Wie wir mit dem Auto quer durch Düsseldorf im Kreis fahren: Ein augenzwinkerndes Plädoyer für die „Kreisverkehrisierung" der Stadt, das mit einer holland-inspirierten Vision eines schwebenden Fahrrad-Kreisels endet.
Heute möchte mein bester Freund P. seine neue Leidenschaft mit mir teilen. So neu ist sie vielleicht gar nicht, in jedem Fall hat er mir vor ein paar Tagen zum ersten Mal von ihr erzählt: P. liebt Kreisverkehre. Nicht nur das: Er betreibt sogar Kreisverkehr-Philosophie. „Das Fließende als Ordnungsprinzip". Während Ampelkreuzungen den Verkehr nur kurzfristig stoppten, so würden ihn Kreisverkehre zähmen und zivilisieren.
Wir biegen ein, und schon sind wir drin. Fahren im Kreis um die grüne Insel in der Mitte. Zum Fließen reicht der Mittagsverkehr allerdings nicht, denn zum Fließen muss man in die Masse eintauchen. Tatsächlich sind wir die einzigen, die in diesem Moment den Kreisverkehr umrunden. Unser Gefährt: das sonst eher selten genutzte Familienauto meines fahrradaffinen Freundes. Ein ziemlich abgerockter VW Touran - Kekskrümel, Hundehaare, Kratzer und Diesel-Motor inklusive. „Schrotti" hat P. seinen Touran getauft, obwohl er Vornamen für Autos „total bescheuert" findet. So „prätentiös", so „albern". Aber weil P. ohne Ironie nicht kann, war ein „Studentenautoname" unumgänglich. Mit anderen Worten: Der neun Jahre alte „Schrotti" ist der Porno-Balken unter Düsseldorfs Diesel-Fahrzeugen.
Ich sitze am Steuer, denn mein Begleiter muss die Hände frei haben, um am iPhone unsere Route zu planen. P. hat nämlich vorab die wichtigsten Kreisverkehre der Stadt recherchiert. Und nun wollen wir von einem zum nächsten surfen.
Ehrlich gesagt: Bis gestern hatte ich kein besonderes Verhältnis zu Kreisverkehren. Fand sie zwar ganz praktisch, egal waren sie mir trotzdem. Doch weil es so viel Spaß macht, sich mit meinem besten Freund P. zu streiten, habe ich mich darauf vorbereitet, die Rolle des Kreisverkehr-Miesmachers einzunehmen. Habe mir also den ziemlich langen Kreisverkehr-Eintrag bei Wikipedia durchgelesen. Und während ich den Touran schon die zweite Runde um den von alten Bäumen und wildem Rasen bestandenen Merowingerplatz-Kreisel lenke, gibt P. sein soeben per Google-Suche erworbenes Street-Art-Wissen zum Besten: „Die roten und blauen Fuß-Skulpturen, die hier überall an den Ketten der Begrenzungspfeiler hängen, stammen von Kunstakademie-Absolvent Till Hausmann."
„Das ist doch gar kein richtiger Kreisverkehr", sage ich in gespielter Empörung. „Die Insel in der Mitte - das ist doch kein Kreis, jeder Kreisverkehr-Laie kann auf Google Maps erkennen, dass das ein Oval-Verkehr ist."
„Klugscheißer!", sagt P. und gibt mir ein Zeichen in die Ulenbergstraße abzufahren, der Straßenbahn folgend, die direkt neben uns in die Kurve biegt. Dabei setzt P. sein Kreisverkehr-Gesicht auf: Süffisantes Grinsen, böses Gucken und ironisches Stirnrunzeln liefern sich einen Dreikampf, der unentschieden ausgeht. Mein so kreisverkehr- wie selbstverliebter Freund ist voll in seinem Element.
Bilk, HimmelgeisterstraßeNur rund 200 Meter weiter erleben wir ein Schauspiel, das sich hier tagsüber in Dauerschleife abspielt: Die Linie 706 fährt - flankiert vom Café Weise - quer durch den nächsten Kreisverkehr unserer heutigen Route hindurch: Den Zusammenfluss von Himmelgeisterstraße, Ulenbergstraße und Moorenstraße. In der Mitte thront auf einem Sockel eine rote Riesen-Version der Fuß-Skulpturen vom Merowingerplatz.
„Passieren hier nicht dauernd Unfälle?", frage ich den Kreisverkehr-Guru - und erinnere mich, dass ich hier vor einigen Jahren nur durch eine Vollbremsung eine Kollision mit der kreisverkehrkreuzenden 706 verhindert habe.
„Ich glaube nicht", sagt P. „Es gibt eine Extra-Ampel, die den Verkehr im Kreisel stoppt, wenn die Bahn einfährt. Da musst du schon blind oder lebensmüde sein, wenn du trotzdem weiterfährst."
Friedrichstadt, StresemannplatzKurz darauf erreichen wir Mittelamerika, drehen mit „Schrotti" ein paar Runden um den Stresemannplatz. Ein Verkehrsinsel-Dschungel mitten in Düsseldorf, gestaltet von Pflanzenkünstlerin Tita Giese: Diverse mit Yuccas bestandene und von gestapelten Autoreifen eingefasste Inseln teilen den Platz und „regeln" den Verkehr.
„Das ist doch gar kein normaler Kreisverkehr", motze ich, obwohl ich die Platzgestaltung super finde. „Hier gibt´s ja überall Ampeln."
„Manche Kreisel brauchen Ampeln", sagt P. Dabei legt er eine dezente Schärfe in die Stimme. So, als müsste er „seinen" Kreisverkehr verteidigen (normalerweise versteht er meine Ironie): „Hier treffen sechs Straßen aufeinander, und die Straßenbahnen fahren auch noch vorbei. Im Kreis fahren kannst du trotzdem." Stockum, Freiligrathplatz
Eine Viertelstunde später sind Kreisel-Pate P. und ich uns einig: Der Freiligrathplatz - das ist der Skinny Norris unter Düsseldorfs Kreisverkehren. Ein so undurchsichtiger wie lästiger Typ. Einer, der dazugehört, den man aber nicht als Freund haben will. P. versucht den Platz fotografisch festzuhalten. Gar nicht so einfach, da: „Viel zu groß!"
„Düsseldorfs größter", vermute ich.
„Bei den Kreisverkehren ist es wie im Fußball", doziert Mönchengladbach-Fan P., „Düsseldorf spielt nun mal nicht in der Champions League."
„Im Frühjahr ist Skinny Norris eine Wildblumenwiese", sage ich.
Auf dem Weg zur nächsten „Tour de Kreisverkehr"-Station entlockt P. mir meine (willkürlich ausgewählten) Favoriten aus der Kreisverkehr-Champions-League: die Plaça de Espanya in Barcelona und den Ernst-Reuter-Platz in Berlin. „Ernst-Reuter-Platz?", sagt mein bester Freund. „Der ist doch voll hässlich!"
„Habe da mal in der Nähe gewohnt", sage ich, und ärgerlicherweise klingt es wie eine Entschuldigung.
P.´s Favoriten sind der Arc de Triomphe in Paris und der Gärtnerplatz in München.
„Gärtnerplatz?", sage ich. „Der hat doch maximal zwei Spuren!"
„Dafür ist er voll schön", sagt P., und ärgerlicherweise klingt es triumphierend. „Habe da mal in der Nähe gewohnt."
Lohausen, Alte FlughafenstraßeIn der deutschen Bäckerei am Japanischen Kreisel bestellen wir mit Blick auf das griechische Restaurant ein Croissant (P.) und ein Rosinenmürbchen (ich). Den Namen haben wir uns nicht ausgedacht. Den „Japanischen Kreisel" findet man im Netz, auf einer Seite der Stadt Düsseldorf, die gärtnerisch gelungene Kreisverkehrinselbepflanzungen vorstellt. In diesem Fall: einen japanischen Zierkirschenhain am Treffpunkt von Niederrheinstraße, Lohauser Dorfstraße und Alter Flughafenstraße.
„Für die Blütezeit im April dürfen sich die Anwohner und Autofahrer auf einen rosa Blütentraum freuen", liest P. mit Kirmesansagerstimme von seinem iPhone ab und hält sich zum Schutz vor der Augustsommersonne die Hand über die Augen.
Die Kreisverkehre
Eine Übersicht über Düsseldorfs Kreisverkehre, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: - Angermunder Straße / Im großen Winkel / In den Blamüsen
- Angermunder- / Rahmer- / Lintorfer Wald- / Graf-Engelbert-Straße
- B 8n AS Froschenteich / Duisburger Landstraße
- Duisburger Land- / Bockumer- / Einbrunger Straße
- Freiligrathplatz
- Gerresheimer Landstraße / Am Zaulsbusch / Brinellstraße
- Grafenberger Allee / Walter-Eucken-Straße
- Höherweg / Albertstraße
- Höherweg / Ruhrtalstraße
- Höherweg / Automeile / Stadtwerke
- Lichtenbroicher- / Franz-Rennefeld-Weg
- Luise-Rainer- / Neumannstraße
- Merowingerstraße / Ulenbergstraße / Chlodwigstraße
- Mettmanner- / Langerstraße
- Moorenplatz
- Niederrhein- / Lohauser Dorf- / Alte Flughafenstraße
- Niederrheinstraße / An St. Swibert / Kittelbachstraße
- Oerschbach- / Reisholzer Bahnstraße
- Schloßmannstraße / Moorenplatz / Strümpellstraße
- Schlüter- / Neumannstraße
- Ulenberg- / Himmelgeister- / Moorenstraße
Weiter auf der Niederrheinstraße Richtung Norden. Am Fährausleger An St. Swibert beziehungsweise der Kittelbachstraße erwartet uns der nächste Kreisverkehr. Auf einem begrasten Mini-Hügel steht eine Stahl-Skulptur mit zwei in Schlaufen endenden Bögen. „Passt gut zu einem Kreisverkehr", lobt P.
„Sollen wir im Text den Künstler nennen?", frage ich.
P. nickt und fischt in Sekundenschnelle die Seite kunstimkreisverkehr.de aus dem Netz. „Er heißt Friedrich Werthmann."
Wittlaer, Duisburger LandstraßeNoch weiter nördlich: In der Mitte steht, leicht erhöht, ein von Gras und Sträuchern umwucherter Obelisk, und seit wir um ihn herum im Kreis fahren, wissen wir auch, dass Wittlaer ein eigenes Wappen hat. „In welche Richtung soll ich abfahren", frage ich. Zur Auswahl stehen neben der Duisburger Landstraße auch noch Bockumer Straße und Einbrunger Straße.
Mein kreisverkehrliebender Freund tut so, als habe er meine Frage überhört, zitiert einen Text aus dem Jahr 2006 über den ein Jahr zuvor eröffneten Wittlaer Kreisel, den er soeben im Netz gefunden hat: „Die Autos kommen zügig durch. Die Staubildung morgens und abends hat abgenommen und Unfälle sind bis jetzt nicht mehr passiert." Und dann gibt er den Verkehrsstrategen: Das hier sei offenbar ein Top-Beispiel für einen gelungenen Kreisverkehr. Man müsse sich nämlich davor hüten, zum Kreisverkehrideologen zu werden: „Kreisverkehre können den Verkehr nur dann besser fließen lassen, wenn alle beteiligten Straßen mehr oder weniger gleich und nicht zu stark befahren sind."
Flingern-Süd, Mettmanner StraßeWir nehmen Kurs Richtung Süden. „Flingern ist quasi eine Kreisverkehr-Hochburg", sagt mein bester Freund P. Er lotst mich zum Kreisel Mettmanner Straße / Langerstraße. Hier ist die Mittelinsel befahrbar und nicht bepflanzt, vielmehr durch Bodenbelag und Markierung optisch abgegrenzt. „Damit die Linienbusse leichter durchkommen", meint P. zu wissen.
Anschließend biegen wir mit „Schrotti" zwei mal rechts ab und landen auf dem Höherweg, laut P. nicht nur die Autohaus-, sondern auch die Kreisverkehr-Meile der Stadt. Den ersten, wenig spektakulären Kreisel durchfahren wir an der Albrechtstraße. Der zweite vor der Stadtwerke-Zentrale und der dritte auf Höhe der Total-Tankstelle sind aufwendig mit Sträuchern, Bäumen und Gräsern gestaltet. P. schaut auf die Uhr, hat in einer Stunde ein berufliches Meeting, grummelt, weil er eigentlich noch viel mehr Kreisverkehre besuchen wollte (siehe Infokasten) - und kündigt ein „Kreisverkehr-Finale ohne Kreisverkehr" an: