Wird man zum Lehrer geboren oder ist Unterrichten ein Handwerk, das
jeder lernen kann? Ein Gespräch mit der amerikanischen
Bildungsjournalistin Elizabeth Green
DIE ZEIT: Frau Green, in den USA schmeißt die Hälfte der Lehrer ihren Job nach fünf Jahren hin. Die Ausbildung ist miserabel, genauso wie die Bezahlung und das Image. Und jetzt kommen auch noch Sie als Journalistin und erklären den Lehrern per Bestseller, was sie alles falsch machen. Machen Sie es sich da nicht ein bisschen einfach?
Elizabeth Green: Sehe ich nicht so. Mein Job als Journalistin ist es, den Leuten über die wahren Zustände in diesem Land zu berichten. Und im Falle des Lehrerberufs gibt es eine große Kluft zwischen dem, was die Leute glauben, und dem, was Lehrer eigentlich tun.
ZEIT: Und worin genau soll diese Kluft bestehen?
ist Bildungsjournalistin. Im August 2014 erschien ihr Buch Building a Better Teacher. How Teaching Works (and How to Teach it to Everyone).
Green: Die Öffentlichkeit geht oft davon aus, dass ein Lehrer entweder die Fähigkeiten hat, einen guten Unterricht zu machen, oder nicht. Dass es also von der Persönlichkeit abhängt, ob jemand ein guter Lehrer ist.
ZEIT: Aber das stimmt nicht?
Green: Zumindest nicht so, wie es immer dargestellt wird. Wir glauben, jemand ist ein guter Lehrer, weil er charismatisch und extrovertiert ist, weil er eine enge Bindung zu den Schülern hat. Aber Charaktereigenschaften und Lehrkompetenz sind nicht das Gleiche. Sie wirken nur zusammen. Es geht darum, was die Lehrer tatsächlich machen. Und das ist unsichtbar. Zu sehen ist lediglich das Ergebnis: Schüler, die Spaß haben und viel lernen.
ZEIT: Dann lüften Sie doch mal den Vorhang.
Green: Gute Lehrer packen das Stoffgebiet in eine sehr klare und einfache Form. Ein Fachgebiet zu kennen heißt noch lange nicht, dass man es ansprechend präsentieren kann. Lehrer müssen lernen, wie das geht. Gute Lehrer erkennen regelmäßige Fehler der Schüler und wissen, wie sie eingreifen können. Sie ermutigen ihre Schüler, offen mit diesen Fehlern umzugehen. Und sie bringen Schülern bei, wie man zustimmt oder widerspricht, wie man ein Argument überzeugend vorträgt oder eine gute Erklärung einbringt. Die meisten Leute gehen aber davon aus, dass die Schüler das von selbst lernen.
ZEIT: Das klingt nach totaler Professionalität. Aber bisher ist es ja eher so, dass Menschen Lehrer werden, weil sie Kinder mögen.
Green: Deshalb müssen wir die Qualität der Lehrerausbildung steigern. Dann erreichen wir auch jene, die hart und professionell arbeiten wollen. Auch wichtig wäre, dass Lehrer, die schon im Beruf sind, die Möglichkeit haben, Feedback einzuholen und im Team zu arbeiten.
ZEIT: In Ihrem Buch plädieren Sie dafür, dass Unterrichten als Handwerk angesehen werden sollte.
Green: Ja. Ein Lehramtsstudent muss wissen, was er können muss, um zu unterrichten. Er sollte beispielsweise in der Lage sein, die Schüler zu beobachten, während sie eigenständig arbeiten. Er sollte auch mal einem Lehrer beim Unterrichten in einer Schule zugesehen haben, damit er weiß, wie guter Unterricht aussehen soll. Daher sollten die Institutionen, die für die Lehrerausbildung verantwortlich sind, auch mit Schulen kooperieren.
ZEIT: In Deutschland liegt die Lehrerausbildung vorwiegend in den Händen der Universitäten.
Green: In Universitäten kann Pädagogik sicher wirksam unterrichtet werden. Aber es ist genauso wichtig, dass angehende Lehrer die Möglichkeit haben, richtige Klassen zu sehen.
ZEIT: All diese Erkenntnisse helfen aber den Lehrern nichts mehr, die schon unterrichten.
Green: Doch! Denn auch die können sich noch verbessern. In Japan beispielsweise besuchen Lehrer den Unterricht ihrer Kollegen. Dann diskutieren sie das Gesehene gemeinsam. In diesem Prozess können sie voneinander lernen.
ZEIT: Ist dieses persönliche Feedback besser als standardisierte Bewertungen?
Green: Ich denke, dass Evaluationen sinnvoll sein können, aber sie haben auch Grenzen. Allgemeine Erhebungsmethoden sparen Zeit, aber sie produzieren auch allgemeines Feedback. Es reicht nicht aus, dass jemand einem Lehrer beispielsweise sagt, er müsse seine Ausdrucksweise verbessern.
ZEIT: Bei aller Unterschiedlichkeit der Unterrichtsmethoden gibt es ein Problem, das fast alle Länder betrifft: Kinder aus bildungsfernen oder sozial schwachen Schichten oder mit Migrationshintergrund haben schlechtere Chancen im Bildungssystem. Kann guter Unterricht dazu beitragen, dieses Problem zu lösen?
Green: Es ist erwiesen, dass Kinder im Leben erfolgreicher sind, wenn sie in der Schule gute Lehrer hatten. Lehrer können ihren Schülern Möglichkeiten eröffnen, die diese sonst nicht gehabt hätten. Zugleich wird der Einfluss oft überbewertet. Kein noch so guter Unterricht garantiert, dass ein Schüler aus einer sozial schwachen Familie später nicht mehr arm ist.
ZEIT: In Ihrem Buch schreiben Sie auch darüber, wie Sie selbst ein paar Stunden unterrichtet haben. Wie war das?
Green: Sehr herausfordernd. Ich musste ja bei null anfangen. Für meinen Unterricht hatte ich mir als Thema biografisches Schreiben ausgesucht. Ich überlegte, wie ich das umsetzen könnte, was ich die Schüler frage und welche Materialien ich verwende. Und als ich alles hatte, kam der Lehrer, dessen Klasse ich übernehmen sollte, und sagte, dass meine Auswahl an Biografien langweilig sei.
ZEIT: Was haben Sie dabei gelernt?
Green: Dass es beachtlich ist, was wir von Lehrern erwarten. Etwa, dass sie ihre gesamten Unterrichtsmaterialien selbst zusammenstellen. Mir wurde klar, dass wir ihnen nicht nur Zeit für eine gute Vorbereitung geben müssen, sondern auch vorgefertigte Unterrichtsmaterialien.
ZEIT: Können Sie sich jetzt vorstellen, Lehrerin zu sein?
Green: Die Arbeit ist viel interessanter, als ich sie mir als Außenstehende vorgestellt habe. Und sie ist intellektuell anregend. Ich denke, das wäre ein super Job.
23. Oktober 2014, 4:10 Uhr / Editiert am 26. Oktober 2014, 17:52 Uhr DIE ZEIT Nr. 42/2014, 9. Oktober 2014
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