung der Universität zu keiner großen Umstellung, zumindest was seinen Arbeits- und Lernplatz angeht. Er erledigt Aufgaben rund ums Studium nämlich grundsätzlich viel lieber bei sich zu Hause, da er das Institut und die Bibliotheken als Ablenkungsquelle betrachtet. Irgendwann hat er es dann aber doch vermisst, spontan nach einer Lehrveranstaltung etwas trinken zu gehen. Da das im vergangenen Semester ohnehin nicht möglich war, haben seine Kolleg*innen und er versucht, die sozialen Aspekte der Studienzeit zumindest digital zu simulieren. „Wie bei allen ist meine Zeit auf FaceTime und WhatsApp massiv in die Höhe gegangen. Meine Leute und ich haben uns regelmäßig via Videotelefonat ‚getroffen‘. In manchen Onlinekursen bin ich ja auch mit Freund*innen von mir gesessen und da haben wir zum Beispiel parallel dazu wie immer nebenbei auf WhatsApp geschrieben. Klar, es ist anders gewesen, also kein normales zusammen studieren, aber ich muss dazu sagen, dass die Universität für mich persönlich keine bloße Bespaßungseinrichtung ist. Die soziale Komponente ist weggefallen und hat mir auch sehr gefehlt, aber das muss kein Dealbreaker sein“, meint Nikolaus. Nur dass er als Absolvent seine akademische Feier ausfallen lassen muss, findet er schade.
So wie Natalia bleibt er, was die Wirtschaftskrise und die berufliche Zukunft von Student*innen angeht, optimistisch. Er selbst hat sogar schon eine Zusage für eine Stelle in einer Agentur. Der 21-Jährige beendet im nächsten Semester seinen zweiten Bachelor und ist gespannt darauf, wie die geplante Hybrid-Lehre an der Uni Wien umgesetzt wird. Lachend fasst er in einem Satz die Gefühlslage vieler aktueller Student*innen zusammen: „Naja, schlimmer als das vergangene Semester kann es eh nicht werden, oder?“
Studienergebnisse: „Lernen unter Covid-19-Bedingungen“ Fakultät für Psychologie der Universität Wien Befragung Nr. 3/Stand: 29.06.2020 Gute Selbstorganisation und der Austausch mit Studienkolleg*innen waren für die Mehrheit der Befragten die zwei zentralen Faktoren für ein erfolgreiches Semester. 74,8 % der Befragten kamen mit den Online-Prüfungen, insbesondere Open-Book-Prüfungen, gut zurecht. 45,1 % berichteten, dass sich der Lernerfolg im Großen und Ganzen nicht verändert hatte. Uneinig waren sich Studierende bezüglich der Frage, ob Online-Prüfungen zum Schummeln einladen. 53,1 % bejahten dies, während 46,9 % die Frage verneinten. Erneutes ausschließliches Homelearning im Herbst bei einem potenziellen Entfall von allen Präsensveranstaltungen beurteilten 47,1 % als negativ, 27,4 % als positiv und 25,5 % als neutral.
Rétablir l'original