Im Rif-Gebirge leben Hunderttausende vom Cannabis-Anbau für Europas Märkte. Die EU müht sich um Eindämmung, indem sie die Bauern überzeugen will, besser Feigen, Oliven und Avocados zu produzieren. Vergebens.
Der breite Strohhut, die lange Pfeife im vom Vollbart umrahmten Mund, das offene weiße Hemd - ein wenig erinnert Mohammed an Vincent van Gogh. Einzig die blaue Trainingshose passt nicht recht ins Bild. Lässig lehnt der 24-jährige an der Steinmauer der Brücke, hinter ihm erstreckt sich, von den Ausläufern des Rif-Gebirges umgeben, die Altstadt von Chefchaouen. Mohammed verkauft hier Orangensaft und Wasser, Kekse und Miniatur-Figuren aus Stroh, genauso wie die Handvoll Händler neben ihm. Und doch ist der Straßenhandel nur ein Nebenverdienst, für ihn wie für viele andere hier im Norden von Marokko.
Aus seiner Pfeife steigt süßlicher Cannabisduft, während Mohammed seine Geschichte erzählt. Er stammt aus einer Berber-Familie. Nach der Trennung der Eltern wuchs er bei seiner Großmutter in den Bergen auf. Zu Hause wurde nicht Arabisch gesprochen, sondern ausschließlich Tamazight, die Berber-Spracher. Seine Kindheit verbrachte Mohammed wie viele Jungen der Gegend auf dem Feld und beim Schafe- und Ziegenhüten, für die Schule war nicht viel Zeit. Dass er heute Spanisch, Französisch und Englisch spricht, hat mit seinem Job zu tun.
Wie fast alle Familien der Gegend besitzt auch Mohammeds Familie eine Hanf-Plantage. Mit 14 Jahren rauchte er zum ersten Mal selbst Marihuana, kurze Zeit darauf stieg er in den Verkauf ein. Seine Aufgabe ist es, den ersten Kontakt zu den Kunden herzustellen. Die meisten sind Touristen, die nicht nur wegen der malerischen blaugetünchten Medina nach Chefchaouen kommen.
Schon seit dem 15. Jahrhundert wird im Rif-Gebirge Hanf angebaut. Die Berber, die Ureinwohner Marokkos, waren die ersten, die hier die berauschende Pflanze kultivierten. Bis heute gilt die Region als Herz der marokkanischen Cannabisproduktion. Der Handel auf der Straße verläuft recht unbekümmert. Es geht ja doch nur um kleinere Beträge.
Die wirklichen Geschäfte werden in den verrauchten Hinterzimmern der alten Cafés abgewickelt. In traditionelle Berbertrachten gehüllt, sitzen die Bauern aus den Bergen stumm und allein an ihren Tischen und suchen vorsichtig Blickkontakt zu den potenziellen Käufern. Ist der einmal hergestellt, geht es schnell um Größenordnungen wie 50 Kilogramm. Alle wissen davon, natürlich auch die Polizei. Dass trotzdem nichts passiert, dafür gibt es gleich mehrere Gründe.
Das Rif-Gebirge gilt seit jeher als Unruheregion, die größtenteils Berber-stämmige Bevölkerung als unbequem und störrisch. Der Anbau von Cannabis ist eigentlich verboten, doch würde das Verbot tatsächlich durchgesetzt, könnte es Aufstände geben, fürchtet die Regierung. Vermutlich noch wichtiger ist ein anderer Aspekt: Der Export von Cannabis gilt vielen Experten als wichtigste Einnahmequelle Marokkos, ertragreicher noch als der Tourismus. Und es sind nicht nur arme Bauern, die hier in den Bergen Plantagen besitzen, sondern auch hohe Regierungsbeamte.
300 Dirham, umgerechnet etwa 30 Euro, fordert Mohammed, dann zeigt er bereitwillig den Weg zu seiner Plantage. Immer wieder weist er nach links und rechts auf dürre, verbrannte Äcker. „Das waren Cannabis-Felder anderer Bauern", erklärt er. Unter dem Druck der USA und der EU geht die marokkanische Regierung halbherzig gegen den Hanf-Anbau vor, verhaftet hier und da Bauern und Händler.
Mohammeds Bruder wurde in Casablanca mit 20 Kilogramm Haschisch erwischt und sitzt im Gefängnis. Mohammed sieht das aber gelassen. Letztlich seien das Ausnahmen, sagt er. „Wenn du den richtigen Leuten Geld zahlst, also Polizisten, Grenzern, Politikern, dann kannst du in Ruhe arbeiten. Was sollen wir sonst auch machen? Wir haben keine andere Wahl." ...