Ein Roboter, der Pizza austrägt. Klingt wie ein Witz? Wird aber heute schon getestet. Und das ist noch längst nicht das Ende der Entwicklung.
Als 6D81 auf dem Bürgersteig in Hamburg an einer älteren Frau vorbeirollt, zuckt sie zusammen und ruft: "Das ist ja gruselig!" Dabei sieht 6D81 gar nicht unheimlich aus: Er ist kniehoch, hat sechs Räder und eine weiße Hülle. Man könnte denken, 6D81 sei der kleine Bruder von R2-D2, dem freundlich piepsenden Roboter aus Star Wars. Nur dass in seinem Innenraum kein Hightech steckt, sondern Pizza. Mit sechs Kilometern pro Stunde rollt 6D81 durch die Stadt, wartet an roten Ampeln und fährt über Kreuzungen. Er liefert Pizza aus, wie sonst ein Bote mit dem Rad oder Auto.
Das ist keine Szene aus einem Science-Fiction-Film. Die Pizzakette Domino's testet gemeinsam mit dem estnischen Roboterhersteller Starship neue Lieferkonzepte. Die Starship-Gründer Janus Friis und Ahti Heinla haben einst Skype miterfunden. Damit haben sie die Kommunikation revolutioniert. Jetzt ist die Logistik dran. Denn geht es nach den beiden Esten, dann sollen in Zukunft nicht nur Pizzen von Robotern ausgetragen werden, sondern auch Bücher, Kleidung, Medikamente - eigentlich alles, was man im Internet bestellen kann.
Werden Lieferroboter in der Stadt also bald zum Alltag gehören?
Seit Mai arbeitet 6D81 in einer Hamburger Domino's-Filiale. Erst mal ist er nur in der Probezeit. Karsten Freigang, Geschäftsführer von Domino's Deutschland, sagt: "Es ist nicht einfach, genügend gute Fahrer zu finden, die sich bei Wind und Wetter aufs E-Bike setzen." Mit 6D81 will er die menschlichen Lieferboten nicht ersetzen, sondern ergänzen. Der Roboter soll vor allem dann Pizzen ausfahren, wenn besonders viele Bestellungen eingehen oder Fahrer fehlen. Bislang rollt 6D81 nur testweise. Wenn er sich bewährt, vielleicht dauerhaft.
Das Problem der fehlenden Mitarbeiter betrifft aber nicht nur den Pizzabringdienst, sondern eine ganze Branche. Denn der Online- und Lieferhandel wächst und wächst: Fast 68 Prozent der Deutschen bestellten im vergangenen Jahr Produkte im Internet, ergab eine Analyse des Instituts für Demoskopie Allensbach. Vor zwei Jahren wurden drei Milliarden Pakete ausgeliefert, bis 2020 sollen es vier Milliarden werden, schätzt der Bundesverband Paket und Expresslogistik. Bis 2020 werden in Deutschland 30.000 bis 50.000 Fahrer fehlen, prognostiziert das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik in seiner aktuellen Studie Die letzte Meile. Die Roboter könnten für diesen Personalmangel eine Lösung sein.
Außerdem sind sie praktisch: Sie sollen in der Anschaffung später nicht mehr kosten als ein Smartphone, fordern keinen Lohn, meckern nicht.
Nicht nur Domino's testet den Starship-Roboter. Auch der Lieferdienst Foodora schickt ihn mit Burgern durch Hamburg. Und in London, Bern oder im Silicon Valley sind die Roboter ebenfalls unterwegs. Darüber, was die Unternehmen bei ihren Tests herausgefunden haben, sprechen sie nicht. Aber das Interesse an den Lieferrobotern lässt nicht nach.
Bisher werden Kunden nach ihrem Einverständnis gefragt, wenn die Pizza statt von einem Mensch von einer Maschine gebracht wird. Wer Dienstagmittags im Büro oder sonntagabends zum Tatort seine Margherita bestellt und online bezahlt, dem wird sie von 6D81 geliefert. Aber nicht wie gewohnt bis zur Wohnung, sondern bloß vor die Haustür. Treppen steigen kann der Roboter nicht.
Fährt 6D81 vom Pizzaladen los, blinkt eine Nachricht auf dem Smartphone des Empfängers auf: "Deine Lieferung ist unterwegs." Über einen Link kann man den Roboter auf einer Karte verfolgen.
Auf dem Bürgersteig ist 6D81 vorsichtiger als ein Schulkind: Vor Hauseinfahrten bleibt er stehen, scannt mit neun Kameras die Umgebung und wartet, ob ein Auto kommt. Erst wenn er sichergestellt hat, dass die Bahn frei ist, rollt er weiter. Der Roboter navigiert über GPS. Er ist so angelegt, dass er die sicherste und nicht die schnellste Route wählt.
Trotzdem ist er nicht allein unterwegs. In Deutschland gibt es noch kein Gesetz für autonom betriebene Fahrzeuge. Der Hamburger Senat hat bis zum Jahresende eine Ausnahmegenehmigung erteilt, mit der Auflage, dass der Roboter von einem Menschen begleitet werden muss. Einige Meter hinter 6D81 geht deshalb Dino Dessi. Der 31-Jährige schreibt seine Masterarbeit in Wirtschaftswissenschaften an der Uni Düsseldorf und arbeitet nebenbei für Starship. Er spricht mit Passanten, die Selfies mit 6D81 schießen oder wissen wollen, wer neben ihnen über den Bürgersteig rollt. Und er überwacht die Fahrt. Noch nie gab es eine heikle Situation, sagt er. Dabei sind unbemannte Fahrzeuge umstritten. Kleinkinder oder alte Leute könnten ihnen nicht schnell genug ausweichen, befürchten Kritiker. In San Francisco überlegt man deshalb, die Lieferroboter zu verbieten. Dino Dessi findet das übertrieben. "Wenn er 30 Zentimeter Abstand zu einem Menschen oder einem Hindernis hat, wird der Roboter langsamer oder bleibt stehen", sagt er.
So sieht die Zukunft aus
Dessi ist per Headset mit einem Kollegen in der Starship-Zentrale in Tallinn verbunden. Auf einem Bildschirm überwacht dieser jeden Meter, den der Roboter fährt. Er kann ihn auch per Fernsteuerung lenken, wenn 6D81 den Weg nicht allein findet oder stehen bleibt.
Noch ist die Lieferung per Roboter also sehr umständlich. Ein Mitarbeiter auf der Straße, einer in der Zentrale: Es wäre einfacher, den Pizzakarton einfach Dino Dessi unter den Arm zu klemmen und ihn allein loszuschicken. Doch in Zukunft soll ein einziger Mitarbeiter in Tallinn ausreichen, um 100 Roboter gleichzeitig zu überwachen.
Bis es so weit ist, muss 6D81 noch einiges lernen: Damit er sich besser auskennt, fährt Dino Dessi mit ihm Straßen ab, die er noch nicht in seinem Kartensystem gespeichert hat. Außerdem merkt sich der Roboter, wenn bei einer roten Ampel nur selten jemand drückt. Dann nimmt er beim nächsten Mal eine andere Route, damit die Pizza nicht kalt wird, während 6D81 wartet. Diese Informationen teilt er mit vier anderen Robotern, die gerade in Hamburg unterwegs sind.
Im Schnitt fährt 6D81 etwas weniger als einen Kilometer pro Bestellung und braucht dafür zehn Minuten. In seinen Innenraum passen Dinge, die maximal 40 Zentimeter lang, 34 Zentimeter breit und 30 Zentimeter hoch sind und weniger als zehn Kilogramm wiegen. Das entspricht fünf Pizzen oder sechs Burgern. Der Roboter ist nicht dafür geeignet, Kisten von einer Lagerhalle in die Innenstadt zu bringen. Er ist kein Lkw.
Stattdessen ist 6D81 gut darin, auf Abruf kleine Lieferungen über kurze Strecken zu transportieren. Pizzabringdienste arbeiten schon seit Jahren so, Paketlieferanten wie Hermes, DHL oder UPS nicht. Ihre Mitarbeiter legen bisher nach festgelegten Dienstplänen mit großen Autos große Distanzen zurück.
Ein Problem ist für sie dabei die sogenannte letzte Meile bis zur Haustür des Kunden. Das ist oft die teuerste und komplizierteste Strecke. Die Fahrer stecken dann mit ihren Lieferwagen voller Päckchen im Stadtverkehr fest, finden keinen Parkplatz, klingeln an Wohnungstüren, hinter denen niemand auf sie wartet, müssen deshalb weiterfahren und später die ganzen Strapazen noch einmal auf sich nehmen. Roboterlieferanten könnten da effizienter sein.
Deshalb interessieren sich auch die Paketdienstleister für 6D81. Im vergangenen Sommer ließ Hermes den Roboter in Hamburg testweise Pakete an die Haustür bringen und Retouren abholen. Das Unternehmen hofft, dass man durch Roboter nicht nur das Problem des Personalmangels lösen kann, sondern auch das der letzten Meile.
Die Zukunftsvision sieht so aus: Neben den großen Lagern außerhalb der Stadtzentren könnte es kleine Zwischenlager in den Innenstädten geben. Ein menschlicher Lieferant brächte die Pakete morgens mit dem Lieferwagen in solch ein Mikrodepot. Passend zur Größe der Lieferung und je nach Zeitfenster würde anschließend entweder ein Bote per E-Bike, Lastenrad oder Elektroauto das Paket bis zum Kunden bringen. Oder eben ein Lieferroboter. "Mikrodepots werden sich in Städten wie Berlin, Hamburg oder Köln etablieren", sagt Ulrich Binnebößel vom Handelsverband. Doch überall kann 6D81 nicht fahren. Er ist am besten geeignet, um in Gegenden eingesetzt zu werden, wo auf den Bürgersteigen nicht so viel los ist. In einer Fußgängerzone voller Menschen würde er hingegen ständig stehen bleiben, weil ihm jemand in die Quere kommt.
Im vergangenen Jahr haben viele Journalisten berichtet, dass Amazon mit Drohnen experimentiert, um Päckchen auszuliefern. Dass sich solche Fluggeräte in den Städten durchsetzen werden, daran glaubt jedoch kaum ein Experte. Zwar kann eine Drohne Staus überfliegen, doch sie muss dabei das Luftfahrtrecht einhalten und kann abstürzen. "Drohnen sind für eilige Sendungen an schlecht zugängliche Orte wie Almen oder Inseln gut denkbar", sagt Uwe Clausen, der Leiter des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik, "aber sie werden eine Nische in der Logistikkette bleiben."
Er sieht eher in den Robotern Potenzial: Sie könnten jährlich bis zu 400 Millionen Zustellungen übernehmen, sagt Clausen. Dann würden Lieferungen durch Roboter tatsächlich Alltag sein.
Starship möchte die Roboter möglichst bald in ganz Deutschland einsetzen. Estland ist bislang das einzige EU-Land, das ein Gesetz für Lieferroboter eingeführt hat, genauso wie die vier US-Bundesstaaten Idaho, Virginia, Wisconsin und Florida. Doch auch dort sind die Roboter noch nicht unbegleitet unterwegs.
Eine Umfrage des Marktforschungsinstituts YouGov ergab, dass 42 Prozent der Deutschen den Lieferrobotern skeptisch gegenüberstehen - so wie die Frau, die 6D81 in Hamburg auf der Straße sah und sich gruselte - und dass nur 24 Prozent sie gutheißen. Passanten hätten jedoch selten ein Problem mit dem Roboter, sagt Dino Dessi. "70 Prozent nehmen ihn gar nicht wahr", sagt er.
Auf dem Smartphone des Kunden blinkt "Ankunft in Kürze", doch dann dauert alles ein paar Minuten länger: 6D81 muss einen Umweg fahren. Der Dönerladen hat neuerdings seine Tische und Bänke nach draußen gestellt. Unbekanntes Gebiet! 6D81 fährt zurück und macht einen Bogen um die Tische. Mit ein wenig Verspätung rollt er zum Hauseingang. Er klingelt nicht, sondern sendet eine Nachricht: "Starship-Roboter wartet draußen auf dich. Öffne den Deckel." Die Pizza hat ihr Ziel erreicht. Ein Klick auf den Button des Roboters, sein Deckel öffnet sich, die Lichter von 6D81 leuchten freundlich. Ein weiterer Klick auf "Roboter nach Hause schicken", und 6D81 fährt zurück in seine Pizzafiliale und wartet auf seinen nächsten Auftrag. Trinkgeld nimmt er nicht, aber man kann ihn online mit Sternen bewerten.